Ein über 30 Mal vorbestrafter Mitgefangener, der von meinem Kampf gegen die Psychologin Kachel und die Anstaltsleitung gehört hatte, sprach mich einmal in der Freistunde an.
„Sach ma, Zorro, warum macht es sich ein cleverer Bursche wie du so schwer? Ich hab’ bei der Vogelscheuche (Psychologin Kachel) ’n bisschen geschleimt und ihr gesagt, was sie hören wollte. Das gleiche bei der Preter (Die stellvertretende Anstaltsleiterin) und schon hatt` ich meine positive Prognose und geh in` Urlaub. Meinst du, die glauben deswegen wirklich ich hör’ mit der Shore (Heroin) und den Brüchen auf?! – Du dagegen bist wahrscheinlich der Einzige hier, der nicht wieder einfährt. – Das ist doch alles Scheiße, Alter!“
Ich versuchte nochmals mit der stellvertretenden Anstaltsleiterin zu sprechen. Als ich das Gutachten in bedachter Weise problematisierte, stellte sie sich mit dem schlichten Satz vor die Dame Kachel, dass meine kritische Einstellung und meine Beschwerde die Einschätzung meiner Persönlichkeit durch die Gutachterin nur bestätigen würde und es keine Gesprächsbasis und Perspektive für mich gäbe.
Während ich auf das Ergebnis der Beschwerde wartete, bemühte ich mich um psychologische Einzelgespräche, um mich für kommende Vollzugsentscheidungen abzusichern. Ich führte aus diesem Anlass mit mehreren Psychologen Informationsgespräche. Der Leiter des psychologischen Dienstes war in unserer ersten Unterhaltung psychologischen Einzelgesprächen mit mir nicht abgeneigt. Dieser Oberpsychologe der Anstalt war ein gemütliches Schwergewicht, immer unrasiert und in ausgelatschten Birkenstock-Sandalen herumschlurfend, der in seinen Diagnosen bekanntermaßen jedem eine erste faire Chance gab. Im zweiten Gespräch war dieser Oberdruide völlig verwandelt. Er verhielt sich distanziert und nervös und beteuerte plötzlich, dass er Einzelgespräche nur in Verbindung mit Gruppengesprächen führen würde, wohl wissend, dass ich gleich eingangs unserer ersten Unterhaltung Gruppengespräche grundsätzlich abgelehnt hatte (Ich hatte kein Interesse, mich mit Kinderschändern und sadistischen Frauenmördern zu einer Palaverrunde in einen Kreis zu setzen).
„Erst bei drei Personen fängt die Wahrheit an“, baute der Oberpsychologe seine Abwehrstrategie auf.
„Genau“, lächelte ich ihn an, „damit bestätigen sie mich und führen die hier in dieser Anstalt stattfindenden Diagnosegespräche mit nur einem einzigen Psychologen ad absurdum.“
Der Seelenforscher schien die Fassung zu verlieren. Er stand wortlos auf, wühlte gehetzt und entnervt in seinen Papieren auf dem Schreibtisch und begann mich, mir den Rücken zugewandt, langsam hinauszukomplimentieren, indem er mir empfahl, mich mit einem anderen Psychologen der Anstalt auseinanderzusetzen.
Meine Anklage besteht darin, dass die verantwortlichen Entscheider im Strafvollzugssystem, denen der Gefangene auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, unkontrollierte Einzelindividuen sind. Naturgemäß können diese „(un)heimlichen Richter“, wie sie der Buchtitel eines bekannten deutschen Gutachters bezeichnet, nicht objektiv sein. Ihre unkontrollierte Allmacht und Unantastbarkeit bergen immer die Gefahr, dass sie sich von Sympathien/Antipathien, von selbstgefälligen Eitelkeiten oder gar Größenwahn leiten lassen, wenn sie nicht schlicht unfähig, gefährlich gestört oder gar komplett geisteskrank sind. (Welche Verbrechen unter den Kutten von Geistlichen und Pädagogen stattfinden, die ihre unkontrollierte Fürsorge- und Verantwortungspflicht missbrauchen, dringt selten genug ans Licht, was an Vergehen gegen die Fürsorge- und Verantwortungspflicht hinter den dunklen Gemäuern der Knäste stattfindet, bleibt gewöhnlich auch immer dort). Wo keine Kontrolle ist herrscht Willkür. Unschuldige Menschen werden für Jahre einer zerstörerischen Haft ausgesetzt oder in der zerstörerischen Gefangenschaft geschlossener Psychiatrien lebendig begraben. Gefährliche Gefangene, die die anfälligen Egos der Entscheider zu umgarnen vermögen, werden viel zu früh in die Freiheit entlassen, während aufrechte Gefangene gegen jede Wahrheit und Notwendigkeit Ewigkeiten über die Zeit in Knastgefangenschaft gehalten werden.
Man sollte jedem Gutachten, sei es psychologischer, anthropologischer oder den physischen Gesundheitszustand betreffender Natur sein, zur Kontrolle mindestens ein zweites unabhängiges Gutachten zur Seite bzw. gegenüberstellen. Und man sollte die allmächtigen Entscheider regelmäßig auf ihre fachliche Kompetenz und geistige Zurechnungsfähigkeit hin begutachten. Dann würden bedeutend weniger haarsträubende und kriminell gefährliche Fehlentscheidungen getroffen werden, die ganz Menschenleben zerstören, wie nicht nur das folgende Beispiel eines meiner Gutachter belegt:
Auf einem Videokamerabild von einem zweimaligen Volksbank-Überfall, dessen ich angeklagt war, war die Zorromaske des Täters ein wenig verrutscht, und man konnte einen winzigen Teil des Gesichts und damit möglicherweise anthropologische Merkmale erkennen. So hatte man mich im Gießener Knast zwecks eines anthropologischen Gesichtsgutachten, angeleitet von dem bekannten Gesichtsanthropologen Dr. Schaff, aus allen möglichen Perspektiven photographiert.
Im Gießener Prozess hatte nun der Humanbiologe Dr. Schaff seinen Auftritt. Dieser forsche, braungebrannte, vor pfauenhafter Selbstgefälligkeit strotzende junge Gutachter schien geradezu überzuquellen vor positiver Energie und innovativem Aktionismus. Nachdem er, Beifall heischend und mit einem selbstverliebten Blitzen in den stahlgrauen Augen, längere und nicht nachvollziehbare Ausführungen in den Gerichtssaal geschleudert hatte, trompetete er triumphierend, dass ich mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ der Täter sei. „So habe sich bei einem Vergleich mit Aufnahmen des Angeklagten, die von dem Sachverständigen selbst mit entsprechendem Blickwinkel und gleichen Lichtverhältnissen gefertigt worden sind, eine große Ähnlichkeit bei insgesamt 12 feststellbaren Merkmalen ergeben.“
Der gemütliche, weißhaarige alte Fuchs von Richter, der sich die Ausführungen des Humanbiologen Schaff in aller Ruhe angehört hatte, während er in seinen Akten blätterte, sprach Schaff darauf an, dass „der Sachverständige Dr. Schaff bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen den Angeklagten im Juli 1994 von der Polizei kontaktiert worden und unter Vorlage einer Bildauswahl u. a. auch zu den Möglichkeiten der Erstellung eines anthropologischen Vergleichsgutachtens bezüglich des Überfalls auf die Volksbank vom 10. 6. ’94 befragt worden (war). In seinem Antwortschreiben vom 10. 9. ’94 erklärte er damals, kein Gutachten erstellen zu können, da auf dem ihm übersandten Lichtbildmaterial keine verwertbaren Merkmale zu erkennen seien.“ (Urteilsbegründung)
Der eingangs so dynamische und vor Selbstverliebtheit funkelnde junge Sachverständige schrumpfte sichtlich unter den Ausführungen des Richters. Der Richter fragte Schaff, warum er zu dem Zeitpunkt, als noch kein Bildmaterial von mir vorlag, auf dem Videokamerabildmaterial keine verwertbaren Merkmale erkennen konnte, er jedoch in dem Moment auf demselben Videokamerabildmaterial verwertbare Merkmale erkennen konnte, als nachträglich im Gefängnis aufgenommenes Bildmaterial von mir als dem angeklagten, vermeintlichen Täter vorlag.
Der Sachverständige Schaff blätterte hektisch in seinen Unterlagen, suchte nach Worten und konnte sich die für ihn doch etwas peinliche Situation nicht erklären. Er ward entlassen.
Auch im Kölner Prozess, in dem Schaff gehört wurde, wurde der Humanbiologie und Schwiegermuttertraum erwischt und von Gericht und Verteidigung abgekanzelt wie ein ertappter Schuljunge. Meine Anwälte hatten zusätzlich einen „Focus“-Artikel als Beweisantrag eingebracht, in dem ausführlich dargestellt wurde, wie Herr Dr. C. Schaff in einem Gerichtsverfahren den Halter eines Fahrzeugs anhand eines Blitzbildes einer Straßenüberwachungskamera der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung „überführt“ hatte. Schaff hatte den Halter des Fahrzeugs mit „100%iger Sicherheit“ anhand der „100%igen“ Übereinstimmung“ aller „17“ auf dem Überwachungsfoto erkennbaren anthropologischen Merkmale als den Fahrer des Wagens, und damit als unentrinnbaren Täter identifiziert, bevor dessen 16 Jahre jüngerer Stiefsohn, der als nichtleiblicher Sohn natürlich auch keine genetische Ähnlichkeit aufweisen konnte, sich als Fahrer und Motiv des Überwachungsbildes offenbart hatte.
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