»Der Sender wird mir stündlich ihre Kalium-, Harnstoff und Cystatin-C-Werte übermitteln.«
Automatisch wanderte Alans Hand zu dem Fremdkörper, doch Hayes schob sie beiseite. Argwöhnisch setzte er sich auf und begutachtete den Sender.
»Wozu?«
»Um mich rechtzeitig zu warnen, falls Ihre Nieren geschädigt wurden.«
»Und wenn es so wäre?«
»Dann werden wir uns wieder auf der Krankenstation sehen, bis ich die Gefahr eines Nierenversagens ausschließen kann.«
Dann werden Sie hierbleiben , hörte er aus ihren Worten. Mehr wollte er nicht wissen. Ohne ihr noch einen Blick zu gönnen, sprang er vom Bett.
»Wo sind meine Sachen?«
»Mister Benton wird sie Ihnen bringen.«
»Ich warte.«
Einen Herzschlag herrschte Schweigen.
»Alles Gute«, sagte Hayes.
Aber Alan kehrte ihr den Rücken zu und wartete, bis er hörte, dass sie den Raum verlassen hatte.
Als Alan endlich die Tür zu seiner Kabine hinter sich schloss, war er am Ende seiner Kräfte. Seine Beine fühlten sich an, als seien sie aus Pudding. Mit einem Stöhnen ließ er sich aufs Bett fallen und starrte ins Dunkel. Seine Hand fand den Silikonball, den Hayes ihm geschenkt hatte und den er zwischen seinen Kleidern entdeckt hatte, die Benton ihm gebracht hatte.
Mit einem Fluch warf er den Ball an die Wand und legte die Unterarme auf sein Gesicht. Zwar hatte er es geschafft, die Krankenstation zu verlassen, aber Hayes ließ ihn immer noch nicht von der Angel. Und der Krail-on-Frau war er damit keinen Millimeter nähergekommen.
Nachdem auf Syrakuse die fünfte Missernte in Folge verzeichnet wurde, steht die irdische Wirtschaft vor dem Bankrott. Eine Kolonisierung weiterer Planeten scheint unumgänglich, nachdem die unabhängigen Kolonien auf dem Mars und auf Paradise ihre Tore für die Auswanderungswilligen geschlossen haben. Die irdische Agrarwirtschaft ist dem massiven Bevölkerungsdruck nicht mehr gewachsen.
Dennoch können wir die Entscheidung des Marssenats und des Rats auf Paradise nicht als feindlichen Akt einstufen. Bei klarer Beurteilung der Situation muss jedem klar werden, dass die mäßig ausgebildete Infrastruktur auf Paradise durch eine Vergrößerung der Bevölkerung mit neuen Kolonisten zusammenbrechen muss. Ein Kollaps wie auf Syrakuse stünde zu befürchten, der weder der Erde noch den Kolonisten auf Paradise von Nutzen wäre. Und auch die Marskolonie steht am Rande des Ruins, in den sie durch die jahrzehntelange Ausbeutung durch irdische Erzkonzerne getrieben wurde.
Kolumne im Wirtschaftsteil der Washington Post
Mit einem Stöhnen stemmte sich Alan in die Höhe, schleppte sich ins Offiziersgemeinschaftsbad und stützte sich auf einem der Waschbecken ab. Es dauerte eine Weile, bis er es wagte, den Kopf zu heben, um einen Blick in den Spiegel zu riskieren. Der Mann, der ihn daraus anstarrte, war ihm fremd. War der Preis, den er zahlen musste, wirklich das Ergebnis wert? Benommen lauschte er auf seinen Herzschlag, bis er die Kraft fand, sich wieder zu regen.
Seine Finger bebten so sehr, dass er es kaum schaffte, das Wasser anzustellen. Er spritzte sich Wasser ins Gesicht, ließ es über seinen Oberkörper laufen. Es nutzte nichts, sich etwas vorzumachen. Er vertrödelte Zeit. Er zwang sich, nach dem Rasierapparat zu greifen, und widmete sich gründlich den Stoppeln in seinem Gesicht. Danach zog er sich aus, warf die Kleider in den Schacht für die Schmutzwäsche und stieg unter die Dusche, darum bemüht, seinen Handlungen den Anschein von Normalität zu verleihen. Das warme Wasser auf seiner Haut schaffte es, die Erinnerung an die Krankenstation zu vertreiben.
Als er sich abtrocknete, blieb er am Datensender hängen. Mit einem Fluch feuerte das Handtuch in die Ecke und schlug gegen die Wand, dass es schmerzte. Wieder und wieder. Er wollte nicht sterben. Der Gedanke würgte ihn. Nach Atem ringend hielt er inne und legte die Stirn an die Wand. Eine Weile stand er so, bis ihm klar wurde, dass er vor Kälte zitterte. Mit einem Stöhnen stemmte er sich von der Wand ab, wandte sich wieder dem Waschbecken zu und putzte sich die Zähne.
Gott, was machte er hier eigentlich?
Der Knoten in seinen Eingeweiden wollte sich nicht lösen. Nur mit einem Handtuch bekleidet schlurfte er zurück in sein Quartier, suchte sich im Dunkeln frische Kleider heraus und zog sie an. Als er die Hand nach dem Öffnungsmechanismus des Schotts ausstreckte, zitterte sie so sehr, dass er innehielt. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.
Er hatte Angst. Angst davor, die Brücke zu betreten. Angst davor, in die Augen der anderen zu blicken. Er wollte kein Mitleid.
Sie wussten es nicht. Niemand wusste es, außer Mabuto und Hayes. Und die würden es für sich behalten.
Er holte tief Luft und drückte auf das Panel. Es war Zeit, sich der Angst zu stellen.
Vor dem Schott zur Brücke zögerte er erneut. Es zu öffnen, kostete ihn all seinen Mut.
»Alan!«
Dean entdeckte ihn als Erster, als er eintrat. Er packte Alan an der Schulter, zog ihn zu sich heran und deutete einen Schlag gegen seinen Bauch an.
»Du siehst beschissen aus, Alter!«, setzte er hinzu und lachte über das ganze Gesicht.
»Willkommen, Sir«, sagte Nguyen und salutierte.
Pola tat es ihm nach.
Benommen erwiderte er den Gruß.
»Es freut mich, Sie zu sehen, Mister McBride.« Mabutos Stimme brachte Alan zur Besinnung.
»Danke, Sir.«
Ihre Blicke begegneten sich. Mabutos Miene war wie aus Stein gemeißelt.
»Gehen Sie auf Ihren Platz!«, sagte er nur.
War er etwa neidisch?, wunderte sich Alan.
Auf unsicheren Beinen ging er zum Steuerpult, wo Pola neben dem Stuhl stand und auf ihn wartete.
»Sir!« Zum ersten Mal seit der Schlacht lächelte sie ihn an.
Er räusperte sich, während er sich setzte und die Hände auf die vertrauten Kontrollen legte.
»Ich übernehme heute und morgen die Zweierschicht. Dann sehen wir weiter«, sagte er.
»In Ordnung, Sir.«
In ein paar Wochen würde niemand mehr ihre Fehler korrigieren, begriff er plötzlich.
»Pola!«
»Ja, Sir?«
»Wenn Sie möchten … dann könnten wir morgen vor der Zweierschicht ein paar Berechnungen machen.«
Verdutzt sah sie ihn an. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. »Ich würde mich freuen, Sir.«
»Gut, dann bis morgen.«
»Bis morgen, Sir.«
Alan wandte sich dem Monitor zu und runzelte die Stirn. Wie sollte er Mabuto unter diesen Voraussetzungen davon überzeugen, ihn mit der Krail-on-Frau reden zu lassen?
»Mister McBride, auf ein Wort.«
Nach vier Stunden auf der Brücke konnte Alan kaum noch sitzen. Als Mabuto ihn ohne Vorwarnung ansprach, zuckte er zusammen und drehte sich so schnell um, dass ihm schwindelig wurde.
»Sir?«
»Mister Fiorentino, Sie haben die Brücke.«
Mabuto gab Dean einen Wink und stand auf. Ohne ein weiteres Wort ging er in den Bereitschaftsraum. Er wartete, bis Alan ihm gefolgt war, und schloss hinter ihnen das Schott.
»Kaffee?«, fragte er.
Alan nickte.
»Setzen Sie sich!«
Während Alan der Aufforderung nachkam, schenkte Mabuto zwei Tassen mit Kaffee ein und setzte sich Alan gegenüber an den Tisch. »Milch, Zucker?«
»Zucker!«, erwiderte Alan.
Mabuto schob ihm die Zuckerdose hin und rührte Milch in seinen Kaffee. Er ließ Alan Zeit, sich Zucker zu nehmen, und nippte an seiner Tasse.
»Muss ich Ihnen die Pause dienstlich vorschreiben?«
Das Blut schoss in Alans Gesicht. »Nein, Sir.«
»Dann denken Sie künftig daran.« Mabuto nahm noch einen Schluck und sah mit gerunzelter Stirn auf seine Tasse, bevor er Alan anblickte. »Kommen Sie klar?«
Nach einer Weile nickte Alan. »Ich denke schon.«
»Ich muss mich darauf verlassen können. Einen Ausrutscher wie auf der Krankenstation erlaube ich Ihnen in der Öffentlichkeit nicht.«
Читать дальше