Heute jedoch war es anders – wie jeden Montag in letzter Zeit.
Vor dem Monsignore saß ein beunruhigend kräftiger Mann mit strahlend blauen Augen, der den Priester oft missmutig anstarrte, sobald dieser versuchte, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Der Kerl nahm nur sehr ungern an derartigen Betrachtungen teil – er sträubte sich regelrecht davor – beugte sich aber auf Giammacios Weisung hin stets den Wünschen Seiner Heiligkeit, wenn es um tieferliegende Fragen bezüglich seines immerzu widersetzlichen Unterbewusstseins ging.
Er war nicht nur kräftig, sondern auch groß, hatte breite Schultern und eine ebensolche Brust. Dass das Priesterhemd, das er trug, so eng anlag, dass es an den Nähten aufzuplatzen drohte, betonte seine eigentümliche Anatomie noch zusätzlich, und trotz seines römisch-katholischen Kollars als Glaubenssymbol tat er sich insgeheim sehr schwer damit, gottergeben zu sein.
Im Gegensatz zu den anderen, war er weder Priester noch überhaupt ein Geistlicher oder auch nur von frommer Gesinnung, sondern ein Ritter des Vatikans im Dienste des Papstes mit einer Vollmacht, die Interessen der Heiligen römisch-katholischen Kirche zu wahren. Falls nötig wurde er mit anderen Elitesoldaten des Heiligen Vaters und dessen vertrautesten Kardinälen – dem sogenannten Rat der Sieben – für verdeckte Aufträge eingespannt. Außerhalb des engen Kreises dieses »Rates« gehörte Monsignore zu den wenigen Eingeweihten, die wussten, dass es die Gruppe überhaupt gab, weshalb er zu absoluter Verschwiegenheit angehalten war. Die Ritter des Vatikans sollten nicht nur ein geschlossener Verband aus Soldaten ohnegleichen unter kirchlicher Führung sein, sondern auch so geheim bleiben, dass man sie nicht einmal als Mythos ansah. Weil der Krieg stets auch eine dunkle Seite hatte, durfte ihre Existenz niemals publik werden.
Monsignore zündete sich jetzt wortlos eine Zigarette an und ließ sie achtlos im Aschenbecher abbrennen. Der Qualm kräuselte sich träge beim Aufsteigen. Nachdem er die Finger gespreizt gegeneinandergedrückt und sich in seinem Sessel zurückgelehnt hatte, wandte er sich wieder Kimball Hayden zu, der ihm gegenübersaß. Was der Ritter ihm mit seinem düsteren Blick vermitteln wollte, war relativ offensichtlich: Bringen wir diese unsägliche Angelegenheit schnell hinter uns. Der Gesichtsausdruck des Mannes sagte praktisch schon alles. Er wollte nicht hier sein und sich ins Oberstübchen schauen lassen, doch unter dem Einfluss des Papstes waren sowohl ihm als auch Giammacio die Hände gebunden.
Einen Augenblick lang warteten sie beide darauf, dass der jeweils andere den Anfang machte. Diese Angewohnheit war mit der Zeit allerdings zu einem geistigen Wettstreit geworden, in dem der Monsignore letzten Endes immer nachgab. Es handelte sich dabei um einen Kampf, den er nie gewann.
»Lassen Sie uns jetzt beginnen, Mr. Hayden, oder was meinen Sie?«
Kimball rührte sich nicht auf seinem Platz, sondern taxierte den kleinen Mann weiterhin, der sich seine Resthaare mehr schlecht als recht über die Glatze gekämmt hatte, was dem Ritter bei ausnahmslos jedem ihrer Treffen ein kleines Schmunzeln abtrotzte.
»Mr. Hayden …«
»Kimball«, unterbrach er ihn. »Ich möchte, dass Sie mich Kimball nennen.« Eigentlich wollte er das nicht, er ließ damit lediglich seine Muskeln spielen, um zu zeigen, dass er hier den Ton angab.
»Na gut, Kimball. Wenn Sie es so wünschen.«
Er zog eine Augenbraue hoch. »Ich wünsche es so.«
Monsignores Zigarette erlosch im Aschenbecher. Er hielt seine zusammengedrückten Finger ruhig, während sich bedingt durch ihrer beider Verstocktheit eine unüberbrückbare Kluft zwischen ihnen auftat.
»Und wie möchten Sie die heutige Sitzung einläuten?«, fragte Giammacio.
»Wie jede andere auch«, antwortete Kimball. »Indem ich deutlich mache, dass ich das hier für eine absolute Zeitverschwendung halte.«
»Warum erklären Sie das dann nicht dem Papst? Oder fehlt Ihnen dazu der Mut?«
Hayden lehnte sich ebenfalls zurück. Dass der Therapeut ihn kritisiert hatte, erstaunte ihn. Fürs Erste gab er klein bei. »Entschuldigen Sie bitte, Monsignore«, erwiderte er. »Ich schätze mal, Sie wären genauso gern woanders wie ich.«
»Wo ich gern wäre oder was ich will, spielt jetzt keine Rolle«, stellte Giammacio klar. »Es geht darum, dass wir endlich dahinterkommen, was Sie wollen, also hinter die Wahrheit dessen, was Glauben von Schicksalergebenheit unterscheidet … Sie unterscheiden sich gar nicht großartig von irgendjemand anderem, der zu mir kommt.«
Kimball schloss resignierend seine Augen. Sein einst so eiserner Wille wurde nach und nach immer schwächer, ein vielversprechendes Zeichen für den Monsignore.
Darum eröffnete der Geistliche nun das Gespräch mit dem Ritter. »Vor ein paar Monaten waren Sie an einem Einsatz zur Rettung des Papstes beteiligt, richtig?«
Kimball öffnete die Augen wieder und nickte.
»Und im Zuge der Auseinandersetzung mit den Gegnern mussten Sie diese töten, ja?«
Er nickte erneut, und senkte den Kopf ein klein wenig zur Bejahung.
Der Monsignore beugte sich ihm nun entgegen. »Jetzt leiden Sie unter einem inneren Konflikt, weil das, was Sie getan haben, den Lehren der Kirche in Bezug auf Mord widerspricht, stimmt's?«
Nun zögerte Kimball.
»Außerdem befürchten Sie, dass zwischen Ihrer Arbeit im Dienst der Regierung vor vielen Jahren und Ihrer jetzigen Tätigkeit für die Kirche kein Unterschied besteht. Sie denken, der Herr habe Sie bereits dafür verdammt und gebe Ihnen deshalb keine Chance mehr zur Erlösung, korrekt?«
Damit traf der Monsignore schon eher den richtigen Nerv.
Er griff zu seiner abgebrannten Zigarette und hielt sie zwischen zwei Fingern, während der Qualm weiterhin nach oben waberte. »Ich weiß, Sie sehnen sich nach Vergebung für Ihre früheren Taten«, fuhr er fort, »aber ich weiß auch, dass Sie diese unmöglich erlangen können, wenn Ihr Handeln nicht im Einklang mit dem steht, was die Kirche verlangt, nämlich dass Sie anderen zum Heilsbringer gereichen, wozu Sie jedoch – damit jene anderen überleben können – Morde begehen müssen. Deshalb stellen Sie sich die Frage: Wie soll ich Erlösung finden und in den Himmel kommen, wenn ich weiterhin töte? Das ist doch die Frage, die Sie beschäftigt, nicht wahr?«
Auch damit fand der Monsignore Anklang bei Hayden.
»Das ist doch die Frage, die Sie beschäftigt, nicht wahr?«, wiederholte er nachdrücklich.
Kimball nickte. Ja.
»Und warum hören Sie dann nicht einfach damit auf?«
Er blieb ruhig sitzen, während er an dem Geistlichen vorbei ins Leere starrte, wobei er sich gerade, wie man erkannte, etwas Vergangenes ins Gedächtnis rief. »Ich bin mir sicher, dass Ihnen das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, bereits geläufig ist, weil Sie meine Akte gelesen haben.«
Die Unterhaltung kam jetzt kurz ins Stocken, als Kimball den Fokus wieder auf sein Gegenüber richtete, und zwar mit so gestochen scharfem Blick, dass Monsignore die Geheimnisse erkennen konnte, die sich tief in seinen Augen verbargen. Was er dort sah, waren ernste Reue und unterdrückter Zorn im steten Widerstreit, wobei mal die eine, mal die andere Emotion die Oberhand gewann.
»Vor mehreren Jahren«, hob Kimball an, »wurde ich für eine verdeckte Mission von der Regierung der Vereinigten Staaten im Irak stationiert. Ich sollte dort einen Top-Politiker der irakischen Regierung ausschalten …«
Der Monsignore drängte ihn nicht zum Weitersprechen. Er wartete lediglich darauf, dass Kimball das Erzähltempo selbst bestimmte.
Und in diesem Moment schien der Ritter plötzlich Schwierigkeiten damit zu haben, seine Gedanken in Worte zu fassen. Als er schließlich fortfuhr, richtete er seinen Blick an die Decke, als stünden dort seine Erinnerungen als Text, auf den er sich beziehen könne. »Im Irak begegnete ich zwei Jungen, die Ziegen hüteten«, erzählte er nun. »Sie sahen mich … also konnte ich nicht anders, als sie davon abzuhalten, mich auffliegen zu lassen.«
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