Hias hatte weiße Tennisschuhe an. Ich traute mich aber nicht zu fragen, ob er Kletterpatschen mit dabeihätte. Deswegen wechselte auch ich meine Schuhe nicht, obwohl ich ganz tolle neue Kletterschuhe im Rucksack hatte. Irgendwie, so dachte ich, musste ich mich ja dem Hias anpassen. Rudi Olbrich aus Schwaz, Rebitschs bester Freund, der mit ihm häufig Wanderungen im Rofan und im Karwendel unternahm und sich auch in schlechten Zeiten rührend um ihn kümmerte, freute sich mit uns, als wir einstiegen.
Ich bemühte mich, so elegant wie möglich zu klettern. Die ungewohnt steifen Bergschuhe machte mir dennoch zu schaffen, und ich hoffte, dass Hias nicht so genau hinschaute. Die Ostwand ist ein schöner Anstieg, Dreier-Stellen mit guten, festen Griffen, teilweise steckt man in Rissen. Die Schlüsselstelle, ein kurzer Drei-Meter-Quergang über eine glatte Platte, hatten wir gleich hinter uns. Dann folgte der obere Teil, grasdurchsetzter Fels. Haken gab es genug. Ich war fasziniert, wie gut Rebitsch ging. Er kletterte schnell und mit einer Behändigkeit, die nicht nur für sein Alter außergewöhnlich war. Kein einziger Moment der Unsicherheit; es war herrlich, ihm zuzuschauen.
Kurz unterhalb des Ausstiegs – ich bemühte mich, tunlichst nicht die Grasbüschel als Griff zu benützen – hörte ich Hias’ Stimme: „Früher hamma a des Gras hergnomma, des hebt ja, oder?“ Wir lachten beide. Meine Freude war unbändig. Wer in meiner Generation hatte denn schon dieses Glück, einmal mit Hias Rebitsch im Fels unterwegs zu sein?
Das dicke Ende kam erst, als wir nach einer guten Stunde im Gras oberhalb unseres „Ostwandls“ saßen. „Peda, is dir heit nix aufgfalln, wegen meine Tennispatschn?“ – „Na, Hias, warum aa, du bisch ja super gangen!“, war meine Antwort. Da sah ich erst, was los war: Seine Tennisschuhe waren alt, und durch den Abrieb während des Kletterns hatte sich der poröse Gummi auf der Sohle völlig abgelöst. Er war auf einem „Kugellager“ geklettert – und mir war das überhaupt nicht aufgefallen. Jetzt war ich doppelt froh, dass ich meine nagelneuen Kletterpatschen im Rucksack gelassen hatte.
„DU BRAUCHST SOLCHE LEUTE, DIE MEHR VON DIR HALTEN, ALS DU EIGENTLICH KANNST – DANN WÄCHST DU ÜBER DICH SELBST HINAUS“
Du hast Mathias Rebitsch bei eurer Durchsteigung der Rofan-Ostwand das erste Mal persönlich getroffen. Aber ein Begriff war er dir bereits vorher?
Dem Namen nach habe ich ihn natürlich schon gekannt. Der Hias war einer der führenden Bergsteiger in den Vierzigerjahren. Es hat einige Leute gegeben, die gut klettern konnten, aber er war einer der Besten. Er war mit seinen Erstbesteigungen in den Laliderer Wänden, im Wilden Kaiser oder im Rofan derjenige, der neue Maßstäbe gesetzt hat. Der Hias war im Gebirge außergewöhnlich gut. Er war aber auch sehr humorvoll, sehr herzlich und vor allem redegewandt. Ich habe ihn wirklich gern gemocht.
Nach dieser gemeinsamen Tour habt ihr euch öfter getroffen?
Ja, daraus hat sich dann eine Freundschaft entwickelt.
Seid ihr auch noch zusammen geklettert?
Nein, wenn wir im Gebirge waren, sind wir eher gewandert. Einmal habe ich ihn nach Grindelwald mitgenommen, zum 50-Jahr-Jubiläum der Erstdurchsteigung der Eiger-Nordwand. Der Hias mit seinem Wissen war ja maßgeblich daran beteiligt, dass 1938 Heckmair, Vörg, Harrer und Kasparek die Wand machen konnten.
Er war im Jahr davor mit Ludwig Vörg in der Wand. Nach einem Wettersturz mussten sie oberhalb des „Todesbiwaks“ den Rückzug antreten .
Und 1938 war er dann nicht dabei, weil er auf Expedition ging, zum Nanga Parbat. Aber er war derjenige, der die Eiger-Nordwand genau gekannt hat, der auch die Eigenheiten der Wand gekannt hat. Er wusste, da muss man klettern, aber da ist durch die eingelagerten Eisfelder auch viel Eiskletterei dabei. Deswegen nahmen Heckmair und Vörg zwölfzackige Steigeisen mit, durch die sie die Eisfelder schnell und sicher hinter sich brachten. Aus Rebitschs Nachlass habe ich tolle Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus der Eiger-Nordwand erhalten.
Sind das die Bilder, die Ludwig Vörg gemacht hat?
Das nehme ich an, denn der Hias ist abgebildet. Die Qualität ist natürlich mäßig, das Wetter war ja auch schlecht. Sonst wären sie nicht zurückgegangen.
Damals, im August 1937, waren sie überhaupt die Ersten, die aus dem zentralen Wandteil lebendig zurückkamen. Alle anderen …
… sind gestorben. Sedlmayr ist gestorben und Mehringer und wie sie alle hießen. Angerer, Rainer, der Hinterstoißer und der Kurz – alle sind sie gestorben. Hias hat mir später selbst erzählt, wie sie 1937 ein paar Tage vor dem eigentlichen Versuch schon einmal aufgebrochen waren und eine Leiche fanden.
Hias Rebitsch im Ersten Eisfeld der Eiger-Nordwand
Andreas Hinterstoißer .
Genau, den fanden sie am Wandfuß. Sie wollten den Toten nicht liegen lassen und haben ihn hinuntergebracht, anstatt einzusteigen. Das hat Hias natürlich schon nachdenklich gemacht. Er war ja eigentlich nicht unbedingt ein harter Typ. Er hatte eben auch eine weiche, nachdenkliche Seite. Was mir an Rebitsch imponierte, war, was er alles gemacht hatte. Und dass er Hirn und Humor hatte. Als es ihm später gesundheitlich nicht mehr so gut ging, kam er öfter zu uns ins Zillertal. Wir fuhren in die Seitentäler hinein, in die Floite oder in den Zillergrund, und Hias erzählte von seinen früheren Begehungen und Lausbubenstreichen. Immer wieder sagte er: Mensch, da oben war ich auch einmal. Er hatte ja fast alle Routen im Zillertal wiederholt.
Hias Rebitsch im „Schwierigen Riss“ der Eiger-Nordwand
Von wo war er denn?
Er war ein Brixlegger. In Innsbruck studierte er, Chemie, später machte er auch Forschungsfahrten in die Anden und schrieb ein schönes Buch darüber, „Die silbernen Götter des Cerro Gallan“. Er lebte in Innsbruck und war eigentlich immer alleinstehend. Er war einfach ein außergewöhnlich netter, angenehmer, lustiger Gesprächspartner. Mit dem Hias wurde dir nie langweilig. Auf der Anfahrt zu diesem Eiger-Jubiläum, wir sind über den Arlberg gefahren, erzählte er mir, dass er da und da oben war, nur die Namen hat er nicht mehr gewusst. Er hatte so viel gemacht. Er war ja auch in Chamonix.
Er war ein richtiges Vorbild für dich .
Ja. Der Hias hat einen höheren Stellenwert gehabt als alle anderen. Wobei ich auch Hermann Buhl, den ich ja leider nicht mehr kennengelernt habe, bewunderte, aber irgendwie war ich näher beim Rebitsch – einfach weil ich ihn kannte.
Wie war dein Verhältnis zu Ernst Schmid?
Der Ernst war eben die Generation vor dem Rebitsch. Rebitsch und Buhl waren sich näher, standen auch in einer gewissen Konkurrenz zueinander. Buhl war in den späten Vierzigerjahren der junge, aufstrebende Star. Ernst Schmid war schon auch ein ähnliches Kaliber, aber natürlich nicht so gefinkelt wie später ein Rebitsch. Bei ihm reden wir vom dritten und vierten, auch mal vom fünften Schwierigkeitsgrad. Allerdings in der Rosskopf-Nordwand, die Ernst Schmid erstbegangen hat, auch schon vom sechsten Grad. Aber zwischen einem Schmid-Sechser und einem Rebitsch-Sechser gibt es dann doch leichte Unterschiede. Der Ernst war auch deshalb für mich interessant, weil er mit dem Fiechtl kletterte. Hans Fiechtl war ein Münsterer, vom Ausgang des Zillertals. Den Fiechtl habe ich auch sehr geschätzt.
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