(aus: Les Femmes Alpinistes, Annuaire du CAF, Paris 1899)
Margaret Claudia Brevoort, Meta genannt, wurde am 4. November 1825 in New York als fünftes von acht Kindern und drittes Mädchen geboren. Ihre Vorfahren waren um 1630 aus der holländischen Stadt Bredevoort nach New Amsterdam, später New York, ausgewandert. Dort kam die Familie dank Landbesitz in der Stadt zu einem Vermögen.
Meta wuchs an der Fifth Avenue Nr. 21 auf. In ihrem familiären Umfeld fanden sich mehrere namhafte Persönlichkeiten. So war etwa ihr Vater Henry Brevoort eng mit dem Buchautor Washington Irving befreundet; ihr Bruder James Carson Brevoort präsidierte die Long Island Historical Society und führte die Astor Library in New York; eine Nichte heiratete den Schriftsteller Charles Astor Bristed, einen Nachkommen der schwerreichen Handelsfamilie Astor.
Meta selbst erhielt als junge Frau eine ausgezeichnete Ausbildung in Paris und verbrachte in diesem Rahmen mehrere Jahre in Europa. Nach dem Tod ihrer Mutter 1845 und ihres Vaters 1848 kehrte sie nach New York zurück und zog ins Haus ihrer Schwester, verheiratete Coolidge, die unter einer schwachen Gesundheit litt. Deshalb kümmerte sich Meta von dessen Geburt an oft um den Sohn der Schwester, William Augustus Brevoort Coolidge. Daneben arbeitete sie in einem Spital New Yorks innerhalb einer protestantischen Gemeinde.
Wieder zurück in Europa, unternahm sie gemeinsam mit dem jungen William größere Touren und startete ihre Karriere als Alpinistin. Unter anderem stand sie 1869 als erste Frau auf der Grandes Jorasses (4208 m), 1871 auf der Dent Blanche (4357 m), dem Weißhorn (4506 m) und dem Bietschhorn (3934 m) und traversierte als erste Frau das Matterhorn (4478 m), einige Wochen nachdem Lucy Walker ihr die erste Frauenbegehung des Matterhorns weggeschnappt hatte. Im Jahr 1870 gelang ihr die Erstbesteigung des Pic Central der Meije (3973 m) sowie 1874 die Winter-Erstbesteigung des Wetterhorns (3692 m) und der Jungfrau (4158 m). Nach kurzer Krankheit starb sie am 19. Dezember 1876 im englischen Dorking.
ALPINGESCHICHTE
DIE ENTDECKUNG DES ABENTEUERS:
VON FRÜHEN BERGFAHRTEN ZUR
GOLDENEN ZEIT DES ALPINISMUS
In der Antike und im Mittelalter hatten die Alpengipfel eine andere Bedeutung für die Menschen als heute. Eine Terra Incognita waren sie, ein Land, das den Bewohnern so wild und fremd schien wie der Nordpol oder die Antarktis. Bergbewohner lebten mit den Bergen, nicht aber auf ihnen, und Reisende suchten sich den kürzesten Weg über Pässe wie den Septimer oder den Simplon, um das Gebirge möglichst schnell hinter sich zu lassen. Dennoch gab es immer wieder Menschen, die hinaufstiegen, die Gipfel zu entdecken. Die meistzitierte frühe Überlieferung einer Bergfahrt ist jene von Petrarca, wonach dieser 1336 auf den 1912 Meter hohen Mont Ventoux in der Pro vence gestanden hat. Erster dokumentierter weiblicher Gipfelerfolg ist jener der Adligen Regina von Brandisund deren Tochter Katharina Botsch, die zusammen mit Jakob von Boymont zu Payrsberg im Jahr 1552 auf der 2434 Meter hohen Laugenspitze in Südtirol standen.
DIE KRAFT DER NEUGIER: WISSENSCHAFTER STEIGEN AUF BERGE
Im 18. Jahrhundert dann stand bei Bergfahrten oft die von aufklärerischen Ideen geprägte Neugier im Vordergrund, die Welt wissenschaftlich zu verstehen. Ein Zugang zum Gebirge, der das Frauenbergsteigen nicht eben förderte: Frauen aus gehobenen Schichten waren vor gut 200 Jahren zwar durchaus gebildet, der Zugang zu akademischer Forschung und Lehre an den Universitäten blieb ihnen jedoch verwehrt. Gelehrte wie der Zürcher Johann Jakob Scheuchzer oder der Genfer Horace-Bénédict de Saussure beschäftigten sich derweil mit Paläontologie und Botanik, Geologie und Klima und wurden so zu frühen Bergsteigern. Fasziniert vom Montblanc, den er von Genf aus sehen konnte, schrieb de Saussure 1760 eine beträchtliche Summe für jenen aus, der als Erster den Gipfel des Berges erreichen oder zumindest eine passable Aufstiegsroute entdecken sollte. Im Jahr 1786 war es so weit: Der Führer Jacques Balmat und der Arzt Michel Gabriel Paccard, beide aus Chamonix, erreichten den Gipfel. Ein Jahr später stieg de Saussure auf den Berg und führte barometrische Messungen durch, die ihm bestätigten, dass er auf dem höchsten Gipfel der Alpen stand.
Henriette d’Angeville in ihrem Mantel mit Pluderhosen, den sie eigens für den Montblanc schneidern ließ .
(Jules Hébert, Aquarell)
Gut zwanzig Jahre später, im Juli 1808, erreichte die erste Frau den Gipfel des Montblanc: Marie Paradis(1778–1839) aus Les Houches, einem Nachbardorf von Chamonix. Im Gegensatz zu den männlichen Bergsteigern dieser Zeit, die meist aus einer gebildeten Schicht stammten, Ärzte, Gelehrte oder Pfarrer waren oder aber als Bergführer arbeiteten, war Marie ein Bauernmädchen. Gemäß der Überlieferung war es denn auch nicht ihre Idee, auf den Berg zu steigen, weshalb ihre Leistung später von Kritikern geschmälert wurde. Dennoch: Die junge Frau war verwegen genug gewesen, sich zu diesem Abenteuer überreden zu lassen. Und wenngleich sie angeblich stellenweise getragen und gezerrt wurde – sie hielt durch bis zum Gipfel. Wieder im Tal, wusste sie zudem ihren Gipfelerfolg zu vermarkten: Sie eröffnete in Les Houches ein Café, erzählte Gästen ihre Geschichte und ermöglichte sich damit ein besseres Leben.
FRAUENBERGSTEIGEN: DER STARTSCHUSS FÄLLT 1838
Vielleicht weil Marie Paradis nicht ganz aus eigenem Willen und eigener Kraft den höchsten Alpengipfel erreicht hat, gilt die zweite Besteigung des Montblanc durch eine Frau bis heute als eines der wichtigsten Daten im Frauenalpinismus: jene durch Henriette d‘Angeville(1794–1871), eine französischschweizerischen Alpinistin, die sich selbst als Bergsteigerin bezeichnete und klare Gipfelambitionen hegte. Mit dem Ziel vor Augen, den höchs ten Punkt des Montblanc um jeden Preis zu erreichen, stellte sie eine Equipe zusammen und erfüllte sich am 3. September 1838 ihren Traum. Anders als spätere Alpinistinnen, die sich mit ihren langen Röcken abmühten, war sie von gesellschaftlichen Konventionen offenbar noch weniger geprägt gewesen und hatte sich eigens für den Montblanc ein Gewand schneidern lassen: eine Art lange Pluderhose, kombiniert mit einem langen Mantel.
Beliebter Bergtourismus: noble Gäste auf der Mer de Glace in den späten 1870er-Jahren .
(aus: Ronald W. Clark: The Victorian Mountaineers. B. T. Batsford, London 1953)
Im selben Jahr, 1838, gelang der Engländerin Anne Lister(1791–1840) die erste touristische Besteigung – Führer und Vermesser waren vorher schon oben gestanden – des 3298 Meter hohen Felsgipfels des Vignemale in den französisch-spanischen Pyrenäen. Dass es ihr dabei wichtig war, für ihre Leis tung anerkannt zu werden, zeigt das juristische Nachspiel der Tour: Nachdem ihr der französische Militär und Politiker Napoléon Joseph Ney den Erfolg streitig gemacht hatte, ließ sie juristisch beglaubigen, dass sie vier Tage vor Ney den Gipfel erreicht hatte.
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