Das Jahr 731 ist das Datum des eindeutigsten Hinweises auf Alt Clud überhaupt. In seiner Kirchengeschichte des englischen Volkes erwähnt Beda, der nur vier Jahre später starb, den Firth of Clyde »ubi est civitas Brettonum muniüssima usque hodie quae vocatur Alcluith« , »wo sich eine Stadt der Briten befindet, die bis zum heutigen Tag stark befestigt ist und Alcluith heißt«. An anderer Stelle nennt er »urbem Alcluith, quod lingua eorum significavit Petram Cluit; est enim iuxta fluvium nominis illius« , »die Stadt Alcluith, was in ihrer Sprache Felsen des Clyde heißt; sie liegt nämlich am Fluss dieses Namens«. Er hält auch fest, dass sich das Westende des Antoninuswalls in der Nähe befindet. Beda lebte in Jarrow, nicht einmal 300 Kilometer entfernt. Seine Aussage, dass Alcluith »bis zum heutigen Tag« stark befestigt war, ist ein schlagender Beweis dafür, dass Dumbarton Rock bewohnt war und aktiv verteidigt wurde.54 Zwanzig Jahre später finden wir einen weiteren kurzen, aber eindeutigen Hinweis im walisischen Brut y Tywysogion , der »Fürstenchronik«:
DCCL. Deg mlyned a deugeint a seith cant oed oet Crist pan vu y vróydyr róg y Brytanyeit ar Picteit yg góeith Maesydaóc, ac lladaód y Brytanyeit Talargan brenhin y Picteit. Ac yna y bu uaró Teódór map Beli.
Siebenhundertfünfzig war das Jahr Christi, als die Schlacht zwischen den Briten und den Pikten stattfand, der Kampf bei Maesydog, und die Briten Talargan, den König der Pikten, töteten. Und dann starb Tewdwr, Sohn des Beli.55
Diese kryptische Nachricht stimmt mit anderen Informationsschnipseln walisischer wie irischer Herkunft überein. Teudebur map Beli, Sohn von Beli II., König von Alt Clud, kommt in den Harleian Genealogies als ein Zeitgenosse des Oengus macFerguson von Piktland vor, dessen Bruder Talorgen in Maesydaóc/Mygedawc – wohl das heutige Mugdock auf halbem Weg zwischen Dumbarton und Stirling – starb. Die irischen Annalen von Tigernach notieren den Tod von »Taudar mac Bili, ri Alo Cluaide« auf das Jahr 752.56 Mit dem Tod von König Teudebur/Taudar begann eine Zeit dynastischer Unruhen. Den umkämpften Thron sicherte sich zunächst der Sohn des verstorbenen Königs, Dynfwal (Dumnagual) map Teudebur, doch fast sofort fielen die verbündeten Krieger der Pikten und Angeln wie Aasgeier in sein Königreich ein. Am 1. August 756 übergab König Dynfwal Dumbarton Rock an Oengus, König der Pikten, und Eadberht, König von Northumbria; die Bedingungen dieser Unterwerfung kennen wir nicht. Nur zehn Tage später wurden Eadberht und sein Heer auf dem Rückmarsch »zwischen Ouania und Niwanbrig« plötzlich vernichtend geschlagen. Der einzige mögliche Übeltäter war Oengus, den ein Nachfolger Bedas als »tyrannischen Schlächter« bezeichnet, ohne ihn allerdings direkt dieses hinterhältigen Verbrechens anzuklagen. Der Fluss Ouania oder Avon, ein walisischer Name, war wohl der Avon in West Lothian, und Niwanbrig oder »Newbridge«, ein anglischer Name, lag irgendwo jenseits der Grenze zu Northumbria. Die piktisch-northumbrische Allianz war dahin, und das Königreich Alt Clud bekam noch einmal eine Atempause.
Eine ständige Bedrohung stellte allerdings das Bündnis zwischen Pikten und gälischen Skoten dar, dem zweifellos auch die letzte Christianisierungsphase des Piktlandes Vorschub leistete. Es ging dabei um drei parallel ablaufende Vorgänge. In der kulturellen Sphäre lieferten die gälisch sprechenden Skoten, die schon lange Christen waren, den gebildeten Klerus, der die Bekehrung vorantrieb. Es fiel ihnen vermutlich nicht schwer, ihren piktischen Konvertiten nicht nur ihre religiösen Überzeugungen, sondern auch ihre Sprache zu vermitteln. (Ihren Erfolg kann man vielleicht mit dem der angelsächsischen Geistlichen vergleichen, die später die heidnischen Dänen des Danelag christianisierten und zugleich anglisierten.) Zeitgleich wanderten in der geografischen Sphäre die Gälen ostwärts, mischten sich mit den Pikten und bildeten einen stabilen skotischen Siedlungsgürtel von Argyll bis Fife. Als die erste erhaltene Liste der Provinzen Piktlands geschrieben wurde, trugen zwei von ihnen gälisehe Namen. Atholl , was »Neuirland« bedeutet, liegt östlich der gebirgigen Wasserscheide; Gobharaidh oder »Gowrie« liegt nördlich des Tay rund um das heutige Perth. In der politischen Sphäre entstanden noch engere Beziehungen zwischen den Herrscherhäusern Dalriadas und Piktlands, bis sich die Unterschiede völlig verwischten. Da Edinburgh noch lange in northumbrischer Hand blieb, entstand die Hauptstadt des aufstrebenden Königreichs in Dunkeld. Der heilige Krönungsstein wurde in der nahe gelegenen Abtei Scone untergebracht.57 Aus Sicht der Nordbriten entstand hier durch die Verbindung zweier alter Feinde ein neuer und noch gefährlicherer Rivale.
Die Manöver, durch die sich die gälischen Dynasten von Dalriada mit ihren Pendants in Piktland zusammenschlossen, kann man heute nicht mehr genau nachvollziehen. Ein piktischer König, Oengus I. macFerguson, stammte angeblich aus Argyll. Ein anderer, Oengus II. (reg. 820–834), schuf ein Jahrhundert später für kurze Zeit ein gemeinsames Reich, das sich von einem Meer bis zum anderen erstreckte. Doch dann kam es wegen eines Thronfolgestreits zum Bürgerkrieg; und es verging ein Jahrzehnt, bevor der gälische Prätendent, Cinaed mac Alpin, besser bekannt als Kenneth macAlpin (810–858), sich den Thron als »König der Pikten« sicherte. Später schrieb man macAlpin im Allgemeinen die Schaffung des ersten vereinigten »Königreichs Schottland« zu, doch dieser Ruhm gebührt ihm vielleicht gar nicht. Unter seinem Sohn Konstantin I. (reg. 863–877, Gründer von Dunkeld) wurden Argyll und Piktland noch immer als getrennte Einheiten regiert, und womöglich wurde der Zusammenschluss dauerhaft erst unter Konstantin II. (reg. 900–943) vollzogen. »Alba«, der gälische Name des Königreiches, taucht in macAlpins Zeit noch nicht auf; der Name »Schottland« wurde nur von Außenstehenden verwendet.
Irgendwann im Laufe der piktisch-gälischen Verschmelzung wurde der Apostel Andreas zum Schutzpatron des Königreichs Alba. Der Legende zufolge bekam ein König Oengus die Reliquien des Heiligen geschenkt; das Kloster Cennrigmonoid (der Kern des heutigen St Andrews), das zum Zentrum der Verehrung des Heiligen wurde, stammt aus der Mitte des 8. Jahrhunderts. Die Flagge des Königreiches Alba zeigt das weiße Andreaskreuz auf blauem Grund.
Seine Stabilität erlangte der Zusammenschluss vor allem unter dem Druck der Wikingereinfälle. Seeräuber aus Skandinavien drangen gegen Ende des 8. Jahrhunderts unter lautem Getöse ein. Sie segelten von Norden her die Küsten entlang, zerstörten 793 Lindisfarne und 795 Iona, eroberten dann die Isle of Man und siedelten in Irland, Sutherland, Orkney und Shetland. Jener erste Angriff auf Lindisfarne fand einen ähnlichen Widerhall wie die Ankunft Idas des Flammenträgers 250 Jahre zuvor. Der Autor der Angelsächsischen Chronik berichtet angsterfüllt:
AD 793. In diesem Jahr kamen entsetzliche Vorwarnungen über das Land der Northumbrier, die die Menschen ganz jämmerlich erschreckten: das waren große Lichtwände, die durch die Luft sausten, und Wirbelwinde und wilde Drachen, die über das Firmament flogen. Diesen furchtbaren Vorzeichen folgten kurz darauf eine Hungersnot und am sechsten Tag vor den Iden des Januar … grauenvolle Überfälle heidnischer Männer, die in der Kirche Gottes auf der Heiligen Insel eine elende Verwüstung anrichteten, dann Plünderung und Gemetzel.
Die Wikinger wollten – wie schon die Skoten und die Angeln vor ihnen – bleiben.
Der Nordwesten Britanniens war besonders verwundbar. In den 830er-Jahren machten die eindringenden Wikinger das unter der Herrschaft Dalriadas stehende Argyll unsicher, verheerten die Küstensiedlungen und drangen plündernd tief ins Binnenland vor. Im Jahr 839 marschierte ein Trupp Wikinger in das piktische Kernland Fortriu ein und tötete die beiden Söhne Oengus’ II. Die Nordmänner ließen sich nicht dort nieder, schufen jedoch die nötigen Voraussetzungen für die Thronfolge Kenneth macAlpins, des damaligen Herrschers von Argyll.
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