»Na, du hast es nötig! Wo ist er übrigens?«
»Wer?«
»Dein Charly Manson.«
»Er heißt Charles! Und Charles ist in Wien, du Hornochse!«
»Hat er wieder ein Auditing bei Scientology?«
An diesem Punkt sah sich Carla Burkhardt erneut gezwungen, einzuschreiten. Sie fand, dass sich ihre Kinder vor der Polizei mehr als ungehörig benahmen. Sich so vor diesem jungen Inspektor aufzuführen, wo im Haus doch ein Toter lag, und der Inspektor nicht einmal einen Hehl daraus machte, dass er die Familie für nicht ganz unschuldig hielt!
»Ich glaube, im Moment interessiert den Herrn Inspektor eure Auseinandersetzung nicht«, sagte sie scharf.
Paul aber war dem Disput der Geschwister mit Interesse gefolgt. Charles Manson, um Himmels willen! So hatte doch dieser satanische Sektenführer geheißen, der vor einem halben Jahrhundert die schöne und hochschwangere Hollywood-Schauspielerin Sharon Tate von seinen weiblichen Jüngern ermorden ließ! Wie konnte man sich bloß so nennen! War das der Freund von Stefanie? Und was hatte er mit Scientology zu tun? Das Mädchen war ihm jetzt nimmer wurscht. Welchen Umgang pflegte sie eigentlich mit ihren höchstens sechzehn Jahren? Und warum ließen ihre Eltern so etwas überhaupt zu?
Er räusperte sich noch einmal, diesmal mit Nachdruck. »Wenn Sie mir nun bitte folgen«, wiederholte er und nickte Gertrud zu. »Frau Klampfl, Sie können mit mir fahren.«
Während sich Gertrud ungeheuer wichtig vorkam, als sie zu dem jungen Inspektor in den Wagen stieg, trotteten die Burkhardts auf Martins schwarze Sportlimousine der Marke Audi zu, die auf der Straße vor ihrem Haus parkte. Martin Burkhardt hatte den Wagen noch nicht in die Garage gefahren, weil er eigentlich noch einmal fort wollte. Aber wie es aussah, konnte er sich seinen Termin mit Dr. Hummelberger abschminken. Mit fahriger Hand steckte er den Schlüssel ins Zündschloss.
Keltenberg hatte nicht einmal dreitausend Einwohner, erstreckte sich aber gut zwei Kilometer entlang eines tiefen bewaldeten Grabens. Die Polizeiwache lag an der Hauptstraße, und sie erreichten sie nach weniger als zehn Minuten. Paul bat die Familie in sein Büro im ersten Stock des neu renovierten Polizeigebäudes und bestellte bei seiner Kollegin, Maja Fröschl, eine Karaffe Wasser. Das ließ vermuten, dass sich die Befragung länger hinziehen würde, und Martin Burkhardt resignierte. Er bat den Inspektor, kurz nach draußen gehen zu dürfen, um sein Treffen mit Dr. Hummelberger abzusagen.
Tobias schickte seinem »Termin« eine WhatsApp. Aus dem Augenwinkel erkannte Stefanie auf dem Display die Brünette. Sie kräuselte die Lippen und schaute angewidert zum Fenster hinaus. Carla Burkhardt hingegen sorgte sich darum, dass sie wieder nicht zum Kochen kommen würde. Also wieder Pizza!
Nur Gertrud richtete es sich auf ihrem Stuhl bequem ein, wobei ihre kurzen Beine kaum den Boden berührten und in der Luft hin und her baumelten.
»Von mir aus kann’s losgehen!«, sagte sie vergnügt.
Martin Burkhardt kehrte mit einer Entschuldigung ins Zimmer zurück, und nahm neben seiner Frau Platz.
Paul hob an: »Es tut mir leid, aber ich muss Ihre Alibis überprüfen. Fangen wir mit Ihnen an, Herr Burkhardt. Wo waren Sie vorgestern zwischen vier und halb sechs Uhr früh?«
Martin Burkhardt hatte nichts zu verbergen und blickte Paul Junghans offen in die Augen. »Im Bett!«
Paul wandte den Kopf. »Tobias?«
»Im Bett.«
»Wir waren alle in unseren Betten!«, unterbrach Stefanie das eintönige Frage-Antwort-Spiel. »Wo sollen wir sonst gewesen sein um diese Uhrzeit?«
» Sie waren auch in Ihrem Bett?« Paul blickte prüfend in ihre Augen, in der Hoffnung, dort irgendein Flackern zu entdecken, dass sie vielleicht nicht ganz die Wahrheit sagte.
Stefanie riss entrüstet den Mund auf, dabei erhaschte der Inspektor einen Blick auf ein grässliches Zungenpiercing. Nur mit Mühe gelang es ihm, sich wieder auf seine Aufgabe zu konzentrieren.
»Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie Charles!«, rief Stefanie. »Der lag bis viertel nach acht neben mir!«
»Charles Manson?«
»Ja!«
Jetzt war es an Carla und Martin Burkhardt, ihre Tochter mit sprachlosem Entsetzen anzustarren. Ein fremder Mann war vorletzte Nacht im Bett ihrer Tochter gewesen? Carla blieb beinahe die Luft weg. Dann musste sie ja auch die Schule geschwänzt haben! Schlimm genug, wenn Stefanie in ihrem zarten Alter bereits einen Freund hatte, aber dass sie so weit ging und mit diesem Charles … Martin Burkhardts Stirn umwölkte sich unheilvoll, aber für den Moment schwiegen beide Eltern eisern.
Paul hingegen war es nicht entgangen, dass Stefanies Alibi den Eltern mindestens ebensolche Sorgen machte, wie eines Mordes verdächtigt zu werden. Aber das war eine andere Geschichte.
»Sie bestehen also darauf, dass alle in der fraglichen Zeit in Ihren Betten waren.« Paul sah der Familie fest in die Gesichter.
»Darauf bestehen wir allerdings!« Martin Burkhardt blickte von einem zum andern. Alle nickten.
Bis auf eine.
»Ich nicht!«, verkündete Gertrud und verschränkte die Arme. »Ich war Gassi!«
Nun richtete Paul seine ganze Aufmerksamkeit auf Gertrud. »Mit dem Hund?«
»Na klar mit dem Hund. Oder glauben Sie, ich hab zu Hause keine Toilette?«
»Besitzen Sie einen Hund?«
»Ich selber nicht, aber meine Nachbarin ist krank und die hat mich gefragt, ob ich solange mit ihrer Dackeldame Daisy Gassi gehen mag. Und ich hab natürlich ja gesagt, denn ich bin sowieso eine Frühaufsteherin. Morgenstund‘ hat Gold im Mund, ist Ihnen das nicht bekannt? Ich steh mit den Hühnern auf und geh mit den Hühnern ins Bett, normalerweise …«
»Da Sie, wie es scheint, mit offenen Augen durch die Welt gehen«, unterbrach Paul sie, um einen freundlichen Ton bemüht, »darf ich fragen, ob Ihnen jemand aufgefallen ist, der sich in der fraglichen Zeit um Herrn Wallners Haus herumgetrieben hat?«
»Ja. Ist mir«, antwortete Gertrud zum allgemeinen Erstaunen.
»Und wer?«
»Dieser Mensch, der auf Nummer 98 wohnt. Gleich bei mir in der Nähe. Der radikale Tierschützer.«
Paul machte sich eine Notiz. »Um wie viel Uhr war das?«
»Kurz nach fünf.«
»Ich glaube, den kenn ich auch!«, rief Stefanie. »Radikal ist der aber nicht, Gertrud. Da kennen Sie keine wirklich Radikalen!«
»Wieso haben Sie das nicht früher gesagt?«, fuhr Martin Burkhardt Gertrud an. »Dann hätten wir uns diese Sitzung hier ersparen können.«
Beleidigt maß Gertrud ihn von oben bis unten. »Es hat mich ja keiner danach gefragt! Außerdem hab ich keinen Zusammenhang gesehen. Ich kann doch nicht jeden verdächtigen, der zeitig in der Früh auf der Straße ist. Vielleicht wollte er ja mit dem Bus zur Arbeit fahren. Der erste geht so um viertel nach fünf, das weiß ich zufällig.«
Abweisend verschränkte sie die Arme vor der Brust. »Da will man der Polizei helfen und als Dankeschön wird man zusammengeschissen!«
»Entschuldigen Sie, Gertrud«, bat Martin Burkhardt zerknirscht. »Ich wollte Sie keinesfalls beleidigen …« Wenn er jetzt nicht klein beigab, würde sich das hier noch endlos hinziehen.
Gertrud schniefte. »Ist schon gut, ich weiß ja selber, dass ich ein bissel ang‘rührt bin.«
»Frau Klampfl«, machte Paul sie aufmerksam, »um fünf in der Früh ist noch stockdunkle Nacht. Sind Sie sicher …?«
Gertrud schnaubte. »Ich bin zwar nicht mehr die Jüngste, aber blind bin ich deswegen noch nicht! Den kenn ich, das ist ein Aktivist. Dem sieht man den Anarcho schon aus hundert Metern Entfernung an!«
Paul ließ die Augen von einem zum andern wandern. Immerhin hatte er mit dem Tierschützer von Nummer 98 jetzt einen Hinweis. Dass die Familie Burkhardt, inklusive eines ungebetenen Gastes, in ihren Betten lag, musste er wohl oder übel zur Kenntnis nehmen, war um diese Uhrzeit auch nicht so ungewöhnlich.
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