»Zumindest wissen wir, dass er es nicht an Dritte geschickt hat.«
»Dafür ist er zu misstrauisch. Er würde diese Infos niemals mit jemandem teilen, bevor er sich einen Plan zurechtgelegt hat, wie er sie am besten ausschlachten kann. Deswegen fährt er jetzt ins Büro. Wie vermutet.«
Der Fahrer lächelte. »Ist schon ein gutes Gefühl, wenn man recht hat.«
»Das ist schließlich unser Job.«
»Verdammt richtig!«
Elliots Gedanken rasten, als er wie automatisch den altbekannten Weg zum Verlagshaus zurücklegte. Die Enthüllungen, die ihm zugespielt worden waren, deuteten auf eine dermaßen verwickelte und böswillige Verschwörung hin, dass er es kaum glauben konnte. Oder besser gesagt, er wollte es gar nicht glauben, denn das zu tun, würde bedeuten, dass alles, was er wusste, eine Lüge war.
Es stand absolut außer Frage, dass er es damit auf die Titelseiten schaffen würde, wenn es alles stimmte. Aber davon ging Elliot aus, denn die Daten beinhalteten schon auf den ersten Blick äußerst detaillierte Finanzinformationen, in denen Dutzende von Scheinfirmen eine Rolle spielten. Die Fährte führte zu einigen der größten Versicherer der Welt, die zufällig zu den größten Profiteuren bei der Bankenrettung nach der Finanzkrise gehört hatten. Er hatte immer vermutet, dass diese Firmen damals in den Genuss von Unmengen an Steuergeldern gekommen waren, denn einer der früheren Vorsitzenden der involvierten Institute war zum Zeitpunkt der Krise Finanzminister der USA gewesen. Doch wenn die Informationen auf dem USB-Stick stimmten, war selbst diese Tatsache gerade einmal die Spitze des Eisbergs.
Elliot hatte gar keine Schwierigkeiten zu glauben, dass alles, was er gerade gelesen hatte, stimmte. Er hatte genug der Weltgeschichte studiert, um zu wissen, dass Menschen zu allem fähig waren. Aber der Durchschnittsbürger würde ausrasten, wenn diese Informationen publik würden.
Nun war er in der Position, diese Geschichte an die Öffentlichkeit bringen zu können – garantiert würde er dafür den Pulitzer-Preis bekommen und ein Buchangebot, bei dem selbst Woodward und Bernstein alt aussehen würden. Das war der positive Aspekt. Der negative war, dass er sich sehr mächtige Feinde machen würde, und wahrscheinlich in die Mongolei auswandern müsste, um sich sicher zu fühlen.
Die Frage war nur, wer hatte ihm diesen Jackpot zukommen lassen? Da hatte jemand heimlich und mit Sicherheit auf illegale Weise Daten gesammelt, die die Grundmauern der Finanzwelt erschüttern oder sogar einstürzen lassen würden. Es machte ihm Sorgen, dass er nicht wusste, wer die Quelle war – doch im Endeffekt spielte es keine Rolle. Er konnte dem Whistleblower auch keinen Vorwurf machen, anonym bleiben zu wollen – man musste sich ja nur einmal anschauen, wie Edward Snowden dafür verfolgt worden war, dass er die Welt über die massiven Abhörprogramme der NSA aufgeklärt hatte.
Auf dem Weg in die Innenstadt gab es nicht viel Verkehr und die Tiefgarage des Verlagshauses war praktisch ausgestorben, als er in seine reservierte Parkzelle fuhr. Natürlich würde das Büro besetzt sein, Nachrichten gab es schließlich rund um die Uhr und es würde auch ein Team damit beschäftigt sein, die morgige Ausgabe in den Druck zu geben. Die Auflage sank natürlich konstant, da immer mehr Leute ihre Sensationslust im Internet befriedigten, statt Geld für tote Bäume auszugeben. So lief es nun mal im Leben, dachte er sich, als seine Schuhe über den Betonboden des Parkdecks huschten.
Der Fahrstuhl war durch Chipkarten gesichert, also holte er seine aus dem Portemonnaie und zog sie durch das Lesegerät. Eine grüne LED blinkte auf und die doppelte Stahltür öffnete sich. Elliot trat hinein, zog seine Karte durch einen weiteren Schlitz und drückte dann den Knopf für die siebzehnte Etage.
Während die Kabine nach oben sauste, ging er im Kopf einen Zeitplan durch. Er würde eine bis zwei Wochen brauchen, um mit unauffälligen Recherchen die Richtigkeit der Daten zu bestätigen. Er würde dazu sicherlich zwei Assistenten brauchen, wenn man die schiere Masse an Informationen berücksichtigte. Die würde er natürlich zu absoluter Verschwiegenheit verpflichten müssen. Denn diese Story als explosiv zu bezeichnen, wäre schon fast eine Untertreibung.
Die Anzeige im Fahrstuhl zeigte gerade die vierzehn, als die Kabine abrupt stoppte.
»Was zum …?«
Alle Lichter blinkten auf und erloschen dann, als ein scharfes metallisches Geräusch vom Boden der Kabine erklang.
Elliots Magen schlug einen Purzelbaum, als der Boden unter ihm nachzugeben schien und der Fahrstuhl in annähernd freiem Fall nach unten sauste, das Bremssystem außer Funktion. Der fast fünfzig Meter tiefe Fall stellte die am längsten scheinenden Sekunden in Elliots Leben dar, das abrupt ausgelöscht wurde, als die Kabine mit einer Geschwindigkeit von über hundert Stundenkilometern auf dem Betonboden des Schachtes aufschlug.
Stunden später stemmten Feuerwehrleute die Stahltür auf und fanden Elliots verdrehte Überreste. Niemand bemerkte, als einer von ihnen einen USB-Stick aus der Tasche des Opfers zog und wenig später unter Angabe fadenscheiniger Gründe den Einsatzort verließ.
Ein glühender Nachruf im Editorial honorierte Elliots unermüdlichen Kampf gegen die Korruption, doch schon nach einer Woche hatte die Welt seinen Tod vergessen – bis auf seine Familie, die wenig später umzog, da ihr altes Eigenheim von zu vielen Erinnerungen an die Vergangenheit heimgesucht wurde.
Malibu, Kalifornien
Spencer, Allie und Drake saßen auf der Veranda und betrachteten den Sonnenuntergang über dem Pazifik, jeder von ihnen mit einem kalten Bier in der Hand, während eine erfrischende Brise ihnen die Haare durcheinanderwirbelte. Ein paar Nachzügler und Strandfreaks zogen noch durch den Sand, während die enthusiastischsten Surfer ihre letzten Wellen des Tages beritten.
»Wie ist es denn unten in Laguna Beach, Spencer?«, fragte Allie, während die Sonne im Meer zu versinken schien.
»Großartig. Es gibt da nicht so viele Neureiche und Hollywoodstars wie in Malibu, aber viele fantastische Aussichten.«
»Hey, pass auf, was du sagst – du kannst doch nicht einfach meine Nachbarschaft schlecht machen.« Drake lachte und stieß mit Allie mit einer frischen Bierflasche an, von der das Kondenswasser herrlich abperlte. Allie seufzte und bewunderte dann wieder den lachsfarbenen Himmel.
»Ein Jammer mit dem Haus. Ich hoffe, du kriegst das geregelt«, sagte sie.
»Tja, irgendwie ist heutzutage nichts mehr einfach. Wie sieht es denn bei dir aus? Klingt ja so, als hättest du eine Menge mit dem Nachlass deines Vaters zu tun!«
»Ich hoffe, ich bekomme die letzten Dinge in den nächsten Wochen geregelt. Ich habe ein spitzenmäßiges Anwaltsteam aus Houston, das mir die schlimmsten Geier vom Leib hält.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich kann immer noch nicht fassen, wie viele von diesen Blutsaugern aus ihren Löchern kommen, sobald es irgendwo Geld zu holen gibt!«
»Frag mich mal«, sagte Spencer und verzog das Gesicht. »Hast du denn vor, in Texas zu bleiben?«
Allie fixierte irgendeinen Punkt in der Ferne, links von Drakes Schulter. »Das kommt darauf an. Hier ist es schon schön! Ich bin nur nicht sicher, ob ich mich an diesen Baywatch-Lifestyle gewöhnen könnte.«
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