Nur einmal hatte Gertrud sie richtig verärgert. Da ihre Perle stets lauernd durch ihr bisheriges Leben spaziert war, nämlich lauernd auf alles, was nicht bei drei auf dem Baum war und sich Dreck schimpfte, machte sie leider auch vor Zimmerpflanzen nicht halt. Als Carla eines schönen Tages in der Küche stand, hatte Gertrud sie um eine Schere gebeten. Erst als Carla ihren Sohn aufschreien hörte und aus der Küche stürzte, erblickte sie, was Gertrud angerichtet hatte. Eine, ihr namentlich noch immer nicht bekannte exotische Pflanze, auf deren Blütenpracht sie seit Jahren gehofft hatte und diesen Herbst das erste Mal in all ihrem Flor den Wintergarten zierte, stand zerrupft und nackt vor ihr.
Stumm vor Schreck wandte sie sich an Gertrud, die gerade dabei war, diverse Stuhlbeine derart energisch zu wischen, als hätte sie mit ihnen eine persönliche Rechnung offen. Carla streckte einen zitternden Finger in Richtung verstümmelter Pflanze aus und stammelte: »Warum haben Sie das gemacht, Gertrud?«
Gertrud blickte kurz hoch und widmete sich wieder ihrer Arbeit. »Was?«
»Na das hier! Wo sind die schönen Blüten? Jahrelang hab ich mich darauf gefreut und jetzt …« Fast hätte Carla angefangen zu weinen.
»Dieser Mist verwelkt, und dann? Dann liegt der ganze Dreck auf dem Boden. Und wer muss ihn wegmachen? Ich!«
»Aber … haben Sie denn gar keinen Sinn für das Schöne?«, wagte Carla zu protestieren.
»Pflanzen gehören in den Garten, und der liegt nicht in meinem Zuständigkeitsbereich«, ließ Gertrud sie wissen.
Als es schließlich dem letzten Stuhlbein an den Kragen gegangen war, richtete sie sich schnaufend auf und betrachtete zufrieden ihr Werk. Sie stemmte die Hände in die Hüften und bemerkte: »Ich glaube, diese Stellen hat schon seit Jahren keiner mehr geputzt.«
Carla errötete. Das stimmte zwar, aber die Stuhlbeine hatten noch niemanden wirklich interessiert. Sie blickte ihrem Sohn nach, der sich augenverdrehend in sein Zimmer verzog, und reagierte sich durch mehrmaliges Seufzen ab. Während sie noch seufzte, läutete es draußen an der Tür.
Gertrud war als Erste dort. »Na endlich!« Sie drehte sich zu Carla um, die nachgekommen war und sie fragend anblickte.
»Das ist Herr Fingerlos!«, stellte Gertrud vor. »Der Herr Pro-ku-ra-tor .«
»Einen wunderschönen guten Tag, gnädige Frau!« Herr Fingerlos streckte Carla seine Hand entgegen, die sie automatisch schüttelte.
»Herr Fingerlos repräsentiert die Firma Clean Star und wird uns heute sein neuestes Produkt vorführen. Stimmt‘s?« Gertrud blickte ihn direkt verliebt an.
Herr Fingerlos schenkte Carla ein professionelles Lächeln. »Es ist mir eine Ehre, gnädige Frau, Ihnen unseren Bestseller ganz unverbindlich vorzuführen. Wenn es Ihnen recht ist, hole ich unser bestes Stück aus dem Wagen.«
Carla stand nur stumm und verwirrt da und nickte ganz gegen ihren Willen. Während der Mann zum Wagen ging, fragte sie Gertrud: »Was für ein Produkt meint er? Und wer hat ihn überhaupt herbestellt?«
»Das war meine Wenigkeit!«, flötete Gertrud. »Ich schwöre Ihnen, Frau Carla, Sie werden Augen machen.«
»Aber wie …?«
Dann war Herr Fingerlos auch schon wieder zurück und schleppte sich mit einem Gerät ab, das Carla verdächtig an einen Staubsauger erinnerte. »Ist das ein Staubsauger?«, fragte sie.
Bei dem Wort Staubsauger blickte Herr Fingerlos geradezu gekränkt. »Nein, gnädige Frau, das ist ein multifunktionales Wunder. Das Edelste, was es zurzeit auf dem Markt gibt!«
»Falls dieses Wunder auch einen Staubsauger beinhaltet, ich habe schon einen …«
»Sofort entsorgen, gnädige Frau! Wenn Sie erst unser Multitalent der Marke Power Star in Action gesehen haben, wollen und brauchen Sie nichts anderes mehr.«
»Aber …«
»Es handelt sich hierbei nicht nur um einen Staubsauger, Sie erhalten quasi einen Luftbefeuchter, einen Lufterfrischer, einen Teppichschäumer und einen Fensterputzer in einem Gerät. Wenn Sie mir noch einen Augenblick geben, hole ich das Zubehör.«
Ohne die Antwort abzuwarten, war Herr Fingerlos zu seinem Lieferwagen geeilt und kehrte vollgepackt wie ein Maulesel zurück.
»Kommen Sie rein!«, drängte Gertrud, die Angst hatte, Herr Fingerlos könnte von einem der Nachbarn entführt werden.
Carla trat zur Seite und Herr Fingerlos hievte das Ungetüm mitsamt mehreren Verlängerungsrohren, Bürsten, Kämmen und Düsen ins Vorzimmer.
»Hier geht’s ins Wohnzimmer«, wies Gertrud aufgeregt den Weg. »Da haben wir mehr Platz.«
Herr Fingerlos breitete sich auf dem schönen Parkettboden aus und bald erinnerte das Wohnzimmer an eine Vorführung wie auf der Wiener Haushaltsmesse.
»Ich muss Sie bitten, mir das Badezimmer zu zeigen. Power Star arbeitet nämlich mit einem Wasserfiltersystem. Kein Staubbeutel, daher auch kein Staub. Stauballergiker können aufatmen. Wasser wegleeren, fertig, Ende Gelände.«
Als er aus dem Badezimmer zurückkehrte, zeigte ihm Gertrud die Steckdose und er schloss das Gerät an den Strom an. Dann nahm er geradezu majestätisch einen Gegenstand in die Hand und setzte ihn mit einem kurzen Klick auf das Rohr.
»Hier ist unsere neueste wissenschaftliche Errungenschaft«, sagte er mit einer Stimme, die vor Ehrfurcht geradezu bebte. »Eine Turbobürste gegen Tierhaare!«
»Unsere Katze ist kürzlich verstorben …«
»Katzenhaare halten sich noch viele Jahre im Haus«, widersprach Herr Fingerlos, legte aber die Turbobürste unauffällig beiseite und bückte sich nach der nächsten Erfindung der Firma Clean Star. »Und das ist unsere Milbendüse …«
»Wir haben keine Milben«, wehrte Carla ab.
»Oh, Sie würden sich wundern! Aber nichts für ungut, gnädige Frau, Milben haben mit mangelnder Hygiene auch überhaupt nichts zu tun. Diese Viecher sind einfach überall. Auch in den besten Hotels der Welt – gerade dort! Wenn die Menschheit erst einmal ausgestorben ist, wird es die Milben immer noch geben. Aber das werde ich Ihnen später noch demonstrieren. Hier habe ich die Parkettbürste, unsere Hartbodendüse mit LED-Aufsatz, unsere flexible Fugendüse und die Polsterdüse. Das ist unser Dampfreiniger, unser Luftreiniger, das Fenstersauger-Zubehör …«
Gertrud bekam Schnappatmung und musste sich setzen. Nie und nimmer konnte sie selbst sich ein derartiges Luxusgerät leisten! Inständig hoffte sie daher, bei den Burkhardts wenigstens zwei bis drei Stunden in der Woche dieses Wunderwerk der Firma Clean Star bedienen zu dürfen. Bisher hatte sie den Staubsauger der Marke Siemens hinter sich hergezogen wie einen alten störrischen Esel. Frau Burkhardt musste ihr unbedingt dieses neue Gerät kaufen.
»Stellen Sie sich das nur vor, Frau Carla!«, rief sie. »Mit diesem Gerät kann ich nicht nur saugen, sondern auch die Teppiche schäumen und waschen, die Luft beduften und sogar die Fenster putzen!«
Da Carlas Miene trotz Herrn Fingerlos‘ perfekter Show noch immer keine Spur von Einknicken zeigte, packte Herr Fingerlos seinen vorletzten Triumph aus. Mit theatralischer Stimme, so als stünde er auf einer Theaterbühne, forderte er: »Bitte zeigen Sie mir den hartnäckigsten Fleck, den Sie finden können!«
Augenblicklich fiel Gertrud ein Dutzend hartnäckiger Flecken ein. Sie führte Herrn Fingerlos zu dem allerhartnäckigsten unter dem Couchtisch, und zeigte atemlos auf einen Punkt im Durchmesser von etwa einem halben Zentimeter.
»Da!«, rief sie angeekelt, überzeugt, dass Herr Fingerlos diesen Schandfleck nie und nimmer zum Verschwinden bringen konnte, egal, wie sehr er auch zauberte.
Unter geringschätzigem Lächeln nahm Herr Fingerlos die Bodendüse ab und tauschte sie geschickt gegen die Turbo-Teppichbürstendüse aus. Damit fuhr er ein paar Mal über den Fleck und – Schwuppdiwupp! – der Fleck war weg.
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