Wahrnehmungen betreffen in diesem Sinne Phänomene der Außenwelt, des eigenen Körpers oder der eigenen inneren gedanklichen und emotionalen Prozesse. Solche Wahrnehmungen können sich demnach auf konkrete Dinge (einen Hasen, ein Gewitter, einen Stuhl) oder aber abstrakte Phänomene (eine Erklärung, eine Frage, ein Problem) beziehen. Bei den konkreten Wahrnehmungen stehen zunächst meist die der Sinnesorgane (sehen, hören, riechen, schmecken, tasten) im Vordergrund. Sie werden aber rasch mit assoziativen Regionen des Gehirns abgeglichen. Die Wahrnehmung abstrakter Phänomene spielt sich in der Regel von Anfang an im »Innenbereich« ab, indem diese z. B. als Gedanke, als Ahnung, als Gefühl im Bewusstsein eine erste Gestalt annehmen.
Mit dem Begriff des »Registrierens« ist im RSG-Modell somit der hier beschriebene Vorgang einer initialen bewussten Wahrnehmung als möglicher Vorstufe weiterer psychischer Verarbeitungsprozesse gemeint.
Subjektivieren bezeichnet den Vorgang, der nach der Registrierung einsetzen kann, um die registrierten Informationen zu verarbeiten. Die Grenze zwischen Registrieren und Subjektivieren ist in der Praxis selbstverständlich nicht so starr, wie sie im theoretischen RSG-Modell erscheint. Denn einerseits können während des Verarbeitungsprozesses permanent weiter Informationen aufgenommen oder verworfen werden. Wir haben auch gesehen, dass dies zum Teil unbewusst erfolgt und dann trotzdem einen maßgeblichen Einfluss auf das Ergebnis des Verarbeitungsprozesses hat. Andererseits ist auch der Prozess der Registrierung, der einer sinnlichen (Außen-) Wahrnehmung oder einer innerlichen Wahrnehmung entspricht, aufs Engste durch Vorstrukturierungen geprägt. Diese Vorstrukturierungen reichen von kausalen Ordnungen über die sprachliche Grammatik oder erkenntnisleitende Interessen (vgl. Kap. 6.5) bis hin zu emotionalen Gestimmtheiten und selektiven Informationsfiltern, die zum Beispiel den Basalen Wahrnehmungsmustern (vgl. Kap. 3.3) entsprechen. Es gibt zudem Rückkopplungseffekte. Sie werden zum Beispiel durch das assoziative Gedächtnis vermittelt und prägen die Wahrnehmung schon im Moment des Registrierens sehr stark.
Gleichwohl ist es so, dass die Verarbeitungsmechanismen, die in der Phase der Subjektivierung ablaufen, viel ausgeprägter und vor allem in wesentlichen Teilen bewusstseinsnäher sind als in der Phase des Registrierens. Auch wenn es sich nur um eine Modellvorstellung handelt, macht es daher Sinn, das initiale Registrieren einer Information von der sich möglicherweise daran anschließenden Phase der Verarbeitung zu unterscheiden.
Der Begriff der Subjektivierung wurde deswegen gewählt, weil es sich immer um einen Prozess handelt, in dem Informationen geformt werden, um sie sich schließlich als kurzzeitigen oder nachhaltigen Bewusstseinsinhalt anzueignen. Die Aneignung geschieht durch einen Gedanken, ein Gefühl oder eine Erkenntnis im engeren Sinne. Dieser Bewusstseinsinhalt ist nicht selten eine Grundlage für eine darauf aufbauende und sie begründende Entscheidung – für oder gegen eine Handlung. Der Prozess der Formung und Aneignung kann auf all die einem Individuum zur Verfügung stehenden kognitiv-emotionalen und erkenntnisbildenden Mechanismen zurückgreifen. Sie sind zwangsläufig von den generellen und zusätzlich den individuell spezifischen Dispositionen durchsetzt. Daher wird der gesamte Formungs- und Aneignungsprozess stark an subjektiven Maßstäben und Gewohnheiten ausgerichtet. Wir sahen, dass es viele dieser subjektiv prägenden Mechanismen gibt, die zu verzerrten Bewertungen und in der Folge zu problematischen Handlungen führen können.
Es greift aber zu kurz, die Phase der Subjektivierung nur als etwas Problematisches zu verstehen. Es handelt sich ja um den individuellen Gebrauch der Vernunft mit all ihren Schwachstellen, aber auch all ihren großen Potenzialen. In der gesamten Menschheitsgeschichte und auch in der Gegenwart gab und gibt es viele Menschen, die durch das damit verbundene Potenzial bahnbrechende Erkenntnisse und großartige Leistungen hervorgebracht haben. Man kann hier an Persönlichkeiten aus Kunst, Wissenschaft und Politik denken, die geniale Kunstwerke geschaffen, große Erkenntnisse gewonnen oder den Lauf der Geschichte positiv geprägt haben. Großartige Dinge müssen aber nicht immer Dinge sein, von denen die Welt Kenntnis erhält. Großartige Dinge ereignen sich auch im Kleinen, in der Familie, der Kindererziehung, dem ehrenamtlichen Engagement, oder in alltäglichen Verhaltensweisen, die auf vernünftigen Erkenntnissen basieren und die Welt ein wenig besser machen. Dass es sich dabei stets auch um einen Vorgang der Subjektivierung von Informationen handelt, muss dem Ergebnis nicht von vornherein abträglich sein.
Aber wir richten bei der Betrachtung in diesem Buch das Augenmerk primär auf die Risiken und Schwachstellen der entsprechenden Prozesse. Das geschieht mit dem aufklärerischen Ziel, damit die ein oder andere nützliche Erkenntnis vermitteln zu können. In diesem Sinne lässt sich die Subjektivierung wie folgt charakterisieren: Es handelt sich um einen Verarbeitungsprozess von Informationen, die auf der ersten Stufe registriert wurden. Sie werden dann zu einer Gestalt (z. B. Gedanke, Eindruck, Theorie, Erklärung, Lösung) geformt und somit subjektiv angeeignet.
Flüchtlingen, die in einem anderen Land integriert werden sollen, gelingt es im günstigen Fall, sich an der neuen Kultur auszurichten. Mit ähnlicher Zielsetzung durchlaufen auch die registrierten Informationen von Anfang an einen Prozess der Angleichung, der Ausrichtung an subjektiven Maßstäben und Gewohnheiten und der Umformung. Die Subjektivierung ist wie ein Backofen, in dem ständig kleine und große Kuchen, Kekse oder manchmal auch nur Krümel gebacken werden. Dafür wird so lange geschnitten, gemischt und gerührt, bis etwas herauskommt, das schmeckt oder zumindest vertraut ist.
So gilt zum Beispiel:
−In der Phase der Subjektivierung werden gerne kausale Zusammenhänge gesucht, gefunden und nicht selten erfunden.
−Das Produkt soll vertraut sein. Es wird bevorzugt, wenn es sich leicht und bequem in bereits vorhandene Vorstellungen und/oder Stimmungen integrieren lässt.
−Die Ergebnisse des Verarbeitungsprozesses werden mit der eigenen Emotionalität (fühlt sich gut, fühlt sich richtig, fühlt sich passend, fühlt sich vertraut an) und Basalen Wahrnehmungsmustern abgestimmt (wer die Welt prinzipiell als einen feindlichen Ort wahrnimmt, wird häufig feindliche Umstände oder Motive erkennen).
−Es besteht eine starke Tendenz, Komplexität zu reduzieren, indem viele Informationen nicht zur Kenntnis genommen, weggelassen oder selektiv ausgesucht werden.
−Subjektiv Widersprüchliches, Unbequemes, Erkenntnisse, die das eigene Leben auf den ersten Blick erschweren, die Glaubensvorstellungen, Überzeugungen oder gar die eigene Identität infrage stellen, finden nur schwer Eingang in die Verarbeitungsprozesse der Subjektivierung.
−Es besteht eine starke Tendenz zur Polarisierung, zum Beispiel: schwarz/ weiß, entweder/oder, Freund/Feind, alles oder nichts, immer oder nie, eine Erklärung für alles oder zumindest für vieles, Superlative (das Schönste, das Größte, das Spannendste, das Witzigste, mega-mega-mega-giga …)
−Es besteht eine Tendenz, sich auf das zu fokussieren, was man kennt, was man subjektiv glaubt, erklären zu können, aber nicht unbedingt auf das, was von der Sache her eigentlich wichtig wäre.
−Kleine und große Geschichten werden abgerundet und harmonisiert. Kanten und Unverträglichkeiten werden abgeschliffen. Denn wir lieben eindeutige Geschichten und Botschaften.
5.2.2Das Hirn kann alles erklären – auch ohne jedes Wissen
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