Annerose Matz-Donath
Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen
Die Spur der roten Sphinx
IMPRESSUM:
Annerose Matz-Donath,
Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen. Die Spur der roten Sphinx.
Originalverlag:Verlag Bublies, Schnellbach
Originaltitel:
Die Spur der roten Sphinx. Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen
© 2000 Verlag Bublies, 56290 Schnellbach
Lizenzausgabe: © 2014 Lindenbaum Verlag GmbH, Beltheim
Internetadresse: http://www.lindenbaum-verlag.de
e-mail-Adresse: lindenbaum-verlag@web.de
eISBN: 978-3-938176-82-5
„Bitter für mich ist nur, daß sie alle auf dem Papier nicht mehr als einen fahlen Schatten des Grauens wiederfinden werden.“
Gabriel García Márques
in „Die Nachricht von einer Entführung“, nach den Erinnerungen der Überlebenden
Mein herzlicher Dank gilt allen, die mich bei der Arbeit an diesem Buch unterstützten,
vor allem den Kameradinnen, die dafür noch einmal eine so schmerzliche Erinnerungsarbeit auf sich genommen haben. In Freundschaft und Liebe sei besonders derer gedacht, die heute nicht mehr unter uns weilen.
Vergessen sei auch nicht
mein lieber Mann, der meine Arbeit jahrelang mit verständnisvoller Geduld begleitet und mit geholfen hat, alle äußeren Schwierigkeiten zu meistern.
Ebenfalls danke ich den Mitgliedern des Beirats der STIFTUNG ZUR AUFARBEITUNG DER SED-DIKTATUR, von der die Drucklegung gefördert wurde.
Alle Frauen, auch da, wo dies nicht besonders erwähnt ist, wurden inzwischen als „zu Unrecht verurteilt“ rehabilitiert.
Die Namen der Interview-Geberinnen wurden zur Schonung der privaten Sphäre auch der betroffenen Familien anonymisiert. Das lag umso näher, als jeder der geschilderten Fälle nicht nur für ein Einzelschicksal steht, sondern für viele von gleicher Art.
Alle Ortsangaben dagegen sind real.
Einleitung
1.Kapitel: Mütter und Kinder
Bitterer Abschied
Der Florian
Zahnschmerz im Herzen
Die Mütterstube
Kindertränen
2.Kapitel: Die Hölle hat viele Tore
Eingefangen
Grenzerfahrungen
Recherche ins Abseits
„Gefährliche Deutsche“
Auf Werwolf-Jagd
3.Kapitel: Verraten und verkauft
Das Butterplätzchen
Terror statt Brot
Um eine Nähmaschine
Unschuldsbewußtsein lebensgefährlich!
Flugblatt im Polizistenschrank
Für Judaslohn
Der wahre Hintergrund
4.Kapitel: Laßt alle Hoffnung fahren
Der erste Schock
Wenn sie „Rosamunde“ spielten
Maden und Fischgerippe
Ein kleiner Funke Menschlichkeit
Psychofolter
Kübelgeschichten
Sexuelle Gewalt
5.Kapitel: Russisches Roulette
Der Tod reiste mit
Die Fratze der Angst
Selber ein Ende machen
Wie ein Indianer am Marterpfahl
Sie lachten, wenn sie sie erschossen
„Ein widerspenstiger Typ“
6.Kapitel: Lügner und Henker
„Gehen wir tanzen zusammen“
Das Tribunal
Wyschinskijs Schatten
Ein teuflisches Drehbuch
Vergeblicher Aufstand
Silberkopf mit Feuerhaken
Begriffe und Abkürzungen
Unlängst – 1997 – wurde den Opfern des sowjetischen Staatsterrors in St. Petersburg ein Denkmal errichtet. Eine doppelte Sphinx läßt dort nun ihre dunklen Blicke über die Ufer der Newa schweifen, jede mit einem geteilten Antlitz: zur Hälfte zeigt es die Züge einer schönen jungen Frau, zur anderen bildet es einen nackten, zähnebleckenden Totenschädel ab. Der Bildhauer, der das Denkmal schuf – Michail Schemjakin – fand sein Motiv in einem Gedicht, das einst jeder Russe kannte: „Die Sphinx“ – so hatte 1918 in seinem berühmten Poem „Die Skythen“ der bis heute verehrte russische Dichter Alexander Blok sein Vaterland Rußland genannt.
Doch nicht nur Bürger der einstigen Sowjetunion wurden Opfer des roten Terrors. Der lange Arm der Tscheka – später GPU und zur Zeit des Zweiten Weltkriegs NKWD genannt – reichte überall hin, wo sowjetische Truppen standen. So sehen auch Deutsche – Männer, Frauen und Kinder – in Schemjakins Denkmal ein düsteres Symbol ihres Schicksals – alle die, die nach 1945 in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone von Sowjetischen Militärtribunalen verurteilt wurden.
Kaum einem wurde seine angebliche Schuld bewiesen. Der Verurteilung entging dennoch keiner, war er einmal in den Händen des NKWD. Steine, hilflose, wehrlose kleine Steine waren die Menschen ja nur im großen Schachspiel der Sowjetunion um Einfluß und Macht in Europa.
Wurde einer, wurde eine nach dem Urteil nicht nach Sibirien verschleppt, warteten auf sie das Zuchthaus Bautzen oder die alten Nazi-KZs Buchenwald und Sachsenhausen. Dort, in Sachsenhausen, wurden schließlich auch alle SMT-verurteilten Frauen gesammelt.
Nach der Gründung der DDR erschien Moskau wie Ostberlin ein sowjetischer GULag auf deutschem Boden politisch als nicht mehr tragbar. So kamen die „Gefangenen“, wie Molotow schrieb – „die Verbrecher“, wie es bei Walter Ulbricht zu lesen steht – im Februar 1950 „zur weiteren Strafverbüßung“ in den Gewahrsam der DDR. Die entwarf für sie, speziell für die SMTer, ein besonders strenges Zuchthaus-Regime in einer Reihe von Sonderstrafanstalten.
Zum Ende des Jahres 1954 wurde die DDR sodann auch zum Gerichtsherrn über die alten SMT-Verfahren. Doch von dem damit auch auf sie übergegangenen Gnadenrecht machten die deutschen Kommunisten nur zögernd Gebrauch. Noch Jahre nach 1954 hielten Ulbricht und seine Satrapen viele Gefangene in Hoheneck und Bautzen fest, obwohl diese Menschen niemals gegen Gesetze verstoßen hatten – und am allerwenigsten gegen Gesetze der DDR!
Für die etwa 1.300 SMTerinnen aus Sachsenhausen wurde in Hoheneck über Stollberg im Erzgebirge ein baufällig-altes Gemäuer neu als Zuchthaus hergerichtet. Selbst nach der sehr strengen Berechnung ihrer Verwalter boten die Häuser nicht mehr als 700 Gefangenen Platz. Dennoch wurden zeitweise dort bis zu 1.900 Menschen zusammengepfercht.
Nun sahen die Frauen nur durch schmale Fensterritzen und Gitter, wie die Blütenhoffnung des Frühlings sich in die leuchtende Fülle des Sommers verklärte, wie das bunte Herbstlaub im strahlenden Weiß des Winters erstarb. Wenigstens siebenmal, meist sogar acht- oder neun- und sogar zwölfmal wechselten ihnen so die Jahreszeiten, seit die Verhaftung sie aus dem Leben gerissen hatte. Sieben, neun oder zwölf – so viele Jahre waren sie alle streng und absolut von der Außenwelt isoliert, waren sie von den Familien, von ihren Kindern getrennt. Verlorene Jahre. Schwarze Jahre!
Aber Schwarz ist nicht nur die Farbe des Schreckens, des Verlusts und der Trauer. Schwarz trugen nicht nur Hitlers SS und die Opritschniki, die frühen Brüder der Tscheka, die Iwan dem Schrecklichen dienten. Auch die Totenkopfhusaren der Freiheitskriege kleideten sich in Schwarz, und Schwarz war für die Chinesen die Farbe der himmlischen Herrlichkeit, in die ihre Kaiser sich hüllten. Wie viele Nuancen hat Schwarz – nicht nur im übertragenen Sinne! 27 fand der Maler Nikolaus de Staël allein in den Bildern dreier berühmter klassischer Maler. 1
Schwarz hebt alle Farbe auf und bewahrt sie zugleich wie das Dunkel der Nacht die Buntheit der Welt für den Morgen. Die düstere Farbe steht nicht nur für Weltverlust, wie Haft ihn gewaltsam bewirkt. Denn Unglück kann Menschen zwar brechen, setzt Wunden und lebenslang Narben. Aber es kann auch sensibel machen für anderer Not. So ist es sicher kein Zufall, dass sich später manch eine der Hoheneckerinnen in sozialer Arbeit engagierte.
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