Holy Loch ist ein Name, der es in den 1960er- und 1970er-Jahren oft in die Schlagzeilen schaffte. Es ist der kleinste Meeresarm am Firth, nur zwei oder drei Meilen lang, aber er bildet einen wunderbaren, geschützten Hafen. Über dreißig Jahre lang befand sich dort ein U-Boot-Stützpunkt der United States Navy – Schauplatz vieler Demonstrationen der Bewegung für nukleare Abrüstung. Die offiziell und euphemistisch als Refit Site One (Instandsetzungsposten Eins) bezeichnete Basis beherbergte die SUBRON-14-U-Boot-Flotte, die im Atlantischen Ozean patrouillieren sollte. Es gab ein Schwimmdock, ein großes Depotschiff, eine Flotille von Schleppern und Lastkähnen und bis zu zehn U-Boote mit Atomraketen der Polaris/Poseidon-Klasse. Wenn diese Unterwasserkolosse aus ihrem Dock glitten und in den Firth hinausfuhren, war der Felsen etwa 50 Kilometer flussaufwärts durch das Periskop des Kapitäns gut zu erkennen. Heute gehört der Hafen wieder der Royal Navy, aber das muss nicht so bleiben. Die Regionalregierung Schottlands wird von der Scottish Nationalist Party beherrscht. Falls sie je das von ihr vorgeschlagene Referendum zur völligen Unabhängigkeit des Landes gewinnt, fordert sie sicher sofort die Schließung des Stützpunktes.6
Dumbarton kämpft heute ums Überleben im postindustriellen Zeitalter. Die Blütezeit des Schiffbaus dort endete in den 1960er-Jahren, und man hat bisher keinen angemessenen Ersatz gefunden. Der Kai ist betoniert worden, um einen Parkplatz zu schaffen, und Supermärkte füllen den Raum, den einst die riesigen Lagerhäuser nutzten. In manchen Reiseführern zu Schottland wird die Kleinstadt nicht einmal erwähnt. Noch früher traf der industrielle Niedergang das Vale of Leven. Viele Fabriken wurden schon vor 1939 geschlossen. Die dort herrschende Dauerarbeitslosigkeit radikalisierte die Bevölkerung, und die Region bekam den Beiname »Little Moskow«, passend zum »Red Clydeside« ganz in der Nähe. In den 1950er-Jahren wurde der abgewirtschaftete Distrikt immer wieder für gewaltige Projekte des sozialen Wohnungsbaus für den Großraum Glasgow genutzt. Vierzig oder fünfzig Jahre später waren die riesigen, verfallenen Wohnanlagen wie etwa Mill of Haldane in Fast Balloch Schauplätze ähnlich groß angelegter Kampagnen zur Stadterneuerung.
Eine positive Entwicklung begann, als eine führende schottische Whiskybrennerei nach Dumbarton umzog und den entlassenen Hafenarbeitern Arbeit gab. »George Ballantine’s Einest« ist einer der beliebtesten und bekanntesten Marken von verschnittenem Whisky weltweit. Jede Flasche trägt stolz die Bezeichnungen »Scotch Whisky, Fully Matured, Finest Quality«, »George Ballantyne & Sons, Founded in 1827 in Scotland« und »By Appointment to the Late Queen Victoria und the Late King Edward VII«. Unten auf dem Etikett steht: »Bottled in Scotland«, »Product of Scotland« und »Allied Distillers Limited, Dumbarton G82 2SS«.7 Es kann gar kein Zweifel aufkommen: Dies ist schottischer Scotch aus Schottland.
Anfang des 21. Jahrhunderts liegt Dumbarton tatsächlich in Schottland, und Schottland ist Teil des Vereinigten Königreichs. Aber das war nicht immer so, und es wird vielleicht auch in Zukunft nicht immer so sein. Man muss nur auf Dumbarton Rock stehen und die Jahrhunderte zählen. Vor hundert Jahren war Clydeside die Lebensader eines Ballungsraums, der den Industrieunternehmen des Empires diente. Vor zweihundert Jahren war es das Zentrum einer Region des Vereinigten Königreichs, oft als »Nordbritannien« bezeichnet, die allmählich das Schottische verlor und immer britischer wurde. Vor dreihundert Jahren stand es gerade auf der Schwelle zu einer noch nie dagewesenen Verfassungsunion mit England. Vor vierhundert Jahren wurde es von einem König regiert, der kürzlich nach London ausgewandert war, aber dennoch Schottlands Herrscher blieb. Vor fünfhundert Jahren, vor der Schlacht von Flodden Field, war es Teil eines Landes, das sich als gleichrangiger Nachbar Englands betrachtete. Vor tausend Jahren, unter König Macbeth und anderen, gehörte es zu einem Reich, in dem die meisten Menschen noch Gälisch sprachen. Und vor eintausendfünfhundert Jahren gehörte es zum »Alten Norden«.
Dumbarton ist ein englischer Name, die anglisierte Form eines gälischen Vorläufers, Dun Breteann , mit der Bedeutung »Festung der Briten«. Dies wiederum liefert einen Hinweis auf die Menschen, die am Clyde lebten, lange bevor die Englisch und Gälisch sprechenden Siedler hier ankamen. Es ist schon ziemlich seltsam, dass bei der Gründung der Bezirksverwaltung im Jahr 1889 die ältere Schreibung des Namens wiederbelebt wurde, um »Dunbartonshire« einen authentischen Anstrich zu geben. (Der Bezirk wurde 1975 wieder abgeschafft und ist seitdem in der größeren Region Strathclyde aufgegangen.) Dennoch ist die Form des Namens, die am häufigsten mit dem Felsen in Verbindung gebracht wird, um die Welt gegangen, getragen von den Erinnerungen schottischer Emigranten. Es gibt ein Dumbarton in Westaustralien, ein zweites in Queensland, ein drittes in Neuseeland und ein viertes in New Brunswick, Kanada. In den Vereinigten Staaten gibt es Dumbartons zu Dutzenden: in Maryland, in Virginia, in South Carolina, in Louisiana, in Wisconsin … Man findet Dumbarton Oaks in Washington, DC; Dumbarton Village in Houston, Texas; eine Dumbarton Bridge über die Bucht von San Francisco; eine Dumbarton Church in Georgetown, DC; eine Dumbarton School in Baltimore und ein Dumbarton College in Illinois. Im amerikanischen Bürgerkrieg brachte die US Navy einst ein Schiff der Konföderierten namens Dumbarton auf, und die Royal Navy hat ein Fischereischutzboot namens HMS Dumbarton Castle. Außerdem findet man noch ein Dunbarton in New Hampshire.8 Ob die Einwohner dieser vielen Dumbartons wissen, fragt man sich, wie alles angefangen hat? Zumindest für sie ist es vielleicht wichtig, dass Dumbarton nicht immer eine relativ unwichtige Trabantenstadt einer modernen Metropole war. Genährt durch das fruchtbare Ackerland des benachbarten Levanach – des Vale of Leven, ursprüngliche Heimat des Clan Lennox – bildete es den Mittelpunkt eines mächtigen Reiches, die Hauptstadt eines ausgedehnten Staates. Es war ein richtiger Königssitz.
Heute spricht kaum noch ein Historiker vom »finsteren Mittelalter«. Sie wissen, dass der Dichter Petrarca in der Frühen Renaissance, genauer in den 1330er-Jahren, diesen Ausdruck prägte, und empfinden den zugrunde liegenden Gegensatz zwischen dem »Licht« der antiken Welt und der angeblichen »geistigen Finsternis« der späteren Zeit als ahistorisch.9 In der britischen Geschichte wird das Konzept der »Dunklen Jahrhunderte« nur für die zwei oder drei Jahrhunderte verwendet, die mit dem Rückzug der römischen Legionen begannen und für ihre Quellenarmut berüchtigt sind. Genau in diesem Zeitraum herrschen die Herren von Alt Clud, dem Königreich von Dumbarton Rock.
Unklarheit ist damit also das Kennzeichen der Zeit. Zusammenhängende Darstellungen sind nur unter großen Schwierigkeiten möglich, und historische Untersuchungen bieten eine Spielwiese für alle, die gern spekliheren. Fakten bilden winzige Inselchen sicheren Wissens in einem riesigen Meer aus Leerstellen und Chaos. Die wenigen Quellen sind oft in ausgefallenen Sprachen geschrieben, mit denen nur sehr wenige Spezialisten etwas anzufangen wissen. Alle Urteile würden profitieren, wenn man sie in unbestrittene (sehr wenige), abgeleitete, durch Analogien gebildete oder vorläufige (die meisten) einteilen würde.
Außerdem gibt es da noch das tief sitzende Problem der Parteinahme. Die frühe Geschichte der Britischen Inseln Dwar durch einen Überlebenskampf zwischen den alten Briten, den irischen Gälen, den Skoten, den Pikten und einer bunten Mischung einwandernder germanischer »Angelsachsen« geprägt. In der Moderne haben einige dieser Gruppen begeisterte Anhänger gefunden. Die Engländer, die heute die beherrschende Mehrheit stellen, haben – wenigstens in der populären Geschichtsschreibung – den Triumph ihrer Vorfahren oft als gegeben vorausgesetzt. Sie bewundern die imperialistischen Römer und identifizieren sich mit den Angelsachsen, aber sie verachten die Kelten. Sie schätzen Beda, der ein germanischer Northumbrier war und den sie Venerabilis (»verehrungswürdig«) nennen, und lassen seine Historikerkollegen außer Acht. Sie mögen die keltischen Quellen nicht, die sie nicht lesen können, und lassen sie regelmäßig als fantastisch oder unzuverlässig unter den Tisch fallen. Die Schotten, deren Vorfahren letztlich in Schottland triumphierten, können ebenso egozentrisch sein. Heute gibt es nur noch wenige Menschen, die für die Sache des »Alten Nordens« eintreten.
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