1987, Rhyme Pays, Ice-T
Sie sitzen beide hinten auf einer Bank auf dem Spielplatz im Park, halb verborgen von einem Strauch. Eine Gruppe von acht Deutschen steht im Sandkasten und raucht, vierzehn, fünfzehn mögen sie sein.
– Da hinten kommen Türken, lass uns verschwinden.
Der Größte und offensichtlich Kräftigste unter ihnen, der, den sie Fuß nennen, sagt:
– Irgendwen von denen werde ich schon kennen. Lass uns bleiben.
– Lass uns abhauen. Die wollen doch nur Ärger.
– Wir bleiben, entscheidet Fuß.
Die Jungen auf der Bank hinter dem Strauch können sehen, dass die anderen Angst haben, aber Fuß hat das Sagen.
Murat, Berkay und Abbas sind vorne in der Gruppe der Türken. Sie stellen sich nebeneinander direkt vor die Deutschen, ohne ein Wort zu sagen. Die beiden auf der Bank können sehen, dass einige von den Deutschen jetzt noch mehr Schiss haben, obwohl die drei vor ihnen gerade mal zwölf sind. Zwei Jahre älter als sie selber.
Was guckst du so?, könnte einer von den Dreien sagen und es würde Ärger geben. Oder auch: Warum guckst du mich nicht an, wenn ich vor dir stehe?
Erol, Kazim und Fatih kommen hinzu, die sind schon dreizehn, vierzehn, und alle stehen jetzt in einem Halbkreis vor den Deutschen.
Jetzt können die Jungen auf der Bank die Angst fast riechen. Sie fragen sich, ob es zu einer Prügelei kommen wird oder ob die Deutschen rennen werden. Sie wissen, Berkay und Abbas sind heiß darauf, sich zu beweisen.
Tarkan, Erci und Kerim kommen als Letzte. Noch bevor die anderen Deutschen es bemerken, sieht der kleinere der beiden Jungen das Lächeln auf Fuß’ Gesicht.
– Tarzan, sagt Fuß, hebt die Hand und geht auf ihn zu.
– Fuß, sagt Tarkan, was machst du mit diesen Losern hier?
Die Hände schlagen auf Schulterhöhe ein.
– Die wollten schon gehen, sagt Fuß, aber ich habe ihnen gesagt, lass bleiben, da ist bestimmt jemand, den ich kenne. Und da bist du.
– Ja, da bin ich. Da habt ihr echt Glück gehabt, sonst hättet ihr alle aufs Maul bekommen. Ist ne Lebensversicherung, mich zu kennen. Wenn einer dir Ärger macht, brauchste nur zu sagen: Ich bin ein Freund von Tarzan. Mein Name ist ne Lebensversicherung. Tarzan, King von Westmarkt.
Die Kleinen sind enttäuscht. Etwas später, als die Deutschen weg sind, sieht Tarkan die beiden auf der Bank.
– Verschwindet, sagt er.
Sie stehen auf. Als sie außer Hörweite sind, sagt der Größere zum Kleineren:
– Wenn ich Tarkan gewesen wäre, hätte ich Fuß einfach trotzdem geschlagen.
Es war fast elf, als das Telefon klingelte.
– Was hast du ihm gesagt?, fragte Ayleen aufgebracht, ohne auch nur Hallo zu sagen.
– Was soll ich ihm gesagt haben?
– Weiß ich nicht. Irgendetwas hast du gemacht.
Sie schrie fast.
– Was ist passiert?
– Lesane hat Sami eine Kopfnuss gegeben.
– Scheiße.
– Ja. Scheiße. Was hast du ihm gesagt?
– Nichts, was so eine Reaktion auslösen könnte.
– Ah, ja?
– Was ist denn genau passiert?
– Wir sitzen vor dem Fernseher, Lesane kommt rein, total bekifft und total scheiße drauf, Schuhe noch an den Füßen, schnappt sich die Fernbedienung, lässt sich auf die Couch fallen und schaltet einfach um. Sami sagt: Hey, wir gucken das gerade. Geh in dein eigenes Zimmer. Und Lesane: Ich gucke, wo es mir passt. Sami steht auf, versucht ihm die Fernbedienung abzunehmen und meint: Tickst du eigentlich noch sauber? Hat dir jemand das Hirn abgeschleppt, oder was? Lesane lässt die Fernbedienung los, steht auf, gibt Sami voll die Kopfnuss und rennt raus.
– Wo ist er jetzt?
– Keine Ahnung. Was hast du ihm erzählt, verdammt?
– Beruhig dich. Ich glaube nicht, dass es an mir liegt.
– Ach, nein? Etwa an mir oder was?
– Das habe ich nicht gesagt.
Ich holte tief Luft.
– Ich spreche mit ihm, sagte ich.
– Wir haben ja gesehen, wohin das führt.
Man braucht nicht mit einer Frau zusammenzuleben, um Vorwürfe von ihr zu hören.
– Ayleen, bitte.
– Ich hätte dich nie …
Sie brach ab, schnaubte und legte auf.
Vielleicht hätte sie mir auch viel früher die Wahrheit sagen sollen, dann hätte ich eine Gelegenheit gehabt, den Jungen kennenzulernen.
Ich kam nicht dazu, mir zu überlegen, wann ich Lesane anrufen wollte. Das Telefon klingelte.
– Ja?
– Hallo, sagte Lesane. Ich glaube, ich habe Scheiße gebaut.
– Das glaube ich auch.
Er zögerte einen Moment.
– Hat Ayleen dich angerufen?
– Ja.
– Darf ich bei dir pennen?
– …
– Hallo?
– Ja.
Es klang nicht wirklich überzeugend, nehme ich an.
– Ich kann jetzt nicht nach Hause. Scheißstimmung da.
– Komm her. Dann sehen wir weiter.
Ich gab ihm die Adresse durch, setzte mich auf das Sofa und fragte mich, was passiert war. Und ob es eine Möglichkeit gab, dass Lesane mir die Wahrheit erzählte.
Eine halbe Stunde später war er da, nagelneue Jordans, rotschwarze Jogginghose und ein Helly-Hansen-Shirt.
– Danke, sagte er, als er mir die Hand gab. Korrekt von dir. Seine Augen glänzten noch vom Kiffen, aber sie waren kaum noch rot.
– Komm, setz dich, willste was trinken?
– Cola.
– Cola habe ich nicht. Wasser? Bier?
– Bier.
Als wir anstießen, sagte ich:
– Erzähl mir doch, was passiert ist.
Seine Version unterschied sich nicht von Ayleens. Ich überlegte kurz, ob ich ihn fragen sollte, warum er denn Sami so provoziert hatte. Ob ich Ayleen texten sollte, dass er bei mir war. Oder ob das Zeit hatte.
– Hast du keinen Fernseher?, fragte er.
– Nein.
– Warum nicht?
– Damit wir uns nicht über die Fernbedienung streiten können.
Er lachte nicht, aber er gab sich damit zufrieden und holte sein Handy raus.
– Welches WLAN?
Ich schüttelte den Kopf.
– Du hast kein Internet?
– Nein.
– Du willst mich verarschen.
– Nein.
– Du bist Onlinedetektiv, hast du gesagt. Du arbeitest im Internet.
– Ja, aber nicht zu Hause.
– Wo denn?
– Im Büro. Ist um die Ecke. Ich gebe dir die Schlüssel, wenn du willst.
Ich wusste nicht, ob das eine gute Idee war, ihm die Schlüssel anzubieten, aber nun hatte ich es schon gesagt.
– Und zu Hause hast du kein Internet?
– Nein.
– Warum?
– Ich halte die Kosten gering.
– Zahlen die Opfer nicht so gut?
– Ich bin zufrieden.
Er nickte, stand auf und ging ans CD-Regal.
– Wonach sind die sortiert?
– Chronologisch.
Er drehte sich um und sah mich an.
– Nach Erscheinungsjahr. Warte, hier, das ist an dem Tag erschienen, an dem du geboren wurdest.
Er sah die CD an, dann wieder mich.
– Safe?
– Ja. 23. Mai 2000.
– Wusste ich nicht.
Er war beeindruckt.
– Du kennst das Album?
– Klar.
Er ging zum CD-Spieler und legte die The Marshall Mathers LP ein, skippte aber direkt zu The Real Slim Shady, sein Kopf nickte und er rappte einen Teil der Hook mit: So won’t the real Slim Shady please stand up, please stand up, please stand up?
Ich übernahm den Rest der Hook und wir sahen uns an und lächelten.
Als ich morgens aus dem Haus ging, lag er noch auf dem Sofa, das ich für ihn bezogen hatte. Als ich mittags heimkam, saß er drauf, vor sich einen Flachbildschirm und eine Playstation, und zockte. Wahrscheinlich hatte er am Fenster geraucht, der Grasgeruch war kaum mehr wahrzunehmen.
– Morgen. Möchtest du etwas essen?
– Klar. Immer.
– Auberginencurry?
Er sah mich an, wie er mich angesehen hatte, als er feststellen musste, dass ich nicht nur keinen Fernseher, sondern auch kein Internet hatte.
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