Um staatliches Töten – geschichtlich wie aktuell – geht es in diesem Buch. Es ist keine wissenschaftliche Studie, keine historisch stringente Abhandlung, keine politische Streitschrift. Gleichwohl will der Autor nicht verhehlen, dass er gegen die Todesstrafe ist: Sie ist barbarisch, anachronistisch – und wirkungslos. Unter den vielen Argumenten, die von Befürwortern der Todesstrafe vorgebracht werden, stehen Abschreckung und Schutz der Gesellschaft an oberster Stelle. Doch sind diese Gründe immer wieder angezweifelt worden. Das tatsächlich zentrale Motiv ist die Vergeltung, die Ansicht, „dass nur der Tod die Sühne für gewisse Verbrechen sein kann. Das Gefühl, dass mildere Strafen unzureichend sind. Die Überzeugung, dass, wer schwerste Verbrechen begeht, dafür die äußerste Strafe erleiden muss: den Tod“ , wie Richard J. Evans konstatiert. In der Volkskultur – oder in Volkes Meinung – ist diese Einstellung zu allen Zeiten die vorherrschende.
Dieses Buch beschreibt und dokumentiert verschiedene Aspekte der Todesstrafe. Vom römischen Carnifex bis zur Giftspritze in amerikanischen Todeszellen: Aberglaube, Gottesfurcht, Staatsmacht, Technikglaube, Humanitätsgedanke – die Geschichte der Todesstrafe ist immer auch eine Reformgeschichte. Einst eine öffentlich-sakrale Inszenierung – eine Versöhnung zwischen dem Sterbenden und seiner Seele und Gott –, ist es heute ein kollektives Vergeltungs- und Selbstreinigungsritual, das sich allenfalls über die Medien mitteilt.
Keine Frage: Die Technologie des 21. Jahrhunderts hat das Töten effizienter und hygienischer gemacht. Meist ein nüchterner Raum, darin ein schlichter OP-Tisch, so sieht die Hinrichtungskammer von heute in amerikanischen Hinrichtungsgefängnissen aus. Die Hände derjenigen, die den Schalter umlegen, damit das tödliche Gift in die Venen fließt, bleiben sauber. Die biblische Losung „Auge um Auge, Zahn und Zahn“ wird in die Tat umgesetzt, nicht wie in primitiven Stammeskulturen schmerzvoll, stinkend und laut, sondern durch eine Distanz-Technologie: anonym, steril, lautlos. „Das Problem scheint nicht mehr die Todesstrafe an sich zu sein, sondern sie möglichst ‚human‘ zu gestalten“, schreibt die US-Autorin Barbara Rose.
In den USA ist die Todesstrafe – so zynisch das klingen mag – Teil des politischen Arsenals, mit dem die Glaubenskriege ausgetragen werden. Das Recht des Staates, ein schweres Verbrechen mit der Hinrichtung des Täters zu sühnen – hier scheidet sich das liberale vom konservativen Amerika.
Mehr als 2500 Menschen warten in den Todeszellen der US-Bundesstaaten auf ihre Hinrichtung, in den nationalen Todestrakten zusätzlich 61 Verurteilte (2019). Präsident Obama hatte den Vollzug der Todesstrafe auf Bundesebene 2014 ausgesetzt. Bereits zuvor waren Hinrichtungen durch die Bundesregierung selten gewesen: seit der Wiedereinführung der nationalen Todesstrafe 1988 wurden drei zum Tode Verurteilte hingerichtet. Der bekannteste war der rechtsextreme Terrorist Timothy McVeigh, der 1995 bei einem Bombenanschlag in Oklahoma 168 Menschen tötete. Letztmals vollstreckt wurde die Todesstrafe auf Bundesebene 2003. Damals wurde ein Veteran der US-Armee wegen Mordes an einer Soldatin hingerichtet.
Obamas Moratorium ging zurück auf mehrere missglückte Hinrichtungen, bei denen die Verurteilten erst nach qualvollem Todeskampf starben. Der damalige Justizminister Holder forderte deshalb auch, die Strafvollzugsbehörden sollten Exekutionen nicht länger mit einer Mischung aus drei verschiedenen Giftstoffen durchführen, sondern mit einer Injektion des Präparat s Pentobarbital durchführen. Dies sei mit der US-Verfassung vereinbar.
Von den massiven Problemen bei Hinrichtungen mit Giftstoffen wird auf den folgenden Seiten noch die Rede sein. Über die Methoden und Präparate, die einen „humanen“ Tod der Verurteilten herbeiführen, wird weiterhin heftig diskutiert, mitunter mit bizarren Vorschlägen.
So hat der Generalstaatsanwalt von Oklahoma angekündigt, künftig Hinrichtungen mit Stickstoffgas durchführen zu wollen. Auch die US-Bundesstaaten Louisiana und Alabama denken über derartige Hinrichtungs-Methoden nach. „Die Exekution durch Gas ist eine barbarische Praxis, es gibt keinen Grund zu glauben, diese sei sicherer oder humaner als andere Verfahren“, kritisiert der Menschenrechtler und Anwalt Dale Baich. Im Juli 2019 brachte Justizminister Barr die Wiederaufnahme auf die politische Agenda. Die Absicht steht im Widerspruch zur Entwicklung in den Bundesstaaten.
Beispiel Colorado: als 22. US-Bundesstaat schafft es die Todesstrafe für Straftaten ab, die ab dem 1. Juli 2020 zur Todesstrafe geführt hätten. Gouverneur Jared Polis hatte am 23. März 2020 die Gesetzesänderung unterschrieben und die verhängten Todesstrafen dreier Gefangener in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Er begründete die Gesetzesänderung damit, dass die Todesstrafe in Colorado niemals gerecht verhängt wurde und verhängt würde.
Mittlerweile haben 50 Bundesstaaten die Todesstrafe abgeschafft, die Zahl der Hinrichtungen ist von 98 im Jahr 1999 auf 22 im Jahr 2019 gesunken. Eine erfreuliche Entwicklung. Doch trotz Rückgang: noch immer ist die Hälfte der Amerikaner für die Vollstreckung der Todesstrafe. Das wissen auch Politiker, die gewählt werden wollen. Und das weiß auch Donald Trump, einer der glühendsten Anhänger der Todesstrafe.
Von archaischen Todesstrafen bis hin zur Giftspritze – die Bilanz ist ambivalent und es stellt sich die Frage: Ist eine Enthauptung in Saudi-Arabien barbarisch, eine Exekution mit einer Giftspritze „modern“? In den USA gilt der Tod durch eine Giftspritze tatsächlich als „moderne“, weil „humane“, weil „saubere“ Hinrichtungsart, als wegweisender Fortschritt, als Akt der Humanität. Die Notwendigkeit der Todesstrafe wird von vielen US-Bürgern kaum angezweifelt, doch rechtsstaatlich-modern soll sie vollstreckt werden. Mit den grausamen Hinrichtungsritualen der Vergangenheit freilich sollen sie nichts mehr gemein haben – aber mit der Abschaffung der Todesstrafe tun sich einige Bundesstaaten in den USA noch immer schwer. Im zurückliegenden US-Wahlkampf trat nicht nur der Republikaner Donald Trump für die Beibehaltung der Todesstrafe ein.
Immerhin: Deren Gegner dürften es begrüßen, dass die USA erstmals seit 2006 nicht mehr zu den fünf Staaten mit den meisten Exekutionen zählen. Das ist allerdings nicht unbedingt Ausdruck eines Sinneswandels. In manchen Staaten wurden Hinrichtungen mit Klagen gestoppt, die sich auf die Vorschriften für Exekutionen bezogen. Und manche Bundesstaaten haben schlicht Probleme, Medikamente für Hinrichtungen zu beschaffen.
Tatsache ist: Ein Pharmaunternehmen nach dem anderen hat in den vergangenen Jahren die Lieferung von tödlichen Wirkstoffen gestoppt. Die Europäische Union hat den Export sogar verboten. Europa ist auf der Karte der Todesstrafen-Staaten ein nahezu vollständig weißer Fleck. Auch hier gab es eine jahrhundertelange Tradition staatlichen Tötens. Dies gehört der Vergangenheit an.
Um Versuche, die Todessstrafe jeweils „zeitgemäß“, „modern“ und „human“ zur Durchführung zu bringen, darum geht es auf den folgenden Seiten. Wenn dabei immer wieder das amerikanische Rechtssystem und seine Justiz Gegenstand der Betrachtung ist, dann auch deshalb, weil die USA die einzige westliche Demokratie sind, die bis heute in einigen ihrer Bundesstaaten an der Todesstrafe festhält. Präsident Trump hat sich wiederholt als glühender Verfechter der Todesstrafe geoutet, zuletzt als Befürworter für die Wieder einführung der Todesstrafe auf Bundesebene ausgesprochen. Auch Terroristen und Drogendealer gehörten hingerichtet, forderte er mehrmals.
Dass die Todesstrafe nun auf Bundesebene wieder vollzogen werden soll, steht im Weg der Gut-Böse-Denklogik der Trump-Präsidentschaft. Die Wiederaufnahme von Hinrichtungen auch für Verurteilte in den Bundesgefängnissen stellt die USA auf eine Ebene mit China, Iran und Regimen ähnlicher Qualität, auch für den Preis, dass ihre rechtstaatliche Glaubwürdigkeit schweren Schaden nimmt.
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