Die Herdplatte leuchtet, und Ria berichtet von einem Veganer, der am Morgen zu lange in ihrem Bad gewesen sei. Sie fragt nicht, ob ich etwas aus ihrem Leben wissen will, ich stehe schon mittendrin. Mit dem Zettel, den sie mir zugesteckt hat, war es das gleiche: Sie hat nicht gefragt, ob wir Freundinnen sein wollen, sie hat es einfach angeordnet. Auch unser erster Chat war so. Ich hatte gefragt, wie es ihr gehe.
Talked to my parents and I cried all day
Ich hakte nach, ob etwas passiert sei.
No. I just realized my lashes won’t always be that long .
Sie schien eine alte Frau im Spiegel gesehen zu haben.
And my ass will turn fat one day!
Sie rief an und wir analysierten ihren Po. Ich zählte seine Vorzüge auf, sie die Defizite. Dann berichtete sie von einer Studie, in der es hieß, kleine Mädchen, die auf dem Bauch schliefen, bekämen später kleine Brüste. Auch sie habe jahrelang auf dem Bauch geschlafen, jetzt sei es zu spät.
Sie schaltet den Herd aus und fischt einen Keks aus dem Schrank.
– I mean, he took a shit after the first night?
Vielleicht habe er sich bei ihr wohlgefühlt?
Ria reißt die Augen auf, als hätte ich die Luft im Badezimmer verpestet.
– I mean, a shit? After the first night?
Sie beißt in den Keks und schließt die Augen, lächelt.
– They are with cheese!
Sie hält mir den angebissenen Rest hin.
– And then he wanted to go for a walk with me!
– That’s nice?
– That’s stupid!
Ich esse den Keks, sie gießt Kaffee ein und Fritz springt aus dem Fenster. Wir sehen ihm beide nach.
– He’s cute, no?
KÄSE AUS DER
ZWEITEN REIHE
Antoine will wissen, ob wir uns wiedersehen. Unterstützung erhofft er sich von drei Emoticons mit roten Bäckchen.
Interesse entsteht wohl immer, wenn es irgendwo eine Möglichkeit gibt, vor allem, wenn jemand schon verzweifelt ist. Und bei manchen Leuten funktioniert das alles ja. Sie wollen sich verlieben, unbedingt, also warten sie auf Gefühle so wie andere auf den Bus. Oder sie bilden sie sich ein. So wie man manchmal ein Geräusch erwartet und angestrengt lauscht und irgendwann denkt, man habe es gehört. Dabei hat man nur gedacht, dass das Handy vibriert hat.
Bei mir funktioniert das nicht. Bei mir ist es eher so, wie ich es einmal auf einer Seite im Internet gelesen habe, wo die Leute ihre Spleens beschreiben. Einer nimmt aus dem Kühlregal zum Beispiel nur Käsepackungen aus der zweiten Reihe. Und eine andere hat immer das gleiche Problem, wenn sie jemanden kennenlernt, den sie gut findet. Sie stellt sich vor, sie wäre mit ihm zusammen, und verbringt den ganzen Tag in ihrem Kopf mit ihm. Sie machen dann alles gemeinsam: einkaufen, spazieren, kochen, Sex, kuscheln, schlafen. Spätestens nach zwei Wochen ist sie aber so genervt von seinem Gelaber, dass sie im echten Leben gar nicht mehr mit ihm zusammenkommen will.
Bei Antoine tut sich mein Kopf schon schwer, nur an ein zweites Date zu denken.
Das Restaurant am Hermannplatz ist so klein, dass man mit langen Haaren aufpassen muss. Wir tragen beide einen Dutt.
Der Japaner mit den roten Lippen nickt, als er Ria sieht. Nicht unbedingt erfreut, eher mit der Zufriedenheit eines Menschen, der den Lebenssinn in seiner Arbeit sieht. Und Ria ist Arbeit. Ohne zu bestellen, bekommt sie ein Tablett voll glänzender Stückchen und Schwänzchen. Der Fisch scheint sich besonders hübsch gemacht zu haben für ihren Mund. Ich zähle durch, während sie fotografiert. Es sind achtzehn Stück.
Sie habe sich das Fotografieren angewöhnt, ihre Familie habe zwar Internet, kenne aber kein Sushi, und sie verstehe sich als Brücke zwischen den Welten. Das sagt sie so nicht, aber sinngemäß.
– Know it’s stupid. But they don’t know Sushi. They just go online!
Sie kommt aus einem kleinen Dorf bei Krakau, aber mich interessiert viel mehr, wie sie das alles essen kann.
– It looks a lot, but it’s the only thing I have today!
Ohne Scham und ohne dass es nach einer Rechtfertigung klingt, beschreibt sie ihre Essgewohnheiten. Freitags und samstags die Deluxe-Sushi-Platte, montags bis donnerstags Walnüsse und das 9er-Sake, sonntags zwei Croissants mit französischem Weichkäse.
– The most important thing is Omega three and that you drink enough!
Ich nicke. Omega 3, das liest man immer wieder, ist wichtig. Und trinken. Wir bestellen einen zweiten Reisschnaps, obwohl mein Gesicht schon heiß ist. Rias Gesicht sieht aus, als wäre der Schnaps Wasser. Ihr Gesicht sieht immer aus, als wäre Schnaps Wasser.
Sie erzählt von ihrem Exfreund. Er habe sich nach einer verdrogten Nacht insalata auf den linken Unterarm tätowieren lassen. Sie hatten beschlossen, das sei der absolute Liebesbeweis.
– Isn’t that stupid?, ruft sie über den Tisch, dabei wollte ich gerade sagen, dass das ziemlich lässig klingt.
Nur, warum Salat?
Es sei darum gegangen, das erste Wort zu nehmen, das ihm am Morgen einfiel.
– Of course I thought he would choose my name !
Ich lache laut, Ria gar nicht.
Überhaupt finde ich oft witzig, was sie sagt, aber sie meint die meisten Dinge irgendwie ernst. Und so schaut sie auch. Wenn sie länger überlegt, kneift sie ihre dunklen Augen zusammen, öffnet den Mund leicht und schaut in die Ferne. Es hat etwas Hypnotisches und Seltsames. Als würde sie jemanden spielen, der nachdenkt, und gar nicht wirklich nachdenken. Als würde sie die Zeit verlängern wollen, in der ich ihr ins Gesicht schaue.
Happy End scheint Frauensache. Mit mir sind vier andere gekommen.
Miriam, die eines von diesen Batik-Gewändern trägt, die man nur in Läden kriegt, in denen es nach Räucherstäbchen riecht. Ihre Stimme ist sanft, ständig nickt sie verständnisvoll. Ich vermute, dass sie die Schlafzimmertür wieder schließen würde, um nicht zu stören, wenn sie ihren Mann mit einer anderen Frau erwischen würde.
Schwieriger ist Beate. Ich weiß, dass man nicht vom Aussehen eines Menschen auf sein Können schließen soll, aber diese Frau ist keine Schriftstellerin. So wie ich keine Handwerkerin bin. Sie hat kurze Arme, kurze Beine und drei vollgepackte Plastiktüten dabei. Vielleicht hat sie nasses Laub gesammelt? Alles an ihr signalisiert Stress, und ihr erster Satz ist: Ich schreibe an meiner Autobiographie, hab schon 450 Seiten und Knausgård gelesen, aber bei mir ist alles Kraut und Rüben!
Da lacht Vera auf. Kurzhaarschnitt, russischer Akzent. Sie hat etwas Unverschämtes, auf eine gute Art. Das Problem ist, dass sie alles mit Herr der Ringe vergleicht.
Und neben mir sitzt Patrizia, komplett in Weiß, als wäre das hier eine Tennisstunde oder ein Krankenhaus. Patrizia arbeitet als Lebensberaterin in Prenzlauer Berg und hat schon eine Geschichte mitgebracht, die sie zum Einstieg vortragen möchte. Es ist ein modern interpretiertes Märchen, in dem eine Frau namens Cinderella sich nach anfänglichen Hindernissen in einen geschiedenen Lebensberater verliebt.
Die Kursleiterin verhindert das. Sie trägt eine rotgerahmte Brille und heißt Agatha. Ich glaube, das ist ein Künstlername, obwohl sie keine Künstlerin ist. Deswegen bringt sie uns jetzt Erzählmodelle bei. Wenn wir unser Leben wie ein Lieblingsbuch aufschreiben wollen, brauchen wir nämlich einen Plot.
– Plot?, fragt Miriam.
Vera lacht wieder.
– Den Aufbau der Handlung, sag ich mal, antwortet Agatha.
– Verstehe, aha, verstanden, nickt Miriam.
– Plot ist doch total überschätzt, mault Beate. Schaut euch die Russen an, da passiert auf tausend Seiten gar nix.
– Bei Tolstoi passiert schon was, sagt Vera.
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