Etwas Neues – damit meinst du den Alpinstil an den Achttausendern?
Ja, Alpinstil in einer Zweiermannschaft. Wir haben alles, was wir in der Nordwestwand des Hidden Peak gebraucht haben, vom Basislager mitgenommen und haben zwischen 6000 und 6100 Metern unser Lager 1 aufgestellt, direkt am Fuß dieser großen, sehr steilen Flanke, die praktisch bis zum Gipfel hinaufzieht. Es war klar, dass wir in dieser Flanke nicht sichern konnten, wir mussten sie seilfrei durchsteigen. Mit einem weiteren Zwischenlager auf 7100 Metern zogen wir dann zum Gipfel, in einer atemberaubenden Ausgesetztheit. In dieser Flanke pfeift es hinunter; wenn du da fliegst, bist du hin. Und wir hatten ja doch einiges im Rucksack: Zelt, Schlafsäcke, Kocher, Proviant, ein 20-Meter-Seil für den Notfall. Oben war es windstill, herrlichstes Wetter, gar nicht mal so kalt, vielleicht hatte es 12, 13 Grad minus, und ich saß da auf meinem ersten Himalaja-Gipfel und war einfach wahnsinnig beeindruckt.
Absteigen musstet ihr dann auch wieder über diese steile Flanke?
Von 8000 bis auf 6000 Meter hinunter mussten wir fast alles mit dem Gesicht zur Wand absteigen. Die Flanke war vielleicht 48, 50 Grad steil. Ich habe dann allerdings den Reinhold noch erschreckt – mir war mein Rucksack zu schwer, und weil die Flanke nach unten auf den Gletscher flach auslief, habe ich ihn einfach hinunterrutschen lassen. Reinhold war weit unter mir, außerhalb der Falllinie des Rucksacks, aber trotzdem ist er im ersten Moment erschrocken, weil er dachte, ich sei gestürzt. Unten konnte ich den Rucksack unversehrt wieder aufsetzen.
Peter Habeler am Gipfel des Hidden Peak, im Hintergrund der Masherbrum
Reinhold Messner in der steilen Nordwestwand des Hidden Peak
Ihr seid dann in einem Zug bis ins Lager 1 abgestiegen und wart am nächsten Tag wieder im Basislager. Vier Tage für einen Achttausender – wirklich eine elegante Geschichte .
Ich bin davon ausgegangen, dass wir das schaffen. Ich war sehr motiviert. Und abgesehen von meinen Migräneanfällen in Skardu und im Lager 1 ging es mir ausgezeichnet. Auch Reinhold war in Bestform, außerdem hatte er schon die Erfahrung vom Nanga Parbat und vom Manaslu. Nach unserem Erfolg am Hidden Peak lag es nahe, weitere Achttausender zu besteigen, und Reinhold schlug für 1977 den Dhaulagiri vor.
Warum seid ihr am Dhaulagiri gescheitert?
Das hatte mehrere Gründe. Zum einen das Wetter: Es schneite dauernd, die Verhältnisse waren schlecht. Außerdem hat unser Viererteam mit Otto Wiedmann und Mike Covington nicht ganz harmoniert. Für eine Wand wie die Dhaulagiri-Südwand, die mehr als 4000 Meter hoch ist, muss alles optimal stimmen. Sie wurde erst 1999, mehr als 20 Jahre nach uns, von Tomaž Humar erstbegangen.
Humar hat dem Alpinstil noch eins draufgesetzt, indem er allein ging. Reinhold Messner und du, ihr wart frühe Anhänger des Alpinstils im Himalaja. War das damals schon Strategie? Oder hat sich das einfach aus der Not ergeben, weil ihr euch eine große Expedition mit all diesem Aufwand an Organisation und Trägern gar nicht leisten konntet?
Das war schon Strategie. Wir wollten aus zweierlei Gründen klein bleiben. Erstens ist die Organisation bei einer kleinen Mannschaft leichter und zweitens die menschliche Seite unproblematischer. Wenn du dir die großen Expeditionen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren anschaust, bei denen gab es doch fast jedes Mal Zores. Der eine will das, und der andere will das nicht, und der Dritte will überhaupt nicht, und der Vierte möchte es in einem Tag machen. Wir haben uns gesagt: Wir sind zwei, wir sind beide eigenständig, wir sind gut. Wir haben die Möglichkeit, diese hohen Berge zu besteigen, und zwar ohne Sauerstoff. Wir wussten, dass wir uns gegenseitig total aufeinander verlassen können. Die Kleinstexpedition mit Partnern, die ich gut kenne, hat sich als das am besten Machbare gezeigt. Nach dem Everest war ich nur noch in Kleinstexpeditionen unterwegs – außer 1984 am K2, und da hat es auch nicht funktioniert. Eine kleine Expedition ist schlagkräftig, aber die Teilnehmer müssen natürlich harmonieren.
Wieder zurück im Basislager – die Besteigung des Hidden Peak war einer der größten Erfolge von Peter Habeler und Reinhold Messner .
Am Everest wart ihr aber in eine größere Expedition eingebunden?
Ja, denn so schnell hätten wir für ihn gar keine Genehmigung bekommen. Deswegen schlossen wir uns einer bereits genehmigten Expedition an, der des Österreichischen Alpenvereins. Reinhold kannte Wolfgang Nairz, den Leiter, gut, mit ihm war er 1972 am Manaslu gewesen. Reinhold war auch die treibende Kraft bei der Everest-Besteigung ohne Sauerstoff, er war der Stratege. Und er wusste, in mir hat er einen kongenialen Partner, der mitmacht.
Allen Zweifeln zum Trotz: Am 8. Mai 1978 wird der Gipfel des höchsten Berges der Welt erstmals ohne künstlichen Sauerstoff erreicht .
Der aber nicht nur „mitmachte“, sondern, nachdem er seine Zweifel überwunden hatte, genauso zum Gipfel wollte wie er .
Genau. Ich war mir aber bis zum Südgipfel nicht sicher, ob wir es schaffen würden oder nicht. Es war neblig, es hat geweht, und vor allem mussten wir wahnsinnig viel spuren. Das Spuren war die Hölle. Wenn du bei jedem Schritt in diesem windgepressten Schnee bis zum Knie einbrichst, das kostet unheimlich viel Kraft. Vom Südgipfel an war ich dann überzeugt, ja, jetzt werden wir es machen. Reinhold kletterte den Hillary Step als Erster, weil er von oben filmen wollte. Der Grat ist steil, ausgesetzt, es geht sowohl nach Südwesten steil hinunter als auch nach Osten, auf die Kangshungseite. Das sind fast 3000 Meter bis auf den Kangshunggletscher. Wenn du da ausrutschst, bist du weg, und deinen Partner ziehst du mit.
Zu der Zeit war der Hillary Step ja nicht versichert – ihr seid also in Seilschaft geklettert und habt euch gegenseitig gesichert?
Nein, wir waren mit dem Seil verbunden und sind gleichzeitig gegangen. Wenn einer gefallen wäre, hätte der Zweite in die andere Seite des Grates springen müssen. Das wäre die einzige Rettung gewesen. Eine sehr theoretische. Heute ist das am Hillary Step kein Thema mehr, heute gehen da Fixseile hinauf, in die sich jeder einhängt. Wir hatten einen tief verschneiten Grat vor uns, wir wussten nicht, ob rechts eine Lawine abbricht oder links. Das war damals ganz anders. Kein einziges Fixseil. Nichts.
Deine Rutschpartie im Abstieg, Peter, war die wirklich so harmlos, wie du sie darstellst?
In meinen Augen war sie harmlos, weil es ein langsames, kontrolliertes Rutschen war, abgesehen vielleicht vom Schluss, als ich das letzte Stück mit dem kleinen Schneebrett hinaustransportiert wurde. Der Schneekeil, der sich zwischen meinen Beinen gebildet hatte, bremste mich. Ein Kind würde das vermutlich genauso machen.
War das eine bewusste Entscheidung oder eher etwas Instinktives?
Ich glaube, ich habe da ganz instinktiv gehandelt. Ich wollte so schnell wie möglich hinunter ins Lager, und auf diese Weise kam ich am schnellsten und am sichersten nach unten. Ich habe das in den Zillertaler Alpen auch manchmal so gemacht, habe mich einfach hingesetzt und bin langsam abgerutscht. Wichtig war nur, dass ich die Richtung zum Südsattel erwischte und nicht auf die Ostseite abdriftete, wo diese riesigen Mengen verfrachteten Schnees waren. Ich rutschte also in der Falllinie ab, stand auf, querte ein bisschen nach rechts, wo teilweise noch unsere Aufstiegsspuren sichtbar waren, setzte mich wieder hin, fuhr ein paar Meter ab, ging wieder Richtung Spur. Das war dieser einstündige Abstieg, der natürlich schon sehr schnell war.
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