»Miss Isabel!« rief sie überrascht und schnappte regelrecht nach Luft. »Well, Sie sind wirklich die Letzte, die ich heute auf Rowanfield Manor erwartet hätte!«
»Wie geht es dir, Bessie?« erkundigte sich Isabel. »Ich bin mal wieder da, wie ein falscher Penny, der stets zu einem zurückkommt. Ist es nicht das, was du sagen wolltest?«
»Ja, Miss, wobei ich Sie natürlich nicht mit einem falschen Penny vergleichen möchte. Nein, wirklich nicht. Sie können mir glauben, noch gestern sagte ich zu Cook: ,Miss Isabel hat ein Herz aus Gold', sagte ich.«
»Danke, Bessie«, erwiderte Isabel. »Es muß wohl das einzig Wertvolle an mir sein!«
Bessie lachte, doch plötzlich brach ihr Lachen auf eine beinahe komisch wirkende Weise ab, und ihr Gesichtsausdruck verriet blankes Entsetzen, als sie sich zu Elisabeth umwandte.
»Beinahe hätte ich vergessen, weshalb ich hergekommen bin. Ihre Ladyschaft sollten schleunigst wieder nach unten gehen. Mylady ist schon ganz böse auf Sie, wie ich hörte. Weil Sie sich einfach zurückgezogen haben, bevor die Gäste gegangen sind. Sie werden Ärger kriegen, wenn Sie mich fragen, und das beste wär', Sie beeilten sich jetzt!«
Elisabeth sprang auf. Sie war aschfahl im Gesicht.
»Ist mein Vater auch wütend, Bessie?«
»Es war James, der mir Bescheid sagte. Von Ihrem Vater war nicht die Rede. Er sagte nur, Ihre Ladyschaft suche Sie und scheine ziemlich ärgerlich zu sein, weil Sie nirgendwo zu finden seien. Aber nun machen Sie schon, um Himmels willen!«
Elisabeth setzte den Hut auf, ohne in den Spiegel zu schauen.
»Wiedersehen, Isabel, wir sehen uns nachher«, rief sie. »Oh, ich hoffe, Papa ist nicht ebenfalls verärgert. Ich habe keine Lust, ihn gerade jetzt aufzuregen.«
Sie rannte aus dem Zimmer, und Bessie und Isabel sahen einander an.
»Hat sie es Ihnen gesagt, Miss Isabel?« fragte Bessie schließlich.
»Daß sie sich verliebt hat?« Isabel lächelte. »Du weißt es also schon, Bessie!«
»Natürlich weiß ich es«, erwiderte Bessie mit der Vertraulichkeit der langjährigen treuen Dienerin. »Ich habe doch jeden Nachmittag Wache gestanden und aufgepaßt, daß niemand kam, damit die beiden ungestört miteinander reden konnten. Mein Gott, ich hab' mich ja fast zu Tode gefürchtet, kann ich Ihnen sagen, Miss. Jedes Mal, wenn der Wind in den Zweigen raschelte oder ein Kaninchen durch den Wald hoppelte, hab' ich geglaubt, Seine Lordschaft steht hinter mir.«
»Das glaube ich dir gern«, sagte Isabel. »Aber sag mir nur, Bessie, wohin soll das Ganze führen. Seine Lordschaft wird einer Ehe zwischen den beiden niemals zustimmen.«
»Vielleicht doch, wenn er sieht, wie ernst es ihnen ist«, meinte Bessie zuversichtlich. »Schließlich ist nichts gegen den jungen Gentleman einzuwenden, außer, daß er kein Geld hat. Er stammt aus guter Familie, wie ich zufällig weiß. Cooks Schwester ist in Stellung bei einem Vetter von ihm, und sie sagt, daß die Familie in Yorkshire großes Ansehen genießt.«
Isabel schwieg, runzelte jedoch die Stirn. Sie dachte, daß in den Augen Lord Cardons eine Familie, die in Yorkshire großes Ansehen genoß, mit einem Bewerber wie Sir Rupert Wroth, dem reichen Eigentümer eines großen Gutes nicht konkurrieren konnte.
Eines jedenfalls mußte sie tun. Sie mußte Elisabeth vor dem Anschlag warnen, den man auf sie vor hatte. Sie konnte nur hoffen, daß es noch nicht zu spät war, daß Lady Clementine Lady Cardon nicht genau in dem Augenblick, da Elisabeth nach unten kam, von Sir Ruperts Absichten unterrichtete.
Doch dann glaubte sie, daß ihre Furcht unbegründet sei. Eine solch wichtige Sache würde Sir Rupert mit Lord Cardon nicht zwischen Tür und Angel besprechen. Zweifellos würde er ihn deswegen eigens aufsuchen und damit wenigstens bis zum nächsten Tag warten. In dem Fall war noch genügend Zeit, Elisabeth zu informieren und sie auf das vorzubereiten, was sie sagen mußte.
»Sie sehen besorgt aus. Miss!« sagte Bessie, und damit unterbrach sie Isabels Überlegungen. »Was beunruhigt sie? Ist es, weil Sie wieder nach Hause gekommen sind?«
»Ist das nicht Grund genug, beunruhigt zu sein?« fragte Isabel.
Bessie nickte.
»Ich wußte, daß es wieder so kommen würde, Miss. Ich wollte Sie nicht aufregen, als sie fortgingen. Doch als ich hörte, wohin man Sie diesmal schickte, war ich entsetzt. Glauben Sie mir, ich habe nachts keinen Schlaf mehr gefunden, wenn ich an Sie dachte.«
»Bessie«, rief Isabel. »Sie wußten, was mich auf Droxburgh Castle erwartete! Warum haben Sie mich nicht gewarnt?«
»Was hätte es für einen Sinn gehabt, Miss?« fragte Bessie. »Seine Lordschaft hatte entschieden. Was hätten Sie schon dagegen tun können?«
»Du hast ja recht«, antwortete Isabel. »Aber was wußtest du über Lord Droxburgh?«
»Genug, um zu wissen, daß ich meine Tochter lieber tot im Grab sehen würde als lebend in einem solchen Haus. Wir haben einen Diener hier, der bei dem Marquis eine Zeitlang in Diensten stand. Er kennt das Schloß und auch das Stadthaus in London. Die Geschichten, die er uns von da erzählte, waren so entsetzlich, daß uns die Haare zu Berge standen. Damals haben wir darüber gelacht und geglaubt, er wolle uns einen Bären aufbinden. Aber nachdem ich wußte, daß Sie auf dem Schloß des Marquis eine Anstellung als Gouvernante annehmen sollten, glaubte ich jedes Wort und wäre fast vergangen vor Angst um Sie. O Miss, ist Ihnen auch niemand dort zu nahe getreten?«
»Nein Bessie, du kannst beruhigt sein«, antwortete Isabel schwach.
»Dem Himmel sei Dank, Miss!«
»Reden wir nicht mehr davon!« stieß Isabel hervor. »Ich will vergessen, Bessie, verstehst du? Ich hasse die Männer. Sie sind teuflisch, gemein, grausam und schlecht.«
»Einige von ihnen sind anders«, sagte Bessie ruhig.
»Ich glaube es nicht!« rief Isabel leidenschaftlich. »Ich hasse sie alle - alle ohne Ausnahme!«
»Was soll ich nur tun, Isabel?« fragte Elisabeth zum tausendsten Mal. »Was soll ich tun?«
Sie wußte, es gab keine Antwort auf ihre Frage. Trotzdem wiederholte Elisabeth sie unablässig, so als ob Isabel mit Hilfe eines Wunders doch noch die Lösung finden könnte. Die ganze Nacht hatten sie miteinander geredet. Zuerst hatte Elisabeth bitterlich geweint, später lag sie bleich und tränenlos auf dem Bett, starrte stumm zur Decke empor und wußte nichts anderes zu tun, als von Zeit zu Zeit immer wieder zu fragen: »Was soll ich nur tun? Was soll ich nur tun?«
Auch Isabel wußte keinen Rat.
Tatsächlich war Elisabeths Lage ausweglos. Weder Isabel noch ihre Kusine konnten irgend etwas tun, um sie zu ändern. Und doch wehrte sich in Isabel alles, das Unvermeidliche zu akzeptieren. Beim Anblick Elisabeths und ihrer Verzweiflung konnte sie sich nicht verzeihen, daß sie es unterlassen hatte, die Ärmste von dem, was ihr bevorstand, unverzüglich zu unterrichten. Das hätte wenigstens den Schock ein wenig gemildert, der Elisabeth nun mit unverminderter Härte getroffen hatte.
Nachdem es Isabel klar geworden war, daß sie nicht länger mit der Mitteilung über das Gehörte warten durfte, war es bereits zu spät gewesen.
Elisabeth war nach unten geeilt, weil sie die Mutter nicht noch mehr verärgern wollte. Ahnungslos hatte sie den Salon betreten, in dem Lady Cardon auf sie wartete.
»Oh, da bist du endlich, Elisabeth!« hatte die Herrin von Rowanfield Manor scharf gesagt. »Wie konntest du nur so ungezogen sein, dich von der Party zu entfernen, bevor der Letzte unserer Gäste gegangen war?«
»Es tut mir schrecklich leid, Mama«, erwiderte Elisabeth zerknirscht. »Ich hatte Angst, das Band von meinem Petticoat sei aufgegangen. Deshalb bin ich nach oben gegangen, um es in Ordnung zu bringen.«
»Du solltest besser achtgeben«, sagte Lady Cardon und ließ es zur Überraschung ihrer Tochter bei diesem ein wenig geistesabwesend gesprochenen Tadel bewenden.
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