– Vierzehn Händler insgesamt, sagte ich, einer aus Südafrika, vier aus Holland, neun aus Großbritannien, einer aus Deutschland. Das schränkt die Suche zwar ein, doch es bleibt unwahrscheinlich, dass ich herausfinde, wer von diesen vierzehn es war.
Er sah auf den Bildschirm und ich legte mir die Antwort auf die Frage zurecht, warum ich bei dieser Plattform einen Account hatte. Aus beruflichen Gründen. Die Frage kam nicht.
– Das Honorar, sagte ich. Für Schritt eins, Auswertung der Festplatten: 1.000 Euro. Für Schritt zwei, Suche nach dem Dealer: 6.000 Euro, Spesen wie Flüge und Hotel extra, für den Fall, dass Schritt drei eintritt: 10.000 Euro Provision.
– 17.000, sagte er in einem Tonfall, der mir zu verstehen gab, dass er in der Regel derjenige war, der die Ansagen machte. Ich nickte. Er sah wieder aus dem Fenster, zögerte. Überlegte vielleicht, ob er versuchen sollte mich runterzuhandeln.
Das ist dein Sohn. Ist er dir dieses Geld nicht wert? Musst du es dir vom Munde absparen? Was kostet Gerechtigkeit in dieser Welt? Was für Preise rufst du denn für deine Arbeit auf?
Glaubst du etwa, ich weiß nicht, dass du eine Agentur für Kommunikationsdesign hast und glaubst du, ich habe nicht die Namen deiner Kunden gesehen? Willst du einen Trauerbonus? Was hat denn allein der Sarg gekostet, den du deinem verwöhnten Sohn gekauft hast?
Sobald die Trauer aus deiner Fresse verschwunden ist, wird nur noch Selbstgefälligkeit bleiben.
Sagte ich natürlich nicht.
– Sehen Sie, Herr Armbruster, ich bin Dienstleister, einer der besten auf diesem Gebiet, das hat Herr Balcı Ihnen sicher gesagt. Ich verkaufe keine Gebrauchtwagen oder Smartphones, ich verkaufe Fachkenntnis. Kennen Sie die Geschichte von dem Trecker, der stehen bleibt und ein Mechaniker kommt vorbei? Klopft einmal leicht mit dem Hammer gegen den Motor und der Trecker läuft wieder. Er berechnet dem Bauern 100 Euro. 100 Euro, nur dafür, mit dem Hammer gegen den Motor zu hauen?, fragt der Bauer. Nein, sagt der Mechaniker, 1 Euro, um mit dem Hammer gegen den Motor zu hauen. Und 99 dafür, dass man auf die richtige Stelle haut.
Er zeigte keine Reaktion.
Ich bin kein Teppichhändler, aber wenn du dunkel bist, ist es klüger, sich ein wenig wie einer zu verhalten, einen Teil ihrer Vorurteile zu bestärken, damit sie sich sicher fühlen. Orientale, erzählt gerne Geschichten, scheint aber kompetent, möglicherweise sogar gerissen. Vielleicht der richtige Mann für den Job.
Bei den meisten Klienten gab ich eher den netten Ausländer: charmant, geizt nicht mit Komplimenten, ich schmierte ihnen Honig ums Maul, zeigte Verständnis dafür, dass sie sich im Neuland nicht auskannten. Sagte ihnen, dass es mir mit einem anderen Beruf wahrscheinlich genauso ginge.
Bei denen rief ich aber auch nicht solche Honorare auf.
Ich sah ihn an. Ich fragte mich, ob ich zu hoch gepokert hatte.
– Es steht Ihnen natürlich frei, sich woanders noch ein zweites Angebot einzuholen, sagte ich.
– 17.000, sagte er und stand auf. Wir gaben uns die Hand.
Nachdem ich ihn verabschiedet hatte, konnte ich mich nicht freuen. Erstens war nicht gesagt, dass ich den Dealer finden konnte. Zweitens war sein Sohn gerade gestorben. Ein Jahr älter als Lesane. Drittens mochte ich Herrn Armbruster nicht und wollte eigentlich gar nicht für ihn arbeiten.
Drittens war egal. Ich mochte die meisten Menschen nicht.
Es war alles beim alten, nur dass ich Gelegenheit hatte, ordentlich Asche zu verdienen.
Ich war noch eingeloggt bei Dream Market und klickte auf die Angebote von Tr4der Joe, legte fünf Gramm Critical Mass in meinen Einkaufswagen, bezahlte mit meinem Bitcoinguthaben.
Diese Plattformen hatten alle ein Treuhandsystem, das sich Escrow nannte. Die Bitcoins, mit denen man bezahlt hatte, blieben auf der Plattform, bis man den Erhalt der Ware bestätigt hatte oder bis eine bestimmte Frist abgelaufen war, dann erst wurden sie dem Händler gutgeschrieben. So versuchte man sicherzustellen, dass Käufer nicht betrogen wurden.
Die Kursschwankungen des Bitcoin, die Gefahr, dass die Plattform von den Behörden jederzeit geschlossen werden konnte, und die Möglichkeit, dass der Käufer der unehrliche war, der zwar die Ware bekam, aber behauptete, nichts erhalten zu haben, all diese Gefahren führten dazu, dass manche Händler ihre Ware erst losschickten, nachdem man verfrüht den Erhalt bestätigt hatte. Tr4der Joe war einer von ihnen. Ich bestätigte den Erhalt des Grases und vergab bei der Bewertung 5 Sterne. Dazu schrieb ich: FE, finalized early, will update.
Das war nicht meine erste Bestellung bei Tr4der Joe, ich wusste, dass sie ankommen würde.
Sonntags schlief ich immer lange. Oder versuchte es zumindest. Ich ließ die Augen geschlossen und drehte mich immer wieder um. Ich stellte mir vor, ich würde eine lange Treppe hinabsteigen, die geradewegs in den Schlaf führte. Manchmal klappte es.
Ich versuchte lange zu schlafen, als würde Schlaf mich schützen oder rüsten. Ich versuchte nicht mehr, sonntagvormittags zu meditieren, es war einfach zwecklos, es war die Zeit, in der ich meinen Geist am wenigsten unter Kontrolle hatte. Es sah dann nur so aus, als würde ich ruhig sitzen, aber je ruhiger ich vielleicht schien, desto mehr füllte sich alles mit Sorgen, als sei ich ein Gefäß, in das man dunkle Gedanken hineinschüttet. Je länger ich sonntags saß, desto eher war ich davon überzeugt, dass ich einfach nicht genug Liebe in mir hatte.
Ich frühstückte nicht, weil sie sich freute, wenn ich viel aß, wenigstens das.
Monatelang hatte ich sonntags Fleisch gegessen, weil ich es nicht übers Herz brachte ihr zu sagen, dass ich eigentlich damit aufgehört hatte. Schließlich hatte ich es doch erzählt, und sie hatte geschimpft und mich gefragt, was ich glaubte damit zu erreichen. Doch es hatte nicht dazu geführt, dass sie weniger kochte oder ihr gar die Ideen ausgingen.
Ich werde aufmerksam sein, nahm ich mir vor, als ich kurz vor eins die Treppen hochstieg. Ich werde zuhören. Ich werde nicht müde werden. Ich werde nicht in Gedanken abschweifen. Ich werde nicht gegenhalten und ich werde nicht genervt sein. Regelmäßig rappte ich auf diesen Stufen zu ihrer Wohnung: There’s no way I can pay you back, but the plan is to show you that I understand: you are appreciated .
– Nizar, sagte sie und umarmte mich, gab mir einen Kuss links und einen Kuss rechts, mein Sohn, komm rein. Du bist nicht wie die anderen. Gott sei’s gedankt.
Während des Essens hörte ich zu, wie sie erzählte, dass Güls Schwester jetzt im Sommerhaus wohnen würde, dass die beiden sich endgültig zerstritten hätten. Sie erzählte, dass Hakan mit einer Zwei-Drittel-Strafe aus der Haft war, dass Amira und Latif geheiratet hatten, aber jeder wusste, dass er fremdging. Sie erzählte von Brana, die fortgezogen war, um ungestört anschaffen gehen zu können, von Samiha, die in ihrem Alter noch putzen ging, von Giwar, der seinem Sohn Klavierstunden bezahlte und sich für etwas Besseres hielt. Von Alp, der seine Tochter in die Türkei geschickt hatte, weil jemand sie beim Knutschen gesehen hatte, von Hazal, die einen Studenten vor die U-Bahn geschubst hatte, von Timur, der einen Vertrag unterschrieben hatte und jetzt mit Rap Geld verdienen wollte, von Mikolaj, der letzten Monat insgesamt 14.000 Euro mit Sportwetten verdient hatte und jetzt überall damit angab. Sie erzählte, wie Snežana mit Zoran über Hakeem geredet hatte, weil Gülşah Vince verraten hatte, dass Canan ihrer Mutter das Handy geklaut hatte. Oder so ähnlich. Ich schaffte es nicht mehr zuzuhören. Zu vielen der Namen hatte ich Gesichter, doch viele waren mittlerweile verschwommen in meiner Erinnerung. Die Namen der Jüngeren sagten mir gar nichts, und das war gut so. Ich interessierte mich einfach nicht dafür, was in Westmarkt passierte. Auch ihr zuliebe nicht. Ich interessierte mich nicht dafür, aber ich wusste dennoch fast alles. Oder hätte es wissen können, wenn ich es geschafft hätte zuzuhören.
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