Ranja zuckte mit den Schultern. »Ist mir auch recht. Aber wenn keiner der Garde zu den Elfen geht, wer dann? Wollen wir jemanden aus Burgedal schicken?«
Ignatius schüttelte erneut den Kopf. »Nein, wir zeigen den Elfen, wie ernst unser Wunsch ist, dass sie an unserer Seite kämpfen. Deshalb werden unsere Cays die Elfen um Hilfe bitten.«
Die Ritter der Garde starrten die Auserwählten überrascht an. Für die vier war die Ankündigung allerdings nichts Neues. Noch als sie auf der Rückreise aus den Weißen Bergen gewesen waren, hatte Ignatius mit Quin, Amina und Ragnar bereits diesen Plan entwickelt, nachdem Ragnar mit seinem Lagebericht aus dem Großen Wald zurückgekehrt war. Als Ignatius Kaelan, Ari, Noah und Liv diese Idee dann unterbreitet hatte, waren alle vier sofort einverstanden gewesen, ihr Glück bei den Elfen zu versuchen.
»Wir sollen die Cays schicken?«, kam es jetzt ungläubig von einer drahtigen Frau, die Ignatius gegenüber am Tisch saß. »Aber ich denke, sie sollen möglichst schnell zu den Drachen in die Roten Berge reisen. Warum sollen dann ausgerechnet sie wertvolle Zeit bei den Elfen vergeuden? Sollten sie nicht besser mit uns reiten und sich an den Schwarzen Reitern vorbeistehlen, sobald wir sie angreifen? Während eines Kampfes für ein Ablenkungsmanöver zu sorgen, damit die vier unauffällig weiterreiten können, sollte ja sicher schaffbar sein.«
»Nein.« Ben schüttelte den Kopf. »Das ist genau das, was Konstantin erwarten wird. Er wird davon ausgehen, dass wir die vier begleiten, um sie zu beschützen. Genau darauf wird er sich vorbereiten, also sollten wir einen anderen Plan verfolgen.«
»Aber werden Konstantin und Septimus nicht misstrauisch werden, wenn es zum Kampf kommt und sie die vier nicht bei uns sehen?«, gab eine grauhaarige Frau, die neben Una, Armand und Zoe stand, zu bedenken.
Ignatius nickte. »Natürlich. Genau deshalb werden wir mit vier Doppelgängern reiten, die sich für unsere Cays ausgeben.«
Ein Raunen ging durch die Reihen der Ritter und viele nickten anerkennend.
»Aber Septimus und ein paar seiner Männer haben die vier gesehen«, warf Erik skeptisch ein. »Wird er da den Schwindel nicht bemerken?«
»Ich hoffe, wir schaffen es, die Maskerade so lange aufrechtzuerhalten, dass wir den echten Cays genug Zeit geben, damit sie entweder die Elfen für uns gewinnen oder sich einen Weg durch die Wildnis in die Roten Berge schlagen können«, antwortete Ben. »Im Idealfall gelingt ihnen sogar beides.«
»Es kommt auf einen guten Zeitplan an«, fügte Quin hinzu.
»Und wie genau sieht der aus?«, wollte Gaius wissen.
»Nathan hat aus den Novizen und jungen Rittern der Garde fünf ausgewählt, die ihrem Aussehen nach als Doppelgänger infrage kommen«, erklärte Ignatius. Er blickte zu einem dunkelhäutigen Mann, der bestätigend nickte. »Fünf deshalb, weil Zoe, Kaelans Schwester, die vier begleiten wird. Sie war bereits bei den ersten beiden Reisen an der Seite der Cays und wird sie auch diesmal wieder tatkräftig unterstützen, da Ari in den Weißen Bergen verletzt wurde und noch nicht wieder hundertprozentig genesen ist.«
»Das absolut Wichtigste ist die Geheimhaltung«, betonte Ben nachdrücklich. »Wenn wir mit unserem Täuschungsmanöver durchkommen wollen, darf nichts davon nach außen sickern.«
»Wir wissen, dass wir jedem hier im Saal vertrauen können«, sagte Ignatius. Seit ihr Stallbursche Karl sich als Verräter entpuppt hatte, musste jeder Ritter der Garde vor einer Versammlung in Cayas Kapelle treten. Der Engel des Lichts hatte das Gebäude mit einem speziellen Schutzzauber belegt, der es unmöglich machte, die Kapelle zu betreten, wenn man nicht mit Herz und Seele für das Licht kämpfte. »Aber wir müssen leider damit rechnen, dass Konstantin Spitzel in Burgedal eingeschleust hat, die uns sehr genau beobachten. Daher müssen wir sehr vorsichtig sein.«
»Die fünf Doppelgänger haben sich heute Nachmittag bereits bei verschiedenen, absolut vertrauenswürdigen Geschäftsleuten in Burgedal eingefunden«, fuhr Ben fort. »Sobald unsere Versammlung beendet ist, werden sich die echten Cays samt Zoe zu ihren entsprechenden Doppelgängern begeben. Für eventuelle Beobachter wird es so aussehen, als würden sie Botengänge erledigen. Unsere Kinder tauschen die Rollen und die Doppelgänger kehren zu uns ins Kloster zurück.«
»In den nächsten drei Tagen werden sich die vier Ersatz-Cays im Kloster immer mal wieder kurz zeigen, während wir uns auf den Ritt durch den Großen Wald sowie den Kampf bei den Roten Bergen vorbereiten«, erklärte Quin weiter.
»Die vier echten Cays werden morgen in aller Frühe getarnt als Kräutersammler, Feldarbeiter und Fischer Burgedal verlassen und damit hoffentlich keine weitere Beachtung finden«, übernahm Ignatius wieder. »Sie begeben sich nach Südosten zu Helfern, auf deren Hof sie Unterschlupf für die Nacht finden werden. Ihr Gepäck sowie Proviant und ihre Schwerter haben wir bereits gestern von Sean und Eddie zur Farm bringen lassen.«
Liv schaute zu den beiden älteren Männern, die mit am Tisch saßen. Eddie und Sean waren ehemalige Ritter der Garde, die den Posten des abtrünnigen Stallknechts Karl übernommen hatten und gleichzeitig für die innere Verteidigung des Klosters sorgten, falls diese einmal nötig sein sollte. Beide wohnten eigentlich in einem kleinen Haus am westlichen Stadttor Burgedals, waren aber vorübergehend ins Kloster gezogen und Liv hatte sie bereits an ihrem ersten gemeinsamen Abend ins Herz geschlossen. Nicht zuletzt, weil sie jede Menge über Burgedal, Interria und die Garde zu erzählen hatten und sie das Ganze mit vielen witzigen Anekdoten zu würzen wussten.
»Die drei Tage Vorsprung, die wir den fünf geben«, hörte Liv Quin sagen und wandte sich wieder dem Gespräch zu, »sind nicht viel, da sie sich den Großteil des Wegs zu Fuß durchschlagen müssen und mit Sicherheit einige Zeit brauchen werden, um die Elfen zu überzeugen. Aber mehr Zeit ist leider nicht möglich, dafür schreitet Konstantins Bau an seinem Portal zu schnell voran.«
Ragnar sah in die Runde der Ritter. »Macht euch also bereit, in drei Tagen aufzubrechen. Wenn wir zügig reiten, erreichen wir die Roten Berge in fünf. Selbst wenn Bartemis und seine Bande uns Schwierigkeiten bereiten wollen, ist das eine gute Schätzung.« Er wandte sich Kaelan, Noah, Liv und Ari zu. »Versucht die Elfen zur Kooperation zu bewegen, aber behaltet die Zeit im Auge. Morgen in acht Tagen greifen wir die Schwarzen Reiter an. Bis dahin solltet ihr einen Weg ins Tal der Drachen gefunden haben. Wenn ihr also merkt, dass ihr die Elfen nicht als Verbündete gewinnen könnt, versucht sie zumindest dazu zu überreden, euch durch die Wildnis zu helfen, damit ihr schnellstmöglich zu den Roten Bergen gelangt. Holt den Stein des Feuers und versucht, die Drachen davon zu überzeugen, uns im Kampf gegen Konstantin beizustehen. Sie an unserer Seite zu haben, wäre von unschätzbarem Wert.«
»Du denkst tatsächlich, wir können die Drachen als unsere Verbündete gewinnen?«, meinte Gaius zweifelnd. »Versteht mich nicht falsch, ich fände das großartig, aber wir wissen alle, dass ihnen der Pakt, der ihnen in den ersten Tagen Interrias auferlegt wurde, gewalttätige Handlungen strikt verbietet. Ich glaube nicht, dass sie in den Kampf eingreifen und damit ihre Verbannung aus Interria riskieren werden.«
Ignatius nickte. »Damit hast du vermutlich leider recht. Aber dieser Pakt ist über zweitausend Jahre alt und die Drachen haben sich in all der Zeit längst als vertrauenswürdig erwiesen. Ich merke schon seit Jahren immer wieder an, dass ich ihn längst für überholt halte und neu verhandeln möchte. Mit Blick auf die momentane Situation habe ich deshalb die anderen Völker diesbezüglich noch einmal kontaktiert. Sobald ich ihre Antworten erhalten habe, hoffe ich, dass wir eine Lösung finden werden.«
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