Paul riss mit gespielter Bewunderung die Augen auf. »Klingt, als wären Sie dabei gewesen.«
»Nichts kann langjährige Berufserfahrung ersetzen, Kollege «, entgegnete Wehrschütz.
Das waren sehr viele Schläge, sinnierte Paul. Entweder war die Waffe so stumpf oder der Täter verfügte über wenig Muskelkraft.
»Möglicherweise eine Frau?«
Wehrschütz zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Das herauszufinden, ist Ihre Aufgabe.«
Danke vielmals, das weiß ich selber . »Sonst noch etwas, das ich wissen sollte?«
»Der erste Schlag wurde von oben herab ausgeführt. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Person, die deutlich größer war als das Opfer.«
»Dann vielleicht doch keine Frau?«
»Bei der geringen Körpergröße des Opfers kann man das nicht mit Sicherheit sagen, aber wie bereits erwähnt, das herauszufinden …«
Paul Junghans wandte sich ab und begab sich auf die Suche nach irgendwas Verdächtigem, nach etwas, das die Spurensicherung nicht suchte. Er hatte nämlich etwas ganz Bestimmtes im Visier. Familie Burkhardt war fest davon überzeugt, dass ihre tote Katze durch eine illegale Falle zu Tode gekommen war. Also begann er jedes Zimmer gezielt danach abzusuchen. Und tatsächlich! Wo die Spurensicherer noch nicht vorgedrungen waren, nämlich bis ins Badezimmer, fand er in der Badewanne ein Fangeisen. Der alte Wallner dürfte es vor seinem eigenen Tod noch sehr gründlich gereinigt haben. Er entdeckte keinerlei Blutspuren und sicherlich würde es auch keine Fingerabdrücke mehr darauf geben. Aber das spielte jetzt auch keine Rolle mehr.
Paul rief nach einem der Kollegen und hielt ihm das Indiz mit spitzen Fingern und einem Papiertaschentuch vor die Nase.
»Möglicherweise kann dieses Ding Aufschluss über das Motiv des Mörders geben.«
Familie Burkhardt hatte schon vorgestern versucht, Herrn Wallner bei der Polizei als Mörder ihrer Katze anzuschwärzen, daher war die Familie nicht ganz unverdächtig. Zuerst die Anschuldigung, und jetzt – zwei Tage später – war der mutmaßliche Katzenmörder selber tot. Sehr merkwürdig! Er musste die Burkhardts auf alle Fälle genauer unter die Lupe nehmen. Eine an und für sich unverdächtige, sehr anständige Familie, aber dieser Zufall war ihm doch ein Zufall zu viel.
»Haben Sie etwas gefunden, das als Tatwaffe infrage kommt?«, wollte Paul von einem Kollegen der Spurensicherung wissen.
»Wir haben einige Gegenstände gesichert«, antwortete Herbert Stumpf und ließ die Falle in einen Klarsichtbeutel gleiten, den er zu den anderen Gegenständen in einen Koffer legte.
»Welche zum Beispiel?«
»Einen alten Baseballschläger, der allerdings voll mit Spinnweben ist und nicht so aussieht, als wäre er kürzlich benützt worden. Eine Tischlampe mit einem gusseisernen Sockel, die auf dem Boden lag, und ein uraltes Nudelholz in der Nähe des Bettes, wo es eigentlich nicht hingehört.« Herbert Stumpf grinste. »Dass es so was heutzutage noch gibt! Noch dazu in einem Männerhaushalt! Aber wir konnten nirgendwo sichtbare Blutspuren darauf finden.«
»Vielleicht bringt die Forensik etwas ans Tageslicht.«
»Oder der Täter hat die Waffe mitgenommen.«
»Das ist sogar wahrscheinlich, falls er nicht ganz dumm war.« Paul wies mit dem Daumen in Richtung Küche. »Ich habe eine volle Tasse Kaffee und Schwarzbrot mit Wurst dort drinnen gesehen. Das Opfer dürfte während des Frühstücks getötet worden sein und sich vorher ins Schlafzimmer geflüchtet haben. Ziemlich früh für ein Frühstück und einen Rentner, der nicht zur Arbeit muss, finde ich.«
»Senile Bettflucht.« Herbert Stumpf wusste auf alles eine Erklärung.
»Der Kühlschrank stand auch offen«, wunderte sich Paul.
»Das Opfer wollte sich gerade ein Gurkerl zum Wurstbrot holen, als es passierte.«
Paul Junghans ging grinsend nach draußen und konfrontierte Familie Burkhardt, die in ihre Jacken gehüllt fröstelnd herumstand, mit den Fakten.
»Nach Einschätzung des Gerichtsmediziners war es kein Unfall. Herr Wallner wurde getötet …«
Weiter kam er nicht, denn das Mädchen begann spontan einen Hexentanz aufzuführen, der absolut nicht zum Ernst der Lage passte. »Endlich hat er gekriegt, was er verdient hat. Juhu!«
Die ungenierte Freude über den Mord an dem alten Mann irritierte Paul Junghans und er musste das Mädchen auf der Liste seiner Verdächtigen an die oberste Stelle setzen. Das passte auch zu seiner Theorie, dass es eine Frau gewesen sein könnte. Er betrachtete die Burkhardt-Tochter kritisch. Würde er ihr allein im Finstern begegnen, hätte er sich wahrscheinlich vor ihr gefürchtet. Diese Vampiraugen, die schwarz geschminkten Lippen, ihre ganze Aufmachung. Er blähte die Nasenflügel und schnüffelte die Luft in ihrem Dunstkreis. Irgendwie umgab das Mädchen ein faulig-süßlicher Geruch, wie er ihn schon im Haus festgestellt hatte. Lag das an der Leiche drinnen oder verwendete sie ein ganz abgefahrenes Parfüm? Er fragte sich, wie sie wohl unter der Schminke und dem ganzen Drumherum aussah, und vermutete, dass sie sogar recht hübsch war. Einmal kurz unter die Dusche gestellt, und sie könnte sogar sehr gut riechen …
Er räusperte sich und sagte streng: »Mord ist nicht Juhu ! Mord ist ein Verbrechen!«
»Ist eine Katze in Ihren Augen kein Lebewesen und der Wallner deshalb kein Mörder?«, schrie Stefanie und ließ jeden Respekt vor der Amtsperson vermissen.
»Doch, ich mag Katzen, aber vor dem Gesetz wiegt ein Menschenleben mehr.«
»Vor eurem Gesetz ist ein Tier nur eine Sache, irgendeine Ware! Ich finde das zum Kotzen!«
Carla Burkhardt sah sich gezwungen, einzuschreiten. »Steffi! Jetzt reicht’s.«
Martin Burkhardt sah deutlich angespannt aus und wollte die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen. Sohn Tobias trat von einem Bein aufs andere und schielte andauernd auf sein Smartphone. Nur Frau Klampfl war ganz aufseiten des Mädchens und schien sich direkt wohlzufühlen.
Paul verkündete: »Ich muss Sie bitten, mit mir auf die Polizeiwache zu kommen …«
»Und was sollen wir dort?«, rief Stefanie.
»Ich brauche Ihre Aussage.«
» Wir wissen nicht, wer Herrn Wallner ermordet hat«, mischte sich nun Martin Burkhardt ein, der bislang kein Wort gesagt hatte und zurück in sein Arbeitszimmer wollte.
»Aber es war Ihre Katze und im Haus von Herrn Wallner konnten wir tatsächlich eine Falle sichern …«
Stefanie triumphierte. »Wusste ich‘s doch! Das ist der Beweis, dass der Wallner meinen Blacky ermordet hat!«
»Und genau deswegen haben Sie ein Mordmotiv!«
Augenblicklich senkte sich Stille über die Burkhardts.
»Bitte w...was haben wir?«, stotterte Tobias. Er hatte ganz sicher kein Motiv!
»Es tut mir leid, aber vor zwei Tagen hat sich ein Mitglied Ihrer Familie …« Paul richtete einen bohrenden Blick auf Stefanie, »Herrn Wallner tot gewünscht, und jetzt ist er tatsächlich tot. Das ist für die Polizei ein Grund, Fragen zu stellen.«
Frau Klampfls Rosinenaugen erhielten neuen Glanz. »Mich können Sie auch mitnehmen!«, verkündete sie. »Ich erzähl Ihnen gern alles, was ich weiß. Es war immerhin meine Wenigkeit, die Blacky gefunden hat.«
Paul Junghans verdrehte unauffällig die Augen. Leute, die sich der Polizei richtiggehend aufdrängten, kosteten oft mehr Zeit und Kraft, als jene, die mit ihr nichts zu tun haben wollten. Das war wenigstens normal.
»Würden Sie mir bitte mit Ihrem Wagen zur Dienststelle folgen? Ich brauche Ihre Aussage.«
»Ich weiß nichts und ich war’s auch nicht, das können Sie schon mal notieren!«, murrte Tobias. »Außerdem habe ich noch einen Termin …«
»Termin!«, höhnte seine Schwester. »Ist es die Blonde oder die Brünette?«
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