1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Milla fand Tarya und Isak wieder.
»Wer war diese Frau?«, flüsterte Tarya im Lärm des Feuerwerks. »Hat sie wirklich Drachen gesagt?«
»Bestimmt hat sie bloß in Symbolen gesprochen, wie der Herzog, oder?« Milla war immer noch wie benebelt vor Hitze und Hunger.
»Wie hat sie das mit den Menschen gemeint, die hier früher gelebt haben?« Die Vorstellung schien Isak zu entsetzen. Er schob seine Augengläser nach oben. »Es kann doch nicht sein, dass sie zurückkommen!« Sein Atem ging wieder flach und schnell.
»Atme mit mir, Isak. Komm, wir setzen uns hier hin.« Tarya legte ihm die Hand auf den Rücken und holte in tiefen, langsamen Zügen Luft, was er nachahmen sollte. »Schon viel besser.« Die Konzentration und die Sorge um ihn standen ihr ins Gesicht geschrieben.
»Na ja, irgendjemand muss die Stadt ja erbaut haben. Und dann verschwunden sein«, sagte Milla. »Was habt ihr denn gedacht?«
»Die Frau war wütend. Aber wir können doch nichts dafür!«, sagte Isak zwischen abgehackten Atemzügen. »Wie auch? Die Stadt war leer, als unsere Leute hier ankamen. Und wir sind hier geboren .« Er beugte sich vor und legte einen Finger auf seine Augengläser, damit sie an Ort und Stelle blieben. Während er über die Palastgärten aufs Meer hinausstarrte, das die letzten Funken des Feuerwerks als kleine Lichtpunkte zurückwarf, wurden seine Atemzüge ruhiger. »Das hier ist unser Zuhause. Was vorher passiert ist, ist nicht unsere Schuld.«
»Wo stecken diese Menschen jetzt?«, fragte Tarya, die immer noch den Arm um ihren Bruder gelegt hatte. »Wenn die Stadt ihnen gehört, warum kommen sie nicht her und holen sie sich zurück?«
»Sie hat nicht gesagt, dass wir schuld sind«, mischte sich Milla ein. »Nur, dass Menschen gestorben sind. Von Schuld hat sie nichts gesagt –«
»Wen kümmert schon die Schuldfrage, was ist mit den Drachen ?«, unterbrach Tarya sie. »Sie hat gesagt, dass sie wiederkommen! Man hat doch jahrelang gesucht …«
Die nächste Ankündigung eines nervösen Herolds ersparte Milla weitere Fragen.
»Die jungen Männer von Arcosi werden nun vor dem Drachenfürsten ihren Eid ablegen!«
»Jetzt?«, fragte Isak. »Ich bin noch nicht bereit, Tarya.« Der Herzog hatte sich aus Anlass seines Geburtstags eine komplizierte Eidesformel ausgedacht und alle würden zuhören.
Tarya half Isak beim Aufstehen und nahm seine Maske. Dann rückte sie seine Gläser zurecht und strich sein Hemd glatt. »Du schaffst das. Du kennst den Text. Wir können ihn alle auswendig, vorwärts, rückwärts und im Schlaf. Stimmt’s?«
Isak lächte matt. »Stimmt.«
»Viel Glück!«, rief Milla.
Er nickte unsicher und nahm seinen Platz in der Reihe ein.
Milla ging mit den anderen Angestellten ans Ende der Halle. Die norländischen Dienstmädchen hielten Abstand und sahen hochnäsig auf sie herab, doch Milla ignorierte ihr Getuschel. Sie ließ Isak nicht aus den Augen.
Er legte seinen Eid tadellos ab, blieb sogar ein wenig länger auf dem Podest und plauderte mit Herzog Olwar. Als er anschließend mit einer Zinnmedaille um den Hals, in die der Umriss eines Drachen aus schwarzer Emaille eingearbeitet war, an seinen Platz zurückging, war er voller Energie. Das war Olwars Gabe: Er zog die Menschen an. Er war ihre Sonne und alle wandten seinem Licht die Gesichter zu.
Milla beeilte sich, den Zwillingen mit Speisen beladene Teller zu bringen, wobei sie unterwegs diskret selbst ein paar Bissen aß, damit sie Josi sagen konnte, dass ihr Essen wesentlich besser war. Trotzdem schmeckte es köstlich und sie fühlte sich gleich ein wenig kräftiger. Nachdem die Gäste gespeist hatten, traten die Palastmusikanten auf, und schon bald war die alte Drachenhalle von Musik erfüllt.
»Zeit für den Tanz …« Tarya starrte sehnsüchtig zum polierten Tanzboden hinüber, der mit einem weiteren Feuer spuckenden schwarzen Drachen dekoriert war. »Aber du solltest lieber kein Risiko eingehen, Isak, und dich ausruhen. Wir schauen einfach nur zu.«
»Mir geht es wieder gut. Wir tanzen nur diesen einen Tanz«, sagte er und schluckte. »Es ist der Ball des Herzogs. Ich bin es ihm schuldig. Er war sehr freundlich, als er mit mir gesprochen hat. Habe ich dir erzählt, dass er mich zum Segeln eingeladen hat?«
»Ja, schon drei Mal.« Tarya verdrehte die Augen, lächelte aber.
»Hier, kannst du meine Gläser festhalten, Milla?«
Also schaute Milla mit Isaks Augengläsern und Taryas Schal und Fächer in der Hand zu, während sie mit dem Fuß unauffällig im Takt wippte. Die Zwillinge waren die besten Tänzer, stellte sie voller Stolz fest. Sie beobachtete Isak mit einem blonden Mädchen in einem silbernen Kleid und mit funkelnden Diamanten um den Hals. Er bewegte sich geschmeidig und perfekt im Takt, und was er dem Mädchen auch sagte, brachte sie zum Lachen. Niemand würde glauben, wie viel ihm das abverlangte.
Nun wirbelte Tarya vorbei: Sie ging das Tanzen mit der gleichen Energie an wie alles andere. Milla musste unwillkürlich lächeln.
»Sie ist wunderschön«, ließ eine Stimme an ihrem Ohr sie zusammenschrecken. Dort stand ein hochgewachsener junger Mann mit einer grünen Federmaske und einem dazu passenden grünen Seidenjackett, das von Silberfäden durchzogen war.
»Ja, und das ist längst nicht alles …«, erwiderte Milla stolz.
»Davon habe ich gehört.« Er stand so nah, dass ihn niemand sonst verstehen konnte. »Und das ist gut. Ich könnte eine Herausforderung gebrauchen.« Er zog die norländischen Vokale so vornehm in die Länge, dass er klang wie der Herzog.
»Sie werden es schon merken, wenn Sie mit Tarya Thornsen tanzen.« Wahrscheinlich war er der Nächste auf Taryas Tanzkarte, auch wenn Milla der hungrige Blick nicht gefiel, mit dem der Fremde ihre Freundin auf der Tanzfläche verfolgte. »Außerdem ist sie keine gewöhnliche Kaufmannstochter. Sie spricht drei Sprachen, ist geübt im Bogenschießen, geschickt mit dem Langschwert und vermag einen Kurzdolch besser zu werfen als ihr Vater. Sie kann Heiltränke brauen, maßstabsgerecht zeichnen und ist unterhaltsamer als alle anderen in diesem Raum!« Als Milla Luft holte, glühten ihre Wangen. So viel hatte sie gar nicht sagen wollen.
»Es wird immer besser.« Der hoch aufgeschossene junge Mann schob sich die Maske auf den Kopf und sah lächelnd zu ihr hinab.
Milla blieb der Mund offen stehen. Es war Vigo, der Sohn des Herzogs. Seine verzogen-gelangweilte Art und die träge Geschmeidigkeit seiner Bewegungen erinnerte sie an Skalla, den Küchenkater. Er war wesentlich größer als Milla, hatte kurzes, dunkel gelocktes Haar und sehr grüne Augen, was seine katzenhafte Erscheinung noch unterstrich.
»Und du gehörst auch dazu, kleine Wildkatze?«
Sie beschloss blitzschnell, ihn zu behandeln wie alle anderen auch. Ansonsten würde sie einfach nur dastehen und glotzen wie ein Goldfisch, und die Wachen würden kommen und sie wegführen.
»Nein«, fauchte Milla, ehe ihr einfiel, »Euer Gnaden« hinzuzufügen. Aus den Gerüchten, die in der Stadt die Runde machten, wusste sie, dass Vigo gern ein Auge auf hübsche Mädchen warf und dass diese im Allgemeinen nichts dagegen hatten.
Sie sah zu ihm auf und versuchte, seine Worte und seine Miene zu deuten. Aus seinen grünen Augen sprach echtes Interesse und noch etwas anderes, eher Verächtliches. Hielt er Tarya für unter seiner Würde? Dann fiel ihr etwas auf. »Warum tragt Ihr die Drachenmedaille nicht, wie die anderen?«
»Hast du gehört, dass ich meinem Vater die Treue geschworen habe?«
»Nein, Euer Gnaden.« Milla entdeckte Herzog Olwar in der Menge. Isak hatte aufgehört zu tanzen und unterhielt sich angeregt mit ihm.
Vigo senkte die Stimme und sagte auf Sartoli: »Ich mag das Pech gehabt haben, als sein Sohn auf die Welt gekommen zu sein, aber das heißt nicht, dass ich damit zufrieden bin. Auch wenn er hin und wieder durchaus eine gute Idee hat«, murmelte er, ohne Tarya aus den Augen zu lassen. »Bitte entschuldige mich«, sagte er dann und schlüpfte durch die Menge zur Tanzfläche.
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