Ich übergab ihm mit spitzen Fingern eine Dose Zinkspray und eine Tube Propolis-Salbe.
„Zuerst einsprühen, damit die nässenden Stellen austrocknen, und nachher die Salbe auftragen.“
„Tausend Dank, Doktor“, sagte der Strampfl und eh ich mich versah, drückte er mir doch die Hand. „Aber kommen Sie erst in acht Jahren wieder!“
„Gern, dann wird es aber wieder teurer“, lautete meine trockene Antwort auf seine freundliche Einladung.
Ehe ich in das Auto stieg, rubbelte ich mir die Hände mit reichlich Desinfektionsmittel ab. Ich wusste, was ich tat. Weil, wenn jemand bezweifeln sollte, dass Kuhpocken nicht von Mensch zu Mensch übertragbar waren, ich den schlagenden Gegenbeweis hatte.
Der begann am Lahnerhof.
Zuvor hatte ich im Zuge einer spätabendlichen Visite in der Dämmerung abseits auf einem selten befahrenen Waldweg das Auto vom jungen Lahnerbauern registriert. Jeder im Ort wusste, dass der Lahner junior, trotz seines noch jungfräulichen Führerscheins, ein rasanter Fahrer war, der seinen tiefergelegten Golf in der kurzen Zeit schon mehrmals an ein Hindernis gelehnt hatte, das stabiler war als das Karosserieblech. Weil aber das Geld für die Reparaturen fehlte, ähnelte der Silbermetallic-Wagen mittlerweile einer zerknitterten Alu-Folie. Jetzt parkte der ramponierte Bolide an einer an sich sehr abgelegenen Stelle, aber den Tierarzt auf seinen Schleichwegen hatte das Pärchen nicht auf der Rechnung.
Gleichzeitig erkannte ich nämlich die Umrisse zweier Personen, die sich gemeinsam auf dem Fahrersitz befanden. Etwas unbequem, wie ich fand, aber für bestimmte Vorhaben unerlässlich und die tierärztliche Schweigepflicht galt für mich auch in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen. Ich konnte nur hoffen, dass der Lahner dort nicht wieder einen unvorhersehbaren Unfall baute, diesmal mehr biologischer Natur.
Als ich nun auf dem Kohlhauserhof eine zahnende Kalbin von ihrem störenden Backenzahn befreit hatte, musste mir die siebzehnjährige Tochter des Hauses, die Hanni, assistieren.
Der Kohlhauser hatte sich nämlich bei der Holzarbeit eine Quetschung an beiden Vorderpfoten zugezogen und trug für einige Wochen Gips.
Die Handleiden schienen zur Zeit dort Einzug gehalten zu haben, weil auch die Hanni, ein hübsches brünettes Mädel, Handschuhe anhatte.
„Nanu“, flachste ich, „schon die Ballhandschuhe für das Jägerkränzchen übergestreift?“
„Nein“, sagte sie und wurde verlegen, „ich habe so einen scheußlichen Ausschlag bekommen.“ Sie zog die Handschuhe aus und präsentierte mir das typische Erscheinungsbild von Kuhpocken.
Das allerdings verwunderte mich ein wenig, war doch der Kohlhauser einer der ersten im Tal gewesen, der sich einen automatischen und computergesteuerten Melkstand zugelegt hatte.
„Wir haben eine Kuh, die so grausliche Pletzen (regionaler Ausdruck für fleckenhafte Hautveränderungen) auf den Tutten (regionaler Ausdruck, aber ohne Bedarf der näheren Erklärung) hat. Weil ich meine Pratzen nicht gebrauchen kann, habe ich Hanni angewiesen, die Zitzen zwei Mal täglich mit einer Heilsalbe einzuschmieren. Dabei muss sie sich infiziert haben. Es schaut aber so aus, als wenn der Schmarrn einfach nicht weggeht.“
Eine weitere Dose Zinkspray wechselte den Besitzer.
Erst auf dem Lahnerhof wurden mir die Zusammenhänge klar. Ich sollte dort im Auftrag der Amtstierärztin eine Blutprobe von einer Kalbin, die vor wenigen Tagen verworfen hatte, ziehen. Weil das Mistvieh gerne ausschlug, wählte ich statt der Schwanzvenenmethode lieber die traditionelle Variante aus der Halsvene. Dazu musste das Tier gut im Schwitzkasten gehalten werden und diese Aufgabe übernahm der muskulöse Jungbauer. Auf seinen sehnigen Armen und Händen befanden sich die eindeutigen Anzeichen von Melkerknoten.
„Jö, schau, Sie haben ja die Kuhpocken!“, rief ich aus.
„Unsere Kühe haben keine Kuhpocken“, erwiderte der alte Lahner scharf, während der junge nur verlegen grinste.
Ich zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
Als ich nach Hause kam, gab ich Karin einen herzlichen Kuss, wie es vielleicht auch Sherlock Holmes bei Doktor Watson getan hätte, wenn ihm die Lösung des Rätsels gelungen wäre. Anschließend stürmte ich hinauf in mein Büro im zweiten Stock und vertiefte ich mich in mein altes Lehrbuch über Infektionskrankheiten bei Wiederkäuern. Dort stand im betreffenden Kapitel: Pseudopocken werden durch den Kontakt mit erkrankten Tieren übertragen, besonders betroffen sind Landwirte, Almhirten und Tierärzte.
Von Verliebten wusste der Verfasser offenbar nichts.
Auch Du, mein Sohn Brutus
Am frühen Morgen, ich hatte mir nach einer Nachtschicht bei einem Kolikpferd noch eine verlängerte Mütze Schlaf gegönnt, überraschte mich Karin, die schon aufgestanden war, um sich für die Schule fertig zu machen, mit der Nachricht: „Eine alte Freundin von Dir hat angerufen!“
„So?“, gähnte ich, „ich war der Meinung, nur junge Freundinnen zu haben.“
„Und ich habe gehofft, Du hättest gar keine!“
„Also, los, spuck’s schon aus. Wer war es?“ Es heißt zwar, Morgenstund hat Gold im Mund, aber Geplänkel zählt nicht zu den Edelmetallen.
„Die Gräfin Waldenfels!“
Das war tatsächlich eine Überraschung! Ich hatte schon eine Ewigkeit nichts mehr vom Waldenfelsgut gehört. Man wird sich vielleicht an mein erstes Buch erinnern, in dem die Geschichte mit Farah, der inkontinenten Rottweilerhündin, die noch dazu ein leicht giftiges Wesen besaß und die ich mit homöopathischen Tropfen von beiden Übeln befreien konnte. Und da das eine Medikament so eine günstige Wirkung auf ihr Verhalten ausgeübt hatte, hatte die Gräfin, die manchmal unter dem herrischen Charakter des nicht nur blau- sondern auch heißblütigen Göttergatten litt, jenem die Tropfen in den Kaffee geschmuggelt. Und siehe da, auch in diesem Fall bewirkte die vielgeschmähte Homöopathie eine deutliche Besserung der Situation.
Die Waldenfels stammten ursprünglich aus Ostpreußen. Nach der Flucht im Zweiten Weltkrieg erwarb der Graf hier den heruntergekommenen Gutshof, setzte ihn instand und begann, nach alter Familientradition, eine Trakehnerzucht erster Güte. Ich hatte mit den Pferden kaum etwas zu tun, dafür holte er einen Fachtierarzt aus dem Bayerischen Grenzgebiet. Als der eines Tages wegen einer Dopingaffäre auf der Rennbahn verhaftet wurde, hoffte ich, in die Bresche springen zu dürfen, aber Waldenfels setzte offenbar kein allzu großes Vertrauen in meine hippologischen Fähigkeiten, weil er kurz danach einen anderen Spezialisten fand.
Ich war daher einigermaßen gespannt, was die Gräfin von mir wollte. Um Farah und ihren Mann konnte es sich diesmal nicht handeln, die Hündin hatte schon längst das Zeitliche gesegnet und auch der Graf war vor etwas mehr als zwei Jahren gestorben. Die Pferde hatte man nach seinem Tod verkauft.
Als ich nun durch das imposante Tor mit den zwei Pferdeköpfen aus Untersberger Marmor einfuhr, herrschte am Hof nicht die übliche Betriebsamkeit, die ich von früher kannte. Auch das Dienstmädchen, welches mir auf mein Läuten öffnete, war ein anderes als bei meinem letzten Besuch.
„Die Frau Gräfin erwartet Sie!“ Sie führte mich nach links in den Salon.
Als ich die Gräfin auf dem Sofa sitzend sah, war ich innerlich erschüttert. Kein Zweifel, sie war alt geworden. Aber vermutlich dachte sie das auch von mir. Ihre feinen Gesichtszüge, die mich immer ein bisschen an Catherine Deneuve erinnert hatten, waren schärfer geworden und unzählige Fältchen hatten sich um Augen und Mund gegraben. Meinem tierärztlich geschulten Blick, beim Betreten eines Stalles auch auf Dinge ringsumher zu achten, entgingen auch nicht die leicht deformierten Finger. Offenbar litt sie an Gicht.
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