Wie zuvor Troy Davis.
Katalog des Tötens – Macht, Ehre und Tod
Beginnen wir vorne – ganz vorne. Mit einer ersten Reform. Es war der römische Kaiser Konstantin – genannt der Große –, der um das Jahr 320 nach Christus die Kreuzigung als Hinrichtungsritual abschaffte. Gerade hatte er sich dem bis dahin unterdrückten christlichen Glauben zugewandt, nun wollte er in frommer Ehrfurcht die durch den Kreuzestod des Religionsstifters geheiligte Hinrichtungsart nicht länger durch gemeine Verbrecher entweihen lassen. Es gibt kaum authentische Darstellungen von Kreuzigungen, keine detaillierten Beschreibungen, stattdessen viel Widersprüchliches. Bekannt ist, dass die Kreuzigung im gesamten Mittelmeerraum eine geläufige und häufig vollzogene Hinrichtungsart war, vorgesehen für nichtrömische Rebellen, Sklaven, Straßenräuber und ehrlose Gladiatoren. Erst später wurden auch römische Bürger ans Kreuz gehängt. Der schändliche Charakter der Strafe rührte von ihrer Besonderheit her: Der Hingerichtete durfte nach dem Tod nicht vom Kreuz genommen werden. Ein Begräbnis wurde ihm verweigert. Sein Leichnam blieb am Kreuz so lange hängen, bis er sich von selbst auflöste oder Vögel ihn schändeten. Ein Gekreuzigter wurde ständig bewacht, damit ihn seine Freunde oder Verwandten nicht vorzeitig vom Kreuz nehmen und beerdigen konnten.
Die römische Richtstätte, nahe dem heutigen Sankt-Laurentius-Tor, war von Knochen und Skeletten übersät, ein entsetzlicher Gestank hing über dem Platz. Ein Ort des Schreckens: bestimmt für niedrigste Verbrecher, gemieden von jedem ehrbaren römischen Bürger.
Während sich bei den sonstigen Todesstrafen trotz ritueller Abweichungen eine feste Vollzugsform herausbildete, blieb die Kreuzigung der Willkür der jeweiligen Henker überlassen. Es existierten kaum exakte Vorschriften, was bei einer Kreuzigung zu geschehen habe, wie der Delinquent zu behandeln sei, das Kreuz beschaffen sein müsse. Die Ursache mag darin zu finden sein, dass die Kreuzigung eine Sklavenstrafe war und die Gerichtsbarkeit damit bei seinem Besitzer lag. Dieser konnte mit ihm verfahren, wie er wollte: Er konnte ihn auspeitschen oder auch kreuzigen lassen. Niemandem hatte er darüber Rechenschaft abzulegen. Erst unter dem Cäsaren Claudius scheinen die Sklaven einen gewissen Schutz vor allzu großer Willkür genossen zu haben. Er ließ die Tötung eines Sklaven bestrafen, falls der Besitzer nicht einen ausreichenden Grund vorzuweisen hatte.
Die eigentliche Kreuzigung wurde vom Henker der Stadt Rom, dem carnifex , und seinen Knechten vorgenommen. Ob sie den Delinquenten mit Weidenruten an ein Kreuz banden oder ihn annagelten, in jedem Fall geriet der Verurteilte in eine Haltung extremer Wehrlosigkeit, in der er nicht nur Wind und Wetter, sondern selbst kleinsten Tieren hilflos ausgeliefert war. Auch die obligatorische Entkleidung nahm ihm jeglichen Schutz. Reduziert auf das nackte, hilflose Wesen, wurde er der Gottheit als Opfer dargeboten.
Die Kreuzigung war schon vor der römischen Zeit ein Menschenopfer – wahrscheinlich an die Gottheiten der Elemente, an den mächtigen Sonnengott oder an den Windgott. Der Missetäter, der durch seine Untat den Zorn der Götter geweckt und auf die ganze Gemeinschaft gelenkt hatte, musste aus dieser entfernt werden. Schon bei den Assyrern und Babyloniern war die Kreuzesstrafe bekannt, ebenso bei den Persern, Griechen und Karthagern. Auch wenn es unterschiedliche Vorläufer der Kreuzigung gab – etwa das Fesseln an einen Felsen oder Pfahl oder das Hängen an einem Baum –, das Strafziel, die Auslieferung des Delinquenten an die göttliche Macht der Elemente, war allen gemeinsam. Und noch eines setzte sich allerorten durch: Das strenge Tabu, das auf jeder Hinrichtung lag, verbot es, das Land durch verstreut stehende Pfähle und Hinrichtungsbäume zu verunreinigen. Schon früh bildete sich deshalb die Gepflogenheit heraus, einen bestimmten Ort für die Hinrichtungen zu wählen; einen öden Ort, an dem Wind und Wetter ungehindert toben konnten. Übrigens bezeichneten die Griechen das Kreuz immer als stauros , was nichts anderes als Pfahl bedeutet, und auch bei den Römern hieß es arbor infelix , der „Unglücksbaum“, was beides deutlich auf seine Herkunft verweist.
Im Orient wurde der Pfahl dazu verwendet, den Delinquenten aufzuspießen. „Auf das Kreuz setzen“ nannten antike Autoren diese bestialische Hinrichtungsart, bei der dem Verurteilten der zugespitzte Pfahl durch den Anus in den Leib getrieben wurde. Danach richtete man den Pfahl auf und steckte ihn in die Erde. Die unglaubliche Quälerei fand erst ein Ende, wenn der Unglückliche von den natürlichen Elementen erlöst wurde. Warum aber ein Kreuz – woher kommt es? Im alten Ägypten galt es als Symbol des ewigen Lebens, in Herculaneum, dem von der Lava des Vesuvs im Jahre 79 nach Christus verschütteten Ort, wurde es schon früh als Wandzeichen entdeckt. Ein heidnisches Symbol? Erst das Christentum aber erfüllte es mit religiösem Gehalt: ein einfaches, sinnfälliges Zeichen, das Aufbruch und Nähe zu Gott symbolisiert. So ist eines der fürchterlichsten Hinrichtungsinstrumente zum Symbol von Liebe und Vergebung geworden.
Kreuz und Galgen stammen gewissermaßen von den gleichen Wurzeln. Schon im Altertum war das Hängen als Todesstrafe weit verbreitet, denn Bäume gab es überall. Hängen galt als ehrlos und schändlich, weshalb es im Mittelalter zur meistgebrauchten Todesstrafe für Diebe wurde. Wie häufig diese Strafe ausgesprochen und vollstreckt wurde, mag ein Beispiel erhellen: Als im Jahre 1471 in Augsburg die Gruben unter dem Galgen geöffnet wurden, fand man 250 Schädel von Gehenkten, während gleichzeitig noch 32 Diebe am Galgen hingen.
Zum Hängen gebrauchte man ein Hanfseil, mitunter eine Kette. An den Galgen wurden zwei Leitern angelegt, der Henker befestigte die Schlinge am Galgenhaken, dann stiegen er und der Verurteilte die Leitern hinauf. Oben angekommen, legte der Henker dem Verurteilten die Schlinge um den Hals, stieg herab und stieß die Leiter, auf welcher der Todeskandidat stand, um, so dass dieser frei in der Luft hing. Die Schlinge zog sich durch die Körperschwere zusammen, verschloss die Luftröhre und Blutgefäße, wodurch der Tod eintrat. Noch qualvoller war das Hochziehen am Galgen. Dem am Boden stehenden Verurteilten wurde die Schlinge eines längeren Seils um den Hals gelegt, das Seil über den Galgen geworfen oder durch den Galgenhaken geführt. Dann wurde der Delinquent von den Henkersknechten oder einem Pferd in die Höhe gezogen. Der Tod trat bei dieser Methode langsamer ein als beim Herabstoßen von der Leiter.
Während Enthauptete ein Begräbnis erhielten, mussten Gehängte häufig so lange am Galgen verbleiben, bis sie von allein hinunterfielen, also der Zersetzungsprozess so weit fortgeschritten war, dass der Körper zerfiel. Die heimliche Abnahme des Leichnams vom Galgen, z. B. durch Verwandte, war verboten und galt als Eingriff in das Strafritual, denn das Hängenlassen des Leichnams am Galgen war Bestandteil der Strafe. Das war auch der Grund, weshalb Hängen als ehrlos und schändlich galt. Es gab weitere Strafverschärfungen, etwa das Aufhängen an den Füßen und das Hängen gemeinsam mit Hunden. Bei Ersterem wurde der Delinquent an den Füßen mit dem Kopf nach unten aufgehängt. Der Tod trat erst nach vielen Stunden, manchmal sogar erst nach Tagen ein. Das Hängen mit Hunden war eine schimpfliche Beigabe und sollte den schlechten Charakter des Verbrechers symbolisieren.
Der Galgen des Altertums war der Ast eines Baumes. Dafür benutzte man nach Möglichkeit abgestorbene, laubfreie Bäume. Nach den religiösen Vorstellungen der damaligen Zeit ging vom leblosen Baum lebenshemmende Kraft, also Kraft zum Töten, aus. Der zum Hängen auserwählte Baum galt als Opferbaum, denn der nordische Gott Odin , Windgott und Herr über Leben und Tod, starb an einem Baum. Auch das Kreuz, an dem Christus starb, war ein künstlich geschaffener Baum. Nach damaligem Glauben nahm der Baum oder Galgen alle geheimen Kräfte des Gehenkten in sich auf, die heiligen des Geopferten (Christus) wie die bösen des Verbrechers. Daraus ist auch die Furcht vor der Berührung des Galgens zu erklären, bestand doch die Gefahr, von den in ihm schlummernden bösen Kräften ergriffen zu werden.
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