Was hat euch die Sicherheit gegeben, dass ihr in dieser extremen Höhe ohne künstlichen Sauerstoff keine Schäden davontragen würdet?
Na ja, Sicherheit gab es da keine. Das waren ja genau unsere Bedenken: dass wir ohnmächtig werden, dass es irgendwo im Hirn einen Riegel umlegt und wir den Verstand verlieren. Das wusste man ja nicht, das mussten wir ausprobieren. Reinhold flog 1977, nach unserem Versuch am Dhaulagiri, mit dem Schweizer Piloten Emil Wick über den Everest, bis auf 9000 Meter hinauf, und setzte dabei keine Sauerstoffmaske auf. Das ging, und das machte uns Mut. Und wir wussten – Reinhold vom Nanga Parbat und vom Manaslu, ich vom Hidden Peak –, dass wir auch oberhalb von 8000 Metern noch Reserven hatten.
War der Everest der Beginn deiner Karriere, weil du durch diese Besteigung weltbekannt wurdest, oder war er ihr Höhepunkt?
Der Everest war noch lange nicht mein Höhepunkt. Am Everest war ich längst nicht so leistungsfähig wie bei meinen späteren Expeditionen. Aber natürlich verdanke ich ihm viel. Unsere Besteigung hat mir gezeigt, dass alle anderen Achttausender ohne Sauerstoff zu machen sind. Am Everest war ich durch die Ungewissheit noch gehandicapt, danach war ich freier. Er hat mir sozusagen die Angst vor weiteren Achttausender-Besteigungen genommen. Auf der anderen Seite hat er meine Karriere, wenn man das so sagen will, für etwa sechs Jahre unterbrochen. Ich war bis 1984 auf keinem Achttausender mehr. Ich habe sehr viele Vorträge gehalten, ich habe mein Buch „Der einsame Sieg“ geschrieben, ich habe meine Alpinschule ausgebaut, mein privates Leben orientiert – habe ein Haus gebaut, war für die Familie da. Reinhold machte nach dem Everest sofort weiter, nutzte seine gute Akklimatisation, um im gleichen Sommer den Alleingang am Nanga Parbat zu machen. Und hatte im Jahr 1986 alle 14 Achttausender bestiegen.
Du dagegen hast das Publikumsinteresse nach eurer Besteigung ohne Sauerstoff genutzt, um mit deinen Vorträgen und dem Buch Geld zu verdienen .
Da darf man natürlich nicht vergessen, dass ich in relativ armen Verhältnissen aufgewachsen bin. Das Geld, das ich verdiente, steckte ich in Alpinausrüstung und Expeditionen. Mein Familienleben mit Regina und Christian begann in einer kleinen Wohnung mit einem Zimmer und einer Wohnküche. Ich habe doch nie geglaubt, dass ich einmal in der Lage bin, in Finkenberg ein Haus zu bauen. Das war dann eben auch wichtig für mich, und das hat der Everest ermöglicht. Ein Haus bauen, einen Buben haben wir, einen Baum pflanzen. Das sind doch letzten Endes wichtigere Dinge als das Bergsteigen. Man macht sich ja auch über die Zukunft Gedanken. Die Nachfrage war da, und ich habe den Leuten gern meine Bilder gezeigt und von unseren Erfahrungen berichtet.
Du bist 1990 noch einmal an den Everest gefahren und hast den Nordgrat probiert. Du warst 2000 mit der Amerikanerin Christine Boskoff auf der Südseite. Was war deine Motivation?
1990 wurde ich von amerikanischen Freunden gebeten, Klienten über die Nordseite auf den Everest zu führen. Schon beim Anmarsch über den Rongbukgletscher stellte sich heraus, dass sie völlig überfordert waren. Wir Bergführer konnten dann schlecht allein die Route machen und die Klienten im Basislager lassen, also brachen wir ab. 2000 war das anders, da wollte ich an meine alten Expeditionen anknüpfen, wollte es vielleicht auch einfach „noch mal wissen“. Nach dem Tod von Scott Fischer während der Everest-Tragödie von 1996 hatte Chris Boskoff dessen Unternehmen Mountain Madness übernommen. Weil eine kommerzielle Expedition zum Everest geplant war, lag es nahe, dass Chris und ich uns anschlossen, um den Gipfel ohne Sauerstoff zu besteigen. Ich hatte im Vorfeld viel trainiert und war gut drauf. Aber wir haben uns wohl durch zu häufiges Auf- und Absteigen beide überfordert. Zuerst wurde Chris krank, hatte ein schweres Höhenlungenödem, und dann hat es mich noch mit einer Lungenentzündung erwischt. Sie erholte sich dann so weit, dass sie zum Gipfel gehen konnte, allerdings mit Sauerstoff. Ich hatte da schon Abstand genommen von einer Besteigung. Ich atmete nicht gut, und Sauerstoff kam für mich nicht in Frage.
Christine Boskoff kam im Dezember 2006 im chinesischen Himalaja ums Leben, zusammen mit ihrem Partner Charlie Fowler. Vermutlich wurden die beiden von einer Lawine verschüttet; bisher wurde nur seine Leiche gefunden. Wie geht es dir, wenn du solche Nachrichten hörst?
Es tut mir furchtbar leid, dass sie gestorben ist. Chris war eine tolle Bergsteigerin, sie hat sich immer wieder überwunden, sprang immer wieder über einen neuen Zaun, suchte sich wieder neue Herausforderungen. Sie hatte einen unwahrscheinlichen Ehrgeiz; vielleicht auch, um sich mit ihren Besteigungen einen Namen zu machen, um letztendlich ihr Geschäft zu pushen. Vielleicht ist ihr das zum Verhängnis geworden.
Nun war Chris ja nicht die Erste aus deinem Freundeskreis, die beim Bergsteigen ums Leben kam. Im Lauf deines Lebens warst du immer wieder damit konfrontiert, dass Leute, die du mal mehr, mal weniger gut kanntest, tödlich verunglückten. Was löst das aus in dir?
So eine Nachricht löst natürlich erst einmal Betroffenheit aus. Du denkst an die Zeit zurück, an die schönen Momente, die du mit dieser Person verbracht hast. Aber ansonsten ändert es dich nicht. Du hörst deshalb nicht auf bergzusteigen, du gehst deshalb nicht weniger schwere Routen. Ich stelle mir halt vor, die Leute sitzen da oben irgendwo alle beieinander auf einer Wolke und lachen uns aus, weil wir da weiß Gott wie herumteufeln. Für mich sind sie irgendwo noch vorhanden, und sei es nur in meiner Erinnerung. Die Chris ist irgendwo vorhanden, der Marcel Rüedi, all jene, die durch dieses oder jenes Ereignis umgekommen sind. Ich persönlich glaube, dass es diesen Leuten gut geht. Ich kann das für mich so sagen.
Peter Habeler mit Christine Boskoff vor dem Start zum Südsattel des Mount Everest
Und du musst dein eigenes Tun deshalb nicht hinterfragen?
Nein, das tue ich mit Sicherheit nicht. Natürlich trifft es mich, wenn wieder so eine Sache passiert wie mit Markus Kronthaler am Broad Peak oder wie mit Andi Orgler, der mit seinem Drachen tödlich abstürzte. Wenn ich Drachenflieger wäre, würde ich in der Folge sicherlich mein Gerät noch genauer checken, würde eruieren, was die Ursache dieses Unfalls war. Bei einem Kletterunfall würde man untersuchen, warum die Sicherungskette versagt hat. Mit Lawinenunfällen befasse ich mich sowieso intensiv, da bin ich als Bergführer immer noch sehr stark gefordert. Aber ich höre deswegen nicht auf, Skitouren zu gehen oder zu klettern. Das stelle ich nicht in Frage. Gut, mittlerweile mache ich natürlich auch keine so extremen Sachen mehr, aber auch früher habe ich das nie in Frage gestellt. Mit dem Tod muss man leben.
Wenn du dir die Situation am Everest heute vergegenwärtigst: Was hat sich gegenüber früher verändert? Und wie kritisch siehst du diese Veränderungen?
Heute steigt ja kein Mensch auf den Everest, bevor er nicht von 6400 Meter bis auf 8850 Meter hinauf versichert ist. Der ganze Berg voller Fixseile, ob vom Nordsattel oder vom Südsattel, bis zum letzten Meter! Wenn dann das Wetter stimmt, der Wind sich gelegt hat, marschieren 20 oder 30 Leute mit ihren Sauerstoffflaschen auf den Gipfel. Fast 500 Bergsteiger waren im Jahr 2006 auf dem Everest, mittlerweile ist er mehr als 3000 Mal bestiegen worden. Das Timing ist mittlerweile anders, sie gehen am Abend weg, damit sie am nächsten Morgen oben sind und den ganzen Tag für den Abstieg haben. Sie gehen natürlich auch viel langsamer als wir damals, der Reinhold und ich, obwohl sie Sauerstoff haben. Nicht alle, die zum Everest gehen, sind Bergsteiger.
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