Dany Laferriere - Ich bin ein japanischer Schriftsteller

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Es ist erstmal nur ein Titel: «Ich bin ein japanischer Schriftsteller». Er hat nicht vor, das Buch zu schreiben, doch der Titel will ihn einfach nicht loslassen. Schließlich ist er besessen von der Idee, ein japanischer Schriftsteller zu werden.
In den Fußstapfen des Dichters Bashô begibt er sich auf die Suche nach authentischen japanischen Erfahrungen und sieht sich in einen Mordfall in der Clique um die japanische Sängerin Midori verwickelt. Über ein Interview wird das japanische Konsulat auf ihn aufmerksam. Dass ein Ausländer, noch dazu ein Schwarzer, behauptet ein japanischer Schriftsteller zu sein, verstört die nationale Befindlichkeit in Japan. Das japanische Konsulat in Montreal wird auf ihn angesetzt. Ein Buch, das er noch nicht geschrieben hat, macht ihn in Japan berühmt, bei der japanischen Jugend zur neuen Kultfigur …
Ein teuflisch intelligenter, wunderbar sinnlicher und unwiderstehlich humorvoller Roman, mit dem Dany Laferrière, scheinbar unberührt von gängigen Klischees, eine nachdenklich stimmende Antwort auf die uns alle beschäftigenden Fragen gelingt: worin wir Menschen uns ähneln und worin wir uns unterscheiden, wer und was über unsere Identität und Zugehörigkeit bestimmt.

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Dieses Buch erscheint im Rahmen des Förderprogramms des französischen Außenministeriums, vertreten durch die Kulturabteilung der französischen Botschaft in Berlin.

Titel der Originalausgabe Je suis un écrivain japonais 2008 Éditions - фото 1

Titel der Originalausgabe:

Je suis un écrivain japonais

© 2008 Éditions Grasset & Fasquelle, Paris

© 2020 Verlag Das Wunderhorn GmbH

Rohrbacherstraße 18, D-69115 Heidelberg

www.wunderhorn.de

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert werden oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

eISBN 978-3-88423-629-1

Ich bin ein japanischer Schriftsteller

Dany Laferrière

Aus dem Französischen

übersetzt von Beate Thill.

„Der wahren Poesie

Uranfänge – das sind die Pflanzerlieder

Eurer Hinterlande!“

BASHÔ 1

Für alle, die gerne

jemand anderes wären .

1 „Der wahren Poesie Uranfänge – das sind die Pflanzerlieder Eurer Hinterlande!“ BASHÔ 1 Für alle, die gerne jemand anderes wären . 1 Bashô: Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland, übersetzt u. annotiert von G. S. Dombrady, Mainz (Dieterich), 2016, S. 99. Bashô: Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland, übersetzt u. annotiert von G. S. Dombrady, Mainz (Dieterich), 2016, S. 99.

Inhalt

Der Schnellste

Beim Fischhändler

Ein Lachs in Panik

Asien im Taschenformat

Immer auf den Beinen

Mit Bashô in der Metro

Der Kuss im Café Sarajewo

Der Japaner vor dem Eiffelturm

Björk, das Voodoo-Püppchen

Naive Maler

Objekte

Die Clique von Midori

Ein vergifteter Kuss

Eikos langer Rücken

Überkreuz

Die Maschine Mensch

Die Niederlage des Schwarzen

Ein Sonntag in der Provinz

In der Badewanne

Der kleine Tod

Der letzte Sprung

A song for Midori

French Kiss

Eine Partie Pingpong

Mögen Sie Sushi?

Sind Sie Schriftsteller?

Ein Manga-Tod

Plato und der Hauswart

Hidekos Geheimnis

Der Park

Der Trojanische Krieg

Spaghetti vor dem Fernseher

Der Polizeiknüppel

Die Zeit der Mimosen

Die Wetterfee

Herrn Tanizakis Problem

Amerikanisierung/Japanisierung

Noch ein Zoom

Ein kaltes Auge

Weiche Haut

Kamikaze

Ein Verleger in Stockholm

Der Kannibale kehrt heim

Verwandlungen

Eine schöne Aussicht auf den Strom

Chronik einer Enteignung

Der magische Moment

Bist du eine Nutte, Haruki?

Das Hotelzimmer

Der Tätowierte

Cowboystiefel

Hinter geschlossenen Lidern

Ein vergessenes Geheimnis

Die Gier nach Gold

Ich bin nicht Borges und Herr Tanizaki ist nicht der Richtige

Landschaft

Die letzte Reise

Der Schnellste

Ich war ausgegangen, um frischen Lachs zu kaufen, in der Zwischenzeit hatte mein Verleger angerufen. Er wollte wissen, wie weit ich mit diesem verflixten Buch bin. Reden wir lieber von dem Lachs. Früher habe ich ihn nicht vertragen. Wenn ich Lachs aß, erbrach ich ihn zehn Minuten später wieder. Das letzte Mal ist es mir bei einer Freundin passiert. Ich verfehlte die Kloschüssel, putzte ihr Badezimmer und wusch mein Gesicht, bevor ich wieder ins Wohnzimmer ging. Da schwor ich mir endgültig, nie mehr Lachs zu essen. Na schön, dies ist nicht mein erstes gebrochenes Versprechen. Versprechen, die ich mir selbst gebe, verpflichten mich zu nichts – außer vielleicht, dieses Buch zu schreiben. Die Stimme des Verlegers auf Band klang ziemlich sauer, trotz aller Wärme, die er hineinlegen wollte. Ich kann ihn sogar verstehen. Er hatte keine Gewalt anwenden müssen, um mich zu diesem Buch zu überreden. Ich hatte sofort heftig genickt, als er sagte, ich müsste unbedingt ein neues Buch schreiben. Das Wort „neu“ ängstigt mich immer ein wenig. Warum muss es ein neues sein? Es dürfte sich in der Zwischenzeit herumgesprochen haben, dass es nichts Neues mehr gibt. Aber man hält daran fest. Der Kunde will immer etwas Neues. Ich werde diese Debatte nicht wieder aufnehmen, mein Verleger kennt sie zur Genüge. Wir diskutieren jedes Mal darüber, wenn wir uns treffen. Das findet in seinem winzigen Büro statt (eines Tages wird man ihn unter seinen bunt angestrichenen Manuskripten und roten Schmökern herausziehen müssen), manchmal auch in einem Café um die Ecke. Er ist ein großgewachsener junger Mann mit weltverträumten Augen und einem entwaffnenden Lächeln. Ab und zu fährt er sich mit beiden Händen durch die Haare, wie um die Wolken zu vertreiben, die darin hängen. Wir hatten das Café noch nicht erreicht, da hatte ich schon den Titel. Im Titeln bin ich gut. Kurt Vonnegut jr. hat angeblich zu seiner Frau über mich gesagt, und sie hat es mir erzählt (jetzt rede ich wie ein Journalist), ich sei der schnellste „Titler“ von Amerika. Der Schnellste im Titeln, einverstanden, aber ich wüsste gerne, in welchem Zusammenhang er das gesagt hat. Vonnegut redete immer zusammenhanglos, das war überhaupt seine Spezialität. Aber wer braucht schon einen Zusammenhang, um bei einem Essen der Beste zu sein? Billy the Kid: der Schnellste im Schießen. Da fehlt nichts, der Satz ist vollständig und steht für sich. Doch bleibt der Ton. Hat er es in ironischem Ton gesagt? Seine Frau schwieg sich darüber aus. Vielleicht meinte er, ich wäre nur gut im Titeln, so dass man nicht weiterlesen muss. Immer noch besser als ein schlechter Titel, bei dem man nicht weiterlesen will. Unvorstellbar viele gute Bücher werden wegen eines schlechten Titels zu Ladenhütern. Die wenigen Kommentare zu meinen Büchern, die ich in Buchhandlungen höre, beziehen sich zu 90 % auf den Titel. Die Leser fragen mich oft, wie mir so ein Titel einfallen konnte. Ich kann es nicht sagen. Ich sitze eine Weile und plötzlich ist er da. Es hat keine zehn Sekunden gedauert, aber er ist fix und fertig. Als hätte er an der Ecke auf mich gewartet. Suchst du einen Titel? Ihnen kann man auch nichts verheimlichen. Er springt mir an die Gurgel und gleich darauf steht er fett auf dem weißen Blatt. Ich sollte ihn lange betrachten, in alle Richtungen drehen und wenden. Jedes Wort, was sage ich, jede Silbe, jeder Buchstabe muss am richtigen Platz sein. Unabhängig davon, was für ein Buch es werden soll, die paar Wörter müssen es vertreten. Es sind die Wörter, die man am häufigsten sieht. Für die übrigen muss man das Buch aufschlagen, doch sie hat man immer vor Augen. Sie enthalten alle Wörter des Buchs. Nicht nötig, den Roman von García Márquez nochmal zu lesen, es reicht, Hundert Jahre Einsamkeit zu sagen, oder Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Proust (muss man Proust überhaupt noch erwähnen? Kennt nicht jeder den Titel?) und alle Bilder aus dem Buch ziehen vor unseren staunenden Augen vorbei, wie ein erleuchteter Vorhang, der uns von der unerfreulichen Wirklichkeit trennt. Sogleich kommt jene Zeit (die Tage im Café, die Nächte unter der Lampe) aus den Falten unseres Gedächtnisses wieder herauf, und in ihrem Gefolge die vielen neuen Eindrücke bei der Lektüre. Ein guter Titel, was für ein großartiges Passwort! Wenn man einen Titel vorschlägt, der einem gefällt, tut man das am besten mit Vorsicht. Gewöhnlich will der Verleger etwas über den Inhalt wissen. Worum geht es? Heute werden solche idiotischen Fragen tatsächlich noch gestellt. Bei meinem Verleger ist das anders. Er lehnt sich, weiterhin lächelnd, ein wenig an seinem Schreibtisch zurück. Ich nutze die Gelegenheit, mir ein paar Titel in der Umgebung anzuschauen. Nichts Gutes dabei. Also werfe ich ihm den meinigen lässig über den Manuskripteberg hinweg zu. Was?

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