„Das habe ich gemerkt.“ Ich griff nach hinten und das Erste, was ich in die Finger bekam, war ein loser, nasser Fetzen Hosenstoff. Als ich die Hand zurückzog, war sie voller Blut.
Der Winkler verlor einen Gutteil seiner infolge der Heuarbeit erworbenen Sonnenbräune und stotterte: „Sie bluten ja wie ein Schwein, Entschuldigung. Sie müssen sofort ins Krankenhaus, ich rufe die Rettung!“
Krankenhaus! Das hätte mir gerade noch gefehlt!
„Ich weiß was Besseres“, stöhnte ich, „ich fahr’ schnell zum alten Lamprechter in die Praxis, der ist noch ein Landarzt von altem Schrot und Korn, der näht so was in Nullkömmanix.“
„Dann bringe ich wenigstens was zum Verbinden! Sie schauen ja aus, furchtbar!“
Da ich hinten keine Augen hatte, versetzte mich die Schilderung vom Winkler doch in einige Sorge: „Danke, aber ich habe mehr Verbandszeug an Bord als eine ägyptische Mumie im Sarkophag.“
Ich hinkte zum Auto. Unterwegs spürte ich, dass das gesamte Hosenbein immer feuchter wurde. Die Blutung musste wirklich erheblich sein.
Ich stopfte mir einen Ballen Zellstoff in das Hosenloch, dabei ertasteten meine Finger ein großes Stück Sitzfleisch, das aus dem Zusammenhang gerissen schien. Damit der Autositz nicht auch noch etwas abbekam, breitete ich etliche Lagen Rektalhandschuhe darauf, ehe ich Platz nahm und den Motor startete. Man sagt mir in unserer Gegend gerne nach, dass ich mehr auf dem Gaspedal stehe, als auf dem Sitz zu sitzen, in diesem Fall hielt ich es für gerechtfertigt. Ebenso das Blaulicht einzuschalten, warum sollte es nicht einmal mir zugutekommen?
Unterwegs wählte ich die Nummer vom Lamprechter. Keine Ahnung, ob er gerade Ordination hatte, ich probierte es einfach. Zu meiner riesigen Erleichterung hob er ab.
„Nein, ich habe zur Zeit keine Sprechstunde“, erklärte er, „um was geht es?“
Als ich ihm mein Problem geschildert hatte, kam ein Lachen aus dem Lautsprecher: „Ich habe bisher immer geglaubt, der einzige Unterschied zwischen Human- und Veterinärmedizin ist der, dass Ihr fallweise Eure Patienten esst. Dass es auch umgekehrt sein kann, ist mir neu. Also, dann schauen wir uns die Sache halt an.“ Das war noch das Prinzip dieser hippokratischen Generation, allzeit bereit, wie die Pfadfinder.
Lamprechter zählte tatsächlich noch zu der aussterbenden Spezies universeller Landärzte. In der heutigen Gesellschaft kam sein rustikales Wesen nicht so gut an, deshalb waren viele seiner möglichen Patienten zu anderen Ärzten gewechselt.
Aber die, die geblieben waren, konnten auf eine verlässliche Diagnose und eine erfolgversprechende Behandlung, auch mit aus der Mode gekommenen Hausmitteln, vertrauen. Und da er kurz vor der Pension stand, waren ihm die Abtrünnigen schnurzegal, um es vornehm auszudrücken.
Er war hochgewachsen und trug die buschigsten Augenbrauen, die ich je gesehen hatte.
Als er meinen Hintern begutachtet hatte, zuckten sie mit einer Heiterkeit, die ich im Moment für nicht ganz angebracht hielt.
„Ganz schöne Schweinerei in Ihrer Stelze! Da ist eine Vene ordentlich erwischt worden. Los rauf auf die Ordinationsliege.“
Bevor er den ersten Stich setzte, fragte er über den Brillenrand hinweg: „Wollen Sie eine Narkose?“
„Ich habe Mensuren gefochten und neunundsechzig Nähte am Kopf, ohne Betäubung. Ich glaube, ich werde das am Gegenpol auch aushalten.“, erklärte ich trotzig.
„Wunderbar,“ grinste er, „ich liebe Helden!“
„So, eine Tetanusspritze noch und ein Antibiotikum und Tabletten gegen die Schmerzen“, sagte er, nachdem er die Arbeit beendet hatte.
Er besah sein Werk wie eine Brautmutter, die soeben mit der Näherei der Aussteuer für das Töchterlein fertig geworden war. „Jetzt haben Sie einen weiteren Schmiss, aber an einer Stelle, die zum Renommieren wenig taugt.“
Weil er kein Frisör war, hielt er mir keinen Spiegel vor, dass ich mich von hinten betrachten konnte, dafür kam er mit zwei Schnapsgläsern und einer Flasche Birnenbrand: „Gegen den Flüssigkeitsverlust“, meinte er schmunzelnd.
„Vielen Dank. Was bin ich schuldig?“
„Aber Herr Kollege. Doch nicht unter uns Medizinern!“ Das war auch so ein überkommenes Prinzip. Ärzte, auch Tierärzte, pflogen für gewöhnlich keine Honorare von Standesgenossen zu nehmen. „Wenn mich einmal einer meiner Patienten beißen sollte, komme ich bestimmt zu Ihnen!“
Nachdem mein Allerwertester gut versorgt schien, erledigte ich weitere Visiten. Nur beim Gehen piekste es noch ordentlich, weshalb ich das rechte Bein vorsichtig aufsetzte und mich jeder Bauer fragte: „Was haben Sie denn?“
Dem Ederbauer sagte ich noch die Wahrheit, worauf er grinsend erwiderte: „Na, der Bursche hat auch einmal wissen wollen, wie so ein Schinken allgemein schmeckt.“
Da ich diesbezüglich keine Witze mehr hören mochte, erzählte ich den restlichen Bauern, ich hätte Ischias. Das akzeptierten sie, denn Kreuzschmerzen kannte jeder.
Nur Karin hatte, nachdem sie sich nach dem ersten Schreck vergewissert hatte, dass keine edleren Teile in Mitleidenschaft gezogen worden waren, noch eine Bemerkung auf Lager: „Wildfremde Leute in den Hintern beißen! So einem Schwein graust doch vor gar nichts!“
Ich fand das äußerst verletzend und ließ es mir auch anmerken: „Aber wenn ich früher oft gesagt habe, Du hättest einen Po zum Anbeißen, hat es Dir schon gefallen, oder?“
Jetzt musste sie lächeln: „Ich hoffe doch sehr, dass Du damals andere Gefühle gehabt hast als Dein Eber heute.“
Später im Bett hielt ich es nicht lange aus. Auf dem Bauch konnte ich nicht schlafen und die Wunde begann wieder zu pochen. Das Schmerzmittel hatte seine Wirkung verloren. Ich warf mir noch eine Tablette ein und goss ein Glas Whisky voll, das ich im Stehen vor dem Fernseher, in welchem ein öder Nachtfilm lief, mit kleinen Schlucken austrank.
Himmelarschundzwirn! Mein Lieblingsfluch traf, bis auf den Himmel, momentan auf mich zu. Ich konnte nur darauf vertrauen, dass der Lamprechter ein zeitgemäßes Nahtmaterial gewählt hatte.
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