Die prominente Funktion des Stichworts als Themengeber, um das herum alle weiteren Informationen organisiert sind, zeigt sich auch darin, dass Artikel in Nachschlagewerken durch eine konstante thematische Progression geprägt sind, wobei das Lemma häufig in abgekürzter Form wiederholt wird. Der knapper gehaltene Lexikonartikel ist durch Verfahren der sprachlichen Kürze geprägt, die jedoch, wenn auch seltener, ebenso in Enzyklopädieartikeln auftreten können. Auffällig sind die Auslassung des Kopulaverbs in der Definition, nominale Sätze, Abkürzungen, ParenthesenParenthese, der Verzicht auf Kohäsionsmittel und insbesondere in deutschen Artikeln stark expandierte Nominalphrasen. In EnzyklopädieartikelnEnzyklopädieartikel werden diese Verfahren weniger häufig verwendet und durch Stilmittel, wie die stilistische Inversion, oder auch Metaphern ergänzt. Die Unpersönlichkeit der Darstellung wird durch einen Verzicht auf Pronomina in der 1. und 2. Person erzielt, in deutschen Artikeln werden auch häufig Passivkonstruktionen eingesetzt. Insbesondere zu fachsprachlichen Stichwörtern lassen sich metasprachliche Elemente finden, ebenso wie in einigen Artikeln verallgemeinernde Formulierungen zu finden sind, die sich mit der wissenspopularisierenden Funktion von Enzyklopädieartikeln erklären lassen. Welche sprachlich-stilistischen Mittel auftreten, ist zum einen durch die in einer Sprache zur Verfügung stehenden Mittel bedingt, nicht zuletzt aber auch durch kulturelle Traditionen der Diskursgemeinschaften. So sind in den Zusammenfassungen französischer Enzyklopädieartikel bewertende Ausdrücke auffällig, die in Enzyklopädieartikeln anderer Sprachen nicht diskurstraditionell sind.
WikipediaartikelWikipediaartikel sind im Artikelnamensraum der Wikipedia zu finden, wobei dieses Projekt „mehr als eine online gestellte Enzyklopädie“ ist (Reutner 2013b: 232). Die Wikitechnologie, aber auch die mit ihr verbundenen sozialen Praktiken in Wikipedia bilden den größeren Rahmen, in dem WikipediaartikelWikipediaartikel angesiedelt sind. Wikipediaartikel selbst sind durch eine spezifische Konstellation der kommunikativen Parameterwerte geprägt, sie weisen einen typischen Aufbau auf und lassen Präferenzen für die Wahl sprachlich-stilistischer Gestaltungsmittel erkennen.
3.3.1 Wikitechnologie und Entstehung der Enzyklopädie
Die Entstehung der Wikitechnologie wird auf den 25. März 1995 datiert. Als erstes WikiWiki gilt CunninghamsCunningham, Ward Wikiwikiweb Wikiwikiweb, das von ihm auf der Unternehmenshomepage seines Arbeitgebers als Begleitseite zum Portland Pattern Repository , einer Dokumentation über Entwurfsmuster,1 angelegt worden ist. Die wikibasierte Begleitseite zum Programmierprojekt sollte den Austausch zwischen den Programmierern erleichtern und es ermöglichen, Programmierideen selbst beizusteuern, zu teilen und zu diskutieren. CunninghamCunningham, Ward gibt die folgende Definition für ein WikiWiki:
A wiki is a freely expandable collection of interlinked web “pages”, a hypertext system for storing and modifying information – a database, where each page is easily editable by any user with a forms-capable Web browser client (Leuf/Cunningham 2001: 14).
Ein WikiWiki ist für CunninghamCunningham, Ward „the simplest online database that could possibly work” (Leuf/Cunningham 2001: 15) und wird deswegen mit dem hawaiianischen Ausdruck wikiwiki ʻschnell, raschʼ betitelt, was auf die schnelle und unkomplizierte Abänderbarkeit der Texte verweist (cf. Ebersbach/Glaser/Heigl 2005: 11):
The main difference in comparison with most other collaboration tools is that a collaborative wiki is very informal and easy to use. Some sites may for special reasons require logins and passwords, but on the whole, the basic wiki interactivity consists of people “dropping by”, browsing and reading, and when so inclined freely adding comments or new content (Leuf/Cunningham 2001: 12).
Die Funktionsweise der Wikitechnologie basiert auf einer Client-Server Kommunikation. Bei einer Suchanfrage läuft in einem Wikisystem der folgende Prozess ab:
Abbildung 2:
Funktionsweise eines Wikisystems nach Ebersbach/Glaser/Heigl (2005: 15–18)
Wird eine Suchanfrage nach einer Wikiseite in den Browser des Clients eingegeben, so sendet dieser die Anfrage an den Server, einen Zentralrechner. Auf diesem ist die Wikisoftware in Form von Skripten installiert. Die Wikiskripte lesen nun die Daten aus der Datenbank aus, in denen die Inhalte in Form von Rohtext oder Wikicode enthalten sind. Die Wikiskripte übersetzen die Rohtextdaten in html und betten diese anhand der Formatvorlagen in eine Webseite ein. Die erstellte html-Seite wird an den Browser gesendet, der wiederum die html-Seite ausliest und für den Nutzer darstellt.
Wird keine Suchanfrage im WikiWiki gestellt, sondern der Edit-Button betätigt, so sendet das Wikiskript keine html-Übersetzung der Daten, sondern sie werden als Rohtext an den Browser zurückgesendet und können im html-Bearbeitungsfenster direkt bearbeitet werden. Nach der Bearbeitung wird die modifizierte Version an die Datenbank zurückgesendet und ersetzt automatisch die alte Version.
Neben der Bearbeitung von Wikiseiten im Browser sind die folgenden Funktionalitäten der Seiten in einem WikiWiki typisch: Lesemodus, VersionsgeschichteVersionsgeschichte, Versionenvergleich, DiskussionsseiteDiskussionsseite, Seiten mit Nutzerprofilen, Suchfunktion, Hilfsseiten mit Tipps und Regeln sowie die Spielwiese (en. sandbox ) für Seitenentwürfe. Zudem wird eine starke Verlinkung der Seiten untereinander angestrebt. Existiert die angeforderte Seite noch nicht, erscheint keine Fehlermeldung, sondern die Aufforderung, diese anzulegen – ein Verhalten, das Nutzer zur KollaborationKollaboration animieren soll.
Die Wikitechnologie war zunächst nur für die Entwicklung von Software gedacht, verbreitet sich jedoch schnell (cf. Ebersbach/Glaser/Heigl 2005: 11) und wird häufig als Content Management-System zur Erstellung und Pflege von Webpräsenzen eingesetzt (cf. Ebersbach/Glaser/Heigl 2005: 11). Das populärste WikiWiki ist zweifelsohne WikipediaWikipedia:
At Wikipedia, the wiki concept is utilized to integrate and display encyclopedic knowledge (Ebersbach et al. 2008: 14).
Die englische Version der WikipediaSprachversion (der Wikipedia)– englische entstand am 15. Januar 2001. Ihre Gründer sind der Internetunternehmer Jimmy WalesWales, Jimmy und der Philosoph Larry SangerSanger, Larry. Ursprünglich war Wikipedia als Entwurfsplattform für Artikel geplant, die für das Vorgängerprojekt NupediaNupedia verwendet werden sollten. Chefredakteur der Nupedia war Larry SangerSanger, Larry, dem die Aufgabe der Artikelkontrolle zukam. Nupedia war eine expertenbasierte OnlineenzyklopädieEnzyklopädie– Online-~, die jedoch aufgrund des aufwändigen Redaktionsprozesses im ersten Jahr lediglich zwölf Artikel enthielt. Um die Redaktion der Artikel zu beschleunigen, beschlossen WalesWales, Jimmy und SangerSanger, Larry, ein Wikisystem einzusetzen, in dem Artikelentwürfe entstehen sollten, die dann in Nupedia integriert werden. Die Idee, ein Wikisystem zur kollaborativenkollaborativ Erstellung von EnzyklopädieartikelnEnzyklopädieartikel zu verwenden, entstand bei einem Gespräch Larry Sangers mit dem Programmierer Ben KovitzKovitz, Ben am 2. Januar 2001. Dieser war ein regelmäßiger Nutzer von CunninghamsCunningham, Ward Wikiwikiweb Wikiwikiweb und erklärte SangerSanger, Larry die Vorteile des Wikisystems. Aufgrund der Vorbehalte der Nupediaautoren gegen eine kollaborativ erstellte Enzyklopädie wurde das WikiWiki separat von der NupediaNupedia betrieben und erhielt den Namen Wikipedia. Auf dieser Entwicklungsplattform stieg in sehr kurzer Zeit die Artikelzahl. Am 12. Februar 2001 wurde die Marke der tausend Artikel erreicht und überflügelte bei Weitem die Größe und Reichweite der Nupedia. Dennoch wurden beide Projekte bis 2003 parallel weitergeführt. Die Firma Bomis verließ jedoch sowohl Nupedia als auch Wikipedia im Jahre 2002. In diesem Jahr trennte sich auch Larry SangerSanger, Larry vom Enzyklopädieprojekt, weil er, anders als WalesWales, Jimmy, den Verzicht auf Experten kritisch sah und daraufhin eine eigene Enzyklopädie, Citizendium (Sanger 2007), mit einem Expertenprinzip gründete.
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