1 ...7 8 9 11 12 13 ...24 Tab. II.1.1: Die Top 5 Nennungen der Technologiewunschliste von Sixsmith et al. 2007, eigene Übersetzung
WunschthemaBeschreibung der UnterstützungsmöglichkeitErzielter Wert
Im Gegensatz zu diesen genannten Wünschen der eigentlichen Zielgruppe zeigen aktuelle Überblicksarbeiten, dass die größte Anzahl der eingesetzten Technologien immer noch darauf ausgerichtet ist, die Sicherheit von Menschen mit Demenz, die in der eigenen Häuslichkeit leben, zu erhöhen. Technische Lösungsansätze, die darauf ausgerichtet sind, Erinnerungen zu beflügeln oder schlicht Spaß und Freude zu bereiten, finden nur wenig Verbreitung (Lorenz et al. 2019). Auch Forschungsarbeiten zu Technologien, die vergnügliche Freizeitaktivitäten von Menschen mit Demenz unterstützen, liegen kaum vor (Evans et al. 2011; Smith & Mountain 2012). Obwohl diese die Chance bieten, die Lebensqualität der Betroffenen direkt zu verbessern, haben sie bis dato nur wenig Aufmerksamkeit erfahren. Das besondere Potenzial dieser technischen Lösungen wird somit bisher nur wenig genutzt (Smith & Mountain 2012).
1.2 Ausgangsüberlegungen: Wohlbefinden durch individuell bedeutsame Aktivitäten (meaningful activities)
Das Vorliegen einer Demenzdiagnose führt häufig dazu, dass sich die Betroffenen aus dem Leben zurückziehen. Dies hat wiederum zur Folge, dass Menschen mit Demenz egal, ob sie zu Hause oder in einer Einrichtung leben, oft unterstimuliert sind und nur in geringem Maß am Leben teilnehmen. Daher ist es im Hinblick auf das Wohlbefinden dieser Personengruppe sehr wichtig, dass Wege gefunden werden, wie sie aktiv und eingebunden bleiben können, mit dem Ziel, bestehende Fähigkeiten zu erhalten und soziale Beziehungen weiterzuführen. Im Verlauf der Erkrankung kann es dazu kommen, dass die betroffenen Personen die Fähigkeit verlieren selbst bzw. aus eigenem Antrieb, angenehme und unterhaltsame Aktivitäten auszuüben, was wiederum zu sozialer Isolation und Unsicherheit führen kann (Topo 2009). Als weitere Folge treten häufig depressive Verstimmungen auf. Das Fehlen von angenehmen Aktivitäten steht in einer engen Verbindung mit Depressionen (Teri 2003). Zusammenfassend liegen viele Belege dafür vor, dass Passivität, geringe Stimulation und fehlendes soziales Eingebundensein zu depressiven Verstimmungen führen und den Krankheitsfortschritt dadurch beschleunigen kann. Insbesondere Personen in frühen Krankheitsstadien verbringen sehr viel Zeit untätig zu Hause (Phinney & Moody 2011).
Aber auch in Pflegeeinrichtungen gehört das Erleben von Langeweile und Passivität zum Alltag der Bewohner (Müller-Hergl 2012; Wood et al. 2009). Für ein positives Lebensgefühl ist es jedoch wichtig, sich aktiv, kompetent und handlungsfähig zu erleben. Sinnvolle bzw. für die Person bedeutsame Aktivitäten, die die Aufmerksamkeit der Person binden, haben daher ein hohes Potenzial im Hinblick auf das Wohlbefinden und sind daher ein wichtiger Bestandteil einer guten Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz.
Das Leitthema im Hinblick auf sinnvolle Aktivitäten ist Verbundenheit (Han et al. 2016). Gemeint ist dabei sowohl eine Verbundenheit mit sich selbst. Diese macht sich fest an den Aktivitäten, die in Bezug zu einer Kontinuität des bisherigen Lebens stehen, Gesundheit und Wohlbefinden fördern und das Verfügen über persönliche Zeit ermöglichen. Darüber hinaus geht es aber auch um das Verbundensein mit anderen Menschen sowie das Eingebundensein in die Umgebung, in der man lebt. Dabei unbenommen ist, dass die Aktivitäten eine individuelle Bedeutsamkeit für die demenzbetroffene Person haben und ihren Bedürfnissen entsprechen.
Gelänge es entsprechende subjektiv bedeutsame Aktivitäten anzubieten, dann kann es gelingen, dass Menschen mit Demenz Vergnügen und Freude erleben, sie das Gefühl von Dazugehörigkeit und Eingebundensein erfahren sowie Autonomie und Selbst-Identität gestützt werden (Phinney et al. 2007).
Für Bewohner von Pflegeeinrichtungen scheinen dabei vier Felder an Aktivitäten besonders bedeutsam: Reminiszenz bzw. Erinnerungspflege, soziale Kontakte insbesondere mit der Familie und mit Freunden, musikalische Aktivitäten (Singen, Tanzen und Musik hören) sowie individuelle Tätigkeiten wie z. B. Hobbys, die im bisherigen Leben für die Person wichtig waren (Harmer & Orrell 2008). Im Wesentlichen geht es darum, dass die Aktivitäten die psychologischen und sozialen Bedürfnisse ansprechen.
Abb. II.1.1: Vier bedeutsame Themenfelder für Aktivitäten aus der Perspektive von Menschen mit Demenz (vgl. Hamer & Orrell 2008)
Die Qualität des Erlebens der Aktivität steht dabei stärker im Vordergrund als das spezifische Angebot. In stationären Einrichtungen scheint es aber einen Mangel an genau dieser Art von Aktivitäten im Alltag zu geben. Während bei Menschen mit Demenz also eher das momentane Erleben und positive Emotionen im Hier und Jetzt die Qualität einer Aktivität bestimmen, sehen Pflegende und auch Angehörige die Förderung und den Erhalt von Kompetenzen durch Aktivierungen als zentrale Zielsetzung und dabei insbesondere die Förderung von Mobilität.
Abb. II.1.2: Unterschiedliche Perspektiven von Menschen mit Demenz und deren Angehörigen/Pflegenden, eigene Darstellung
Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, inwieweit digitale Medien neue Möglichkeiten dafür eröffnen, Menschen mit Demenz, aber auch Pflegenden für sie bedeutsame Aktivitäten anzubieten und damit deren Wohlbefinden zu fördern. Dabei werden drei übergeordnete Richtungen vorgestellt, die bei der Entwicklung der digitalen Medien handlungsleitend sind:
• Digitaler Zeitvertreib: Spiele, die Aktivität fördern und Freude hervorrufen
• Training, das Spaß macht: Serious Gaming als Kombination von Spiel und Gesundheitsförderung
• Erinnerungspflege: neue Möglichkeiten und Zugangswege durch die Nutzung digitaler Medien
Die vorgestellten technischen Lösungen können nicht immer trennscharf einer der drei Richtungen zugeordnet werden, da sie oft Elemente aus verschiedenen Bereichen zusammenführen. Es ist aber eine Tendenz der primären Ausrichtung erkennbar. Neben der Vorstellung von technischen Beispielen wird zu jedem Bereich der aktuelle Forschungs- bzw. Wissensstand dargestellt.
1.3 Digitaler Zeitvertreib: Spiele, die Aktivität fördern und Freude hervorrufen
Eine Einsatzmöglichkeit digitaler Medien in der Begleitung von Menschen mit Demenz sind spielerische Elemente, die vornehmlich dem vergnüglichen Zeitvertreib dienen. Diese digitalen Lösungen sollen in erster Linie Spaß vermitteln und die Stimmung verbessern.
Gemäß des niederländischen Kulturhistorikers Huizinga (1949) ist das Spiel ein wesentliches Element menschlicher Aktivität, da der Mensch im Spiel und durch spielerisches Tun seine individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften entdeckt. Vom ihm wurde der Begriff des »Homo ludens« (der spielende Mensch) geprägt als die Antwort auf die Frage nach der essentiellen Qualität des menschlichen Seins. Er steht im Gegensatz zum Homo sapiens (der wissende Mensch) oder Homo faber (der Mensch als Handwerker). Das Spielerische ist seiner Meinung nach im Herzen jeder menschlichen Tätigkeit und ein wesentlicher kulturgebender Faktor. Daraus folgt, dass es »das Spiel ist und nicht die Weisheit, was dem Leben Sinn gibt« (Huizinga 1949, S. 1)
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