– Komische Nummer von deiner Mutter, das so lange zu verschweigen, sagte ich.
– Und die versucht mir beizubringen, nicht zu lügen, sagte er. Die Bedienung kam, ich bestellte einen Kaffee und Lesane eine Cola, nachdem er zunächst nach einem Energydrink gefragt hatte.
Ich wusste nicht, was ich als Nächstes sagen sollte. Vielleicht weiß man das nie. So lange hatte ich es geschafft, nicht verwickelt zu werden, und jetzt war ich mittendrin.
– Was machst du eigentlich so? Ayleen hat gesagt, ich soll selber fragen.
– Ich bin Detektiv.
– Detektiv?
Ich sah, wie ich in seiner Achtung sank.
– Ja.
– So Ladendetektiv?
Ich schüttelte den Kopf. Seine Hände sahen meinen ähnlich, doch. Und an den Knöcheln keine Zeichen von Prügeleien. Seine Körperhaltung und seine Bewegungen verrieten, dass er sich viel bewegte.
– Privatdetektiv.
Er sah mich ungläubig an.
– So hollywoodmäßig, oder was?
– Leute kommen zu mir, wenn die Bullen ihnen nicht weiterhelfen können.
– Du bist also so me…
Er schluckte das Wort runter, was immer es gewesen war, das er hatte sagen wollen. Ich sah ihn an. Siebzehn. Ich atmete ein. Ich atmete aus. Es musste einen Weg zu ihm geben. Einen direkten, kurzen, ehrlichen. Ich sah seine Ablehnung.
– Schau, Lesane, ich bin etwas nervös. Das passiert nicht alle Tage, dass man seinen fast erwachsenen Sohn kennenlernt. Und wenn ich du wäre, würde ich es auch scheiße finden, dass mein Vater so etwas Ähnliches ist wie ein Mietbulle. Auf jeden Fall.
Keine Regung.
– Ich bin noch nicht so lange in diesem Job. Ich habe viele verschiedene Sachen gemacht. Eine Zeit lang war ich Personal Trainer, für so reiche Leute, die es nicht schaffen, sich selbst zum Training zu motivieren. Die kein Buch in die Hand nehmen, nicht selber lesen wollen, die gelobt und gehätschelt werden wollen und die dich dafür bezahlen, dir auf den Sack zu gehen. Ich habe gut Geld damit verdient. Achtzig Euro die Stunde.
Ich erkannte die Andeutung eines geringschätzigen Lächelns.
– Irgendwann habe ich diese Leute nicht mehr ertragen, redete ich weiter. Eine Zeit lang habe ich dann einen Kiosk betrieben. Da haben die Kunden nicht das Gefühl, sie könnten dich kaufen für ihr Geld. Ich dachte, mit der Verkaufstheke als Abstandhalter würde es für mich leichter werden, freundlich zu sein zu den Leuten. Aber das stimmte leider nicht. Nach fünf Jahren auf vierzehn Quadratmetern habe ich als Detektiv angefangen. Detektiv ist kein geschützter Beruf, das kann jeder werden, du bist einfach nur ein Gewerbetreibender. Und ich bin Internetdetektiv, das heißt, ich brauche mich nicht direkt mit den Menschen auseinanderzusetzen.
– Internetdetektiv?, fragte er.
– Menschen wollen wissen, ob ihre neue Facebookbekanntschaft vielleicht ein Scammer ist.
Er sah mich fragend an.
– Romance Scammer zum Beispiel. Schreiben jemanden an. Geben sich als junge Frau aus. Schicken Fotos. Machen den Klienten verliebt in sich, wollen zu einem Treffen kommen und bitten dann um Geld für den Flug. Oder erzählen von einer Not-situation. Jemand in der Familie ist gestorben oder so.
– Richtig Steine kann man damit nicht verdienen, oder?
– Wer? Ich oder die Scammer?
– Die Scammer.
– Wenig Aufwand. Ein wenig chatten, flirten, Verständnis vorspielen und schauen, ob nicht einer von den Fischen, die man da fängt, doch eine fette Kuh ist, die man melken kann.
– Das ist alles, was du machst?
– Cybermobbing, Eltern, die ihr Kind schützen möchten, Scam-Mails, Überprüfung von Webseiten, Leute, die in Shops bestellt haben, die nicht liefern, Fake-Wohnungsangebote, Fake-Jobangebote, Betrug eben, manchmal Urheberrechtssachen oder Erpressungen, wenn der Rechner infiziert ist. Es gibt viele Leute, die sich im Stich gelassen fühlen und jemanden brauchen, dem sie vertrauen können, wenn es ums Internet geht.
– Du arbeitest für Opfer.
– Ja, sagte ich. Aber du arbeitest immer für Opfer. Egal wie du es drehst und wendest.
Er hatte offensichtlich eine andere Meinung, hielt aber seinen Mund.
Savaş starb, als Phantom of the Rapra erschien, da war ich ein Jahr älter als Lesane jetzt. Hirntumor. Er mochte mich, er mochte mich gerne, auch wenn wir nie viel miteinander gesprochen haben. In der Anfangszeit des Tumors war er häufiger redselig, aber auch sprunghaft, erst in den letzten Wochen wurde er so aggressiv. Einmal saßen wir zusammen im Wohnzimmer. Kamber war nicht da.
– Mein Sohn, hatte er gesagt, die Deutschen sind stolz auf ihre Arbeit, die gehen unter Tage und sind stolz darauf. Die schippen Kohle und sind stolz drauf. Ich war nie stolz auf meine Arbeit. Ich war stolz, dass ich meinen Eltern Geld schicken konnte, weil sie zu alt zum Arbeiten sind, ich war stolz, dass ich meinem Bruder helfen konnte, nachdem er den Arm verloren hatte, aber ich war nie stolz auf die Arbeit hier. Ich habe nur geschwitzt und geschuftet, zu jeder Zeit, die sie mich an diesem Hochofen haben wollten, war ich da. Mein ganzes Leben habe ich da ausgeschwitzt. Ein Vater möchte seinen Söhnen etwas beibringen. Manchmal stelle ich mir vor, ich wäre Arzt geworden oder Anwalt oder auch nur Übersetzer. Manchmal stelle ich mir vor, ich wäre etwas geworden, von dem ich meinen Söhnen sagen kann: Das ist gut. Ihr könnt so werden wie ich. Aber ich habe nur versucht euch beizubringen, wie man nicht so wird wie ich. Und wie soll man seinen Söhnen so etwas beibringen? Aber wir sind immer aufrecht gestanden. Ganz vorne. Wir haben uns nie versteckt und wir haben immer versucht, euch zu beschützen. Aber ich weiß nicht, ob das etwas zählt. Wo sind sie, die Helden, die starken Männer, die, die sich für groß gehalten haben? Sie sind tot, wie alle anderen. Es ist eine vergängliche Welt, am Ende des Weges hörst du auf zu atmen. Wenn ich tot bin, ist die Reihe an dir.
Ich habe nicht verstanden, was er sagen wollte.
– Die Reihe?
– Nach mir bist du dann dran mit Sterben. Du musst nach vorne.
Ich war gerührt, habe aber versucht, mir nichts anmerken zu lassen.
– Und Kamber?
– Aus dem wird nichts Gescheites mehr.
– Aber …
Er hat die Hand auf meine Schulter gelegt und den Kopf geschüttelt. Ich sollte still sein.
– Kamber, fing ich trotzdem noch mal an.
– Ich will den Namen nicht mehr hören.
In die Rührung mischte sich der Schmerz, meine Augen wurden feucht und ich sah weg. Ich wusste nicht, ob ich jetzt einfach aufstehen konnte oder nicht, und so saßen wir schweigend nebeneinander.
– Die Reihe ist an dir, sagte er nach einer Weile, bald stehst du an vorderster Front. Und du wirst gefickt werden, auf die eine oder andere Art wirst du gefickt werden. Es gibt kein Entkommen.
Er sah mich an, ich wusste nicht genau, was er mir sagen wollte, aber ich verstand, dass er auf irgendeine Art an mich glaubte.
– Jeder Mensch weint, murmelte er. Und jeder Mensch stirbt. Drei Monate später war er tot. Er wurde in der Türkei beerdigt und ich bin nicht hingeflogen. Kamber auch nicht.
Ich dachte an dieses Gespräch und wie nah wir uns gewesen waren. Es musste eine Möglichkeit geben, Lesane und mich zu verbinden.
– Was ist das mit Sami und dir?, fragte ich ihn.
– Was soll da sein?
– Ayleen sagt, ihr prügelt euch fast.
– Ja.
– Warum?
– Weil er einfach nicht peilt, dass er kurz davor ist, eine Schelle zu kassieren. Der hat mir gar nichts zu sagen. Ich bin kein Kind mehr.
– Ayleen muss verdammt verzweifelt sein, wenn sie glaubt, es könnte etwas nützen, dass wir uns treffen. Wir kennen uns nicht. Sie möchte dir irgendwie helfen. Und sie vertraut dir. Sie vertraut dir, dass du nicht zu Sami gehst und ihm die Wahrheit sagst. Egal, was sonst auch immer passiert. Das heißt, sie glaubt, du bist ein Ehrenmann, der nie seine Mutter verraten würde. Vielleicht möchte sie, dass du ein wenig Abstand gewinnst.
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