Annerose Matz-Donath - Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen

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Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen: краткое содержание, описание и аннотация

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Verschwunden, verloren, vom Schweigen verschluckt, so gingen unzählige deutsche Frauen und Mädchen durch die Hölle sowjetischer Folterkeller, die zwischen 1945 und 1949 auch auf deutschem Boden, in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone, bestanden – ein kaum bekannter und dennoch untilgbarer Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte, der hier zum ersten Male unmittelbar die Farbe durchlittenen Lebens gewinnt. Die von den Sowjetischen Militärtribunalen verurteilten Frauen kamen im Februar 1950 zur weiteren Strafverbüßung in den Gewahrsam der DDR, die für sie ein besonders strenges Zuchthaus-Regime in einer Reihe von Sonderstrafanstalten errichtete.
Im Chor vieler Stimmen entrollt sich ein ergreifendes Panorama von Standhaftigkeit, Verzweiflung, Hoffnung und kleinen Lichtern der Menschlichkeit, die selbst auf der Seite derer nie ganz erloschen, die ein grausames System zu Vollstreckern und Peinigern bestellte.
Annerose Matz-Donath, die selbst fast 12 Jahre Gefangenschaft erleiden mußte, konnte 130 frühere Haftkameradinnen von etwa 1300 betroffenen Frauen interviewen. So entstand eine auf Aktenkenntnis und der Auswertung von zehntausend Seiten der Gesprächsprotokolle gestützte Dokumentation, die die Leidenswege der verurteilten Frauen eindrucksvoll schildert und dieses Kapitel der deutschen Geschichte dem Vergessen entreißt.

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Es war in Bautzen gewesen, 1946, oben im großen Saal in Haus Zwei, in dem damals die Frauen lagen. Da lernte Irene Kunze Frau Hessmann kennen und freundete sich sehr mit ihr an. Denn beide trugen als Mütter das gleiche Leid. Muttchen Hessmann, wie alle sie nannten, stammte aus Siebenbürgen.

„Die Hessmanns waren schon auf der Flucht nach Deutschland gewesen, als die Front sie überrollte. Die Russen verhafteten sie, schmissen den Mann auf einen Lastwagen, sie auf einen anderen. Damit keiner flüchten konnte, saßen obendrauf auf den Gefangenen die Soldaten mit ihren groben Stiefeln. Wo Hessmanns Sohn geblieben war? Der kleine Junge war verschwunden. Nun verzehrte Muttchen Hessmann sich nach ihrem einzigen Kind .

Die Siebenbürgerin war fromm katholisch. Einmal sagte sie mir: ‚Frau Kunze, ich bitte jeden Abend die Gottesmutter, dass sie mir ein Zeichen schickt!’

Wir haben natürlich gelächelt und genickt, und auf meinem Bett habe ich gedacht, na, also … da ist auch die Gottesmutter überfordert. Wie soll sie in diesen Käfig eine Nachricht bringen?

Eines Tages kommt eine Neueinlieferung. Wir waren noch nicht so viele, paßten alle noch in den einen Saal. Immer, wenn eine Neue kam, stellten wir uns im Kreis um sie herum, und die Neue ging dann von einer zur anderen und schüttelte Hand um Hand. So auch diesmal. Mutti Hessmann stand wie immer neben mir und sagt ihren Namen: Hessmann, Anni Hessmann. Die Neue will schon weiter, streckt schon mir die Hand entgegen, da stockt sie plötzlich und sagt: ‚Wie heißen Sie? Hessmann? Kommen Sie aus Siebenbürgen?’ Ja. Und dann erzählt die Neue, dass sie durch Wien getrieben worden sind, von den Russen eingefangen – ja, durchgetrieben so in Fünfer-Reihen. Und da ist ein Wiener Sängerknabe rumgelaufen – in diesem Anzug, den die trugen – und ist immer neben den Frauen hergelaufen, hat gerufen, ‚Ich bin … ich heiße Wolfi Hessmann. Und wenn Sie meine Mutter sehen, sagen Sie ihr, dass ich lebe!’

Da … also Mutti Hessmann fiel gleich in Ohnmacht. Und ich bin auf mein Bett gegangen, habe gedacht, wenn es IHN aber doch gibt … !?

Das war erschütternd. Ja, erschütternd ist es für mich selbst heute noch, dass mir die Tränen kommen, wenn ich davon erzähle! Denn es war so unwahrscheinlich, was da geschah – unter lauter armen Plennies. Ein Gotteswunder, ein wirkliches, nicht? Denn die Fremde wußte ja nicht, die stutzte, stotterte nun … Ein Wunder war es ja schon, dass sie den Namen des Jungen überhaupt richtig verstanden und ihn nicht vergessen hatte!

Um Mutti Hessmann in ihrer Ohnmacht haben sich die anderen gekümmert. Ich bin von meiner Matratze lange nicht heruntergekommen, da oben, auf der zweiten Lage, wo ich schlief .

Wie die Neue das gesagt hat, habe ich immer wieder gedacht: Wenn es IHN aber doch gibt? Und ich habe angefangen, mein ganzes Leben zu überdenken. Wenn es IHN aber doch gibt? Die Frau hat Hilfe gekriegt, nun will ich mal für meine Kinder beten. Und dann – ich war ja religiös erzogen. Ich kannte ja den Satz von den Sünden der Väter, die auf die Kinder kommen. Ich dachte, was habe ich schon groß getan, aber wenn ich schuldlos mit schuldig geworden bin, mein Mann vielleicht schuldig gewesen ist und ich eben, weil ich ihn so blind liebte, mitschuldig, dann, lieber Gott, habe ich gebetet, dann will ich ja alles auf mich nehmen. Aber bitte, verschone die Kinder! Ich will alles ertragen, alles machen, ohne zu klagen! Aber hilf den Kindern. Und das hat er ja auch getan. Die waren ja zu Hause, nicht?

Ich bin ein sehr gläubiger Mensch geworden – aber ich hätte in der Haft nie mit jemandem darüber gesprochen!“

Vier Jahre, vier lange Jahre der Angst und der Not hatte Irene ausharren müssen, bis sie 1950 2– im ersten Brief von zu Hause – endlich Gewißheit erhielt: ihre Kinder waren vor russischem Zugriff gerettet worden. Die Nachricht erschien ihr wie eine Gebetserhörung.

„Es war doch ganz kurz vor Hilles sechstem Geburtstag gewesen, als sie mich verhaftet hatten. Zu diesem Geburtstag hatte meine Schwester es geschafft, ein Päckchen über die Grenze zu schicken. So erfuhr meine Putzhilfe, wo die Großeltern wohnten. Sie schrieb nach Wilhelmshaven, dass ich nachts geholt worden war und dass sie die Kinder abholen sollte. Das hat meine Schwester auch unverzüglich getan, kurz, ehe die Russen nach den Kindern fragten.“

Der Florian

Weshalb war Irene Kunze nun eigentlich „abgeholt“ worden, wie man damals landläufig sagte? Eines Tages hatte eine flüchtige Bekannte sie angesprochen: Sie habe doch noch von ihrem gefallenen Mann Zivilanzüge im Schrank. Ob sie damit nicht einem helfen könne, der kein Zuhause mehr habe?

„‚Wir haben da so einen Ritterkreuzträger’, sagte die Frau, ‚der lag mit seiner kaputten Uniform im Wald, den mußten wir fast nackt ausziehen, der braucht Anzüge!’ Und so gab ich der Frau dann die gesamte zivile Kleidung meines Mannes mit. Denn was sollte ich noch damit? Ja. Und so kam ich an den Florian. Unter diesem Namen hat er sich vorgestellt, und so haben wir ihn auch genannt, Florian Sowieso. Den Nachnamen habe ich schon lange vergessen. Ritterkreuzträger – ob er das war, weiß ich wirklich nicht. Spielte ja auch keine Rolle. Denn wer hilft nicht einem Menschen in Not?“

Ein solcher Fall und eine solche Bitte waren damals in der Tat nichts Ungewöhnliches. Vielen Menschen war Haus und Heim im Bombenhagel untergegangen. Wer aus den verlorenen Gebieten im Osten und Süden Deutschlands stammte, konnte ja gar nicht mehr nach Hause. Auch dass dieser Florian anfing, Irene zu besuchen, schien unverfänglich. Ob es das wirklich war, darüber denkt sie heute noch manchmal nach:

„Vor allem an ein Erlebnis erinnere ich mich sehr deutlich. Es wurde damals doch immer nur vorübergehend geheizt. Ich hatte den Küchenherd angemacht, um zu kochen, als der Florian kam. ‚Hu‘, sagte er, ‚ist es kalt!‘ Es war ja auch kalt, es war eisiger Januar. Ja, sagte ich, auch der Herd geht gleich aus. Da nahm er einen Küchenstuhl, stellte den auf den Herd und setzte sich drauf. Das machte mich stutzig – irgendwie kam es mir seltsam vor. So östlich – wie bei den Russen. Aber als mir das richtig zum Bewußtsein kam – später, in der Zelle erst, als ich viel Zeit zum Grübeln hatte – da war es zu spät .

An den Ritterkreuzträger – nein, daran habe ich schon damals nicht geglaubt. Aber ob der Florian nicht ein Spitzel war?“

Durch Florian hatte Frau Kunze auch zwei andere junge Frauen kennengelernt, Ursel Liebner und Hanna Schumann, die sich dann mit ihr zusammen vor dem sowjetischen Kriegsgericht wiederfanden:

„Ursels Eltern hatten ein Lokal, eine altdeutsche Gaststube mit einem kleinen Hotel dabei. Hanna und ihre Eltern wohnten damals dort. Hanna half in der Küche aus, wo auch für Russen gekocht werden mußte. Ursel hatte während des Krieges in Frankreich studiert. Sie war gerade erst nach Hause zurückgekommen .

Die beiden jungen Frauen waren befreundet. Und Florian – ja, irgend jemand hatte ihn auch zu Ursels Eltern gebracht. Die hatten ihn aufgenommen und er kriegte da auch was zu essen. So kamen wir alle an ihn, und über ihn wurden wir auch miteinander bekannt. Denn einmal, als die beiden Mädchen ihn suchten, fiel ihnen ein, er hätte meine Adresse genannt. So kamen sie bei mir an, Ursel mit einem Hund, einem Riesenschnauzer so groß wie ein Kalb .

Die beiden fanden es so gemütlich bei mir, dass sie immer wieder kamen und mit den Kindern spielten. Die waren ja wirklich goldig damals, im süßen Alter von zwei und fünf.“

Auch Ursel Liebner und Hanna Schumann, für die Florian zum Schicksal geworden ist, begannen nach ihrer Verhaftung an seiner Identität zu zweifeln. Hanna Schumann heute:

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