DIE FRAU, DIE BERGE VERSETZEN KANN
Denali, Annapurna, Green Science Policy Institute: Arlene Blum mag Herausforderungen am Berg und im Beruf
«LA NOUVELLE ATTITUDE FEMININE»: SELBSTBESTIMMT DURCH DIE SCHWIERIGSTEN WÄNDE DER ALPEN
DAS GLÜCK IST AUS GRANIT
Für Renata Rossi, erste Bergführerin Italiens, sind die Gipfel des Bergells der beste Platz der Welt
MIT DEM LAUF DES LEBENS
Die erste Schweizer Bergführerin Nicole Niquille kennt trotz Schicksalsschlägen nur einen Weg: mit voller Kraft voraus
BERGSTEIGEN JENSEITS DER HOCHGLANZMAGAZINE
Unterwegs zu sein ist Barbara Hirschbichler wichtiger, als anzukommen
GANZ OBEN: FRAUEN AUF DEN HÖCHSTEN GIPFELN DER WELT
KLEINE EXPEDITIONEN ZU GROSSEN BERGEN
Nives Merois poetische Geschichten von ihren Kleinstexpeditionen an den höchsten Gipfeln der Welt
DER LEBENSTRAUM VON ALLEN ACHTTAUSENDERN
Ganz oben findet die Höhenbergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner die Freiheit vom Unten
LEBEN AN DEN FINGERSPITZEN – UND IN BUNTEN HOSEN: FREI- UND SPORTKLETTERN
EINS WERDEN MIT DEM FELS
Mit der Französin Catherine Destivelle trat der Frauenalpinismus an die Öffentlichkeit
AUF DER NASE HERUMGEKLETTERT
Wie die US-Amerikanerin Lynn Hill am El Capitan Klettergeschichte schrieb
DURCH DEN OZEAN AUS FELS
Sílvia Vidal eröffnet neue Bigwalls durch wilde, unbekannte Wände am Ende der Welt
DIE HERAUSFORDERUNG, ERSTE ZU SEIN
Bisher kletterte keine Frau schwierigere Routen als die Baskin Josune Bereziartu
HÖHER, STEILER, SCHWIERIGER: PROFESSIONALISIERUNG UND DIVERSIFIZIERUNG DES ALPINISMUS
EINE SCHWÄCHE FÜR STEILEIS UND EISCREME
Als bisher einzige Frau erhielt die Japanerin Kei Taniguchi für eine außergewöhnliche Erstbegehung den Piolet d’Or
FELS UNTER DEN HÄNDEN, LUFT UNTER DEN FLÜGELN
Die amerikanische Kletterin und Basejumperin Steph Davis braucht nicht viel – außer ihrer Freiheit
VON DER EISPRINZESSIN ZUR ERSTBEGEHERIN IM ALPINSTIL
Für Ines Papert sind Grenzen dazu da, sie zu überwinden
DIE INTENSITÄT DES AUGENBLICKS
Im Granit von Patagonien oder im Kalk der Dolomiten – beim Klettern ist Dörte Pietron vollig fokussiert
VOLLGAS DIE WÄNDE HOCH
Nina Caprez gehört zu den besten Felskletterinnen der Welt und erfüllte sich, mit knapp 25 Jahren, ihren bisher größten Klettertraum
NACHWORT: ROCK AND ROLE WAS KLETTERN MIT WEIBLICHEM SELBSTVERSTÄNDNIS ZU TUN HAT
Dank
Quellen
Register der Bergsteigerinnen und Kletterinnen
WARUM NICHT AUF DEN Everest?
Die US-Amerikanerin Meta Brevoort stieg als eine der ersten Frauen auf hohe Alpengipfel – und träumte von noch Höherem
Es ist der 2. Oktober 1865, ein Montag, als Meta Brevoort den Gipfel des Montblanc erreicht. Mit ihr Frau Denise Sylvain-Couttet, zwei Führer und zwei Träger. Sie stehen im Sonnenschein unter einem tiefblauen Himmel, doch es ist bitterkalt. Dennoch nehmen sie sich Zeit für die Gipfelrast. Als Erstes lassen sie den Korken einer Champagnerflasche knallen. Danach setzen sie Metas Vorschlag um: Sie tanzen eine Quadrille und singen die Marseillaise. Diese Hymne der Republik galt damals in Frankreich – es war die Zeit des zweiten Kaiserreichs – als Affront gegen den regierenden Napoleon III. Umso mehr dürfte sich die US-Amerikanerin Meta, eine überzeugte Republikanerin, amüsiert haben, das Lied auf dem höchsten Gipfel der Alpen zu schmettern.
Die Tour auf den Montblanc ist eine der ersten alpinen Taten Metas. Kurz zuvor ist sie mit ihrem Neffen William Coolidge, einem rundlichen Jungen, in die Schweiz gereist. Dies, nachdem ein Pariser Arzt dem kränklichen William zur Kur etwas Bergluft empfohlen hat. Tante Meta setzte den ärztlichen Ratschlag um: Zunächst steigt sie mit ihrem Neffen im Berner Oberland auf den 2362 Meter hohen Niesen, dann reisen die beiden nach Zermatt und besteigen die 3803 Meter hohe Cima di Jazzi. Für den Montblanc ist der Junge zu schwach, doch die Berge werden ihn nicht mehr loslassen. William Augustus Brevoort Coolidge sollte in den folgenden Jahrzehnten einer der wichtigsten Bergsteiger seiner Zeit werden.
Nach diesem Sommer entschied Meta, sich mit ihrem Neffen in Europa niederzulassen. Sie kennt den Alten Kontinent bestens: Als junge Frau hat sie die Schule des Couvent Sacré-Cœur in Paris besucht, und mit ihren Eltern ist sie im Sommer oft durch die Schweiz gereist. Vielleicht war es auch ihre Familie, die ihr eine gewisse Abenteuerlust mit auf den Weg gegeben hatte: Ihre Mutter besaß ein Bergpanorama der Berner Alpen mit der Bestätigung, im August 1835 von Grindelwald auf das Faulhorn gestiegen zu sein, und in der kanadischen Arktis liegt bis heute die unbewohnte Brevoort Island, benannt nach Metas Onkel, einem Geografen und Historiker.
Den ersten Winter in Europa verbringen Meta und William in Florenz. In dieser Zeit lesen sie «Peaks, Passes, and Glaciers», die Vorgängerpublikation des britischen «Alpine Journal» – und es ist um sie geschehen. Sie wollen ihr Leben künftig den Bergen widmen. In den zwei folgenden Bergsommern sind sie noch zurückhaltend: Zu ihrem Tourenprogramm gehören Routen wie die Haute Route von Chamonix nach Zermatt oder der 3234 Meter hohe Beichgrat in den Walliser Alpen. Doch dann gibt es kein Halten mehr. In den Sommern 1868 und 1869 reiht Meta ein alpines Glanzlicht ans nächste: Sie steigt als erste Frau auf die Grandes Jorasses, unternimmt Erstbegehungen der hochalpinen Pässe des Col du Moine und des Col de la Bérangère, steigt auf den 4314 Meter hohen Grand Combin und den 4634 Meter hohen Monte Rosa. Zudem versucht sie von der italienischen Seite her als erste Frau auf das Matterhorn zu klettern. Und dies nur vier Jahre nach Edward Whympers tragischer Erstbesteigung des Gipfels. Meta macht keine halben Sachen. Sie hat eine «unglaubliche Vitalität und die große Gabe, alles mit Freude zu tun», schreibt Chronistin Cicely Williams über die Amerikanerin.
Mit von der Partie ist nebst Neffe William meist der Grindelwaldner Bergführer Christian Almer, der dafür verantwortlich ist, dass die Seilschaft ein weiteres Mitglied erhält: den Hund Tschingel. Denn er ist es, der nach einem Misserfolg am Eiger mit dem untröstlichen William Mitleid hat und ihn fragt, ob er sich über einen Hund freuen würde. Als dieser begeistert ist, schenkt Christian Almer ihm tags darauf die dreijährige Hündin Tschingel, einen braunroten Mischling mit kurzem Haar und weißen Pfoten, der bereits als Welpe vom Lötschental über den vergletscherten Tschingelpass ins Berner Oberland gewandert ist. Almer selbst würde fortan Tschingels Sohn Bello als Wachhund haben.
(aus: Ronald W. Clark: An Eccentric in the Alps. Museum Press, London 1959)
Ein starkes Team: Meta Brevoort mit ihrem Neffen William Coolidge, den Führern Christian Almer (ganz links) und Ulrich Almer (ganz rechts) sowie der Hündin Tschingel, die mit einem eigenem Porträt geehrt wurde (Bild links) .
(aus: Ronald W. Clark: An Eccentric in the Alps. Museum Press, London 1959)
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