Und niemals, während er mitten auf dem Ozean umhertrieb.
Silas entfernte sich humpelnd von den Aschehäufchen auf dem Boden. Oh, das würde die Menschen verwirren, aber sie würden es wegputzen und niemand würde daraus schlau werden. Sein Anzug saugte Blut gut auf. Er hinterließ kaum eine Spur. Außerdem war der Teppich dunkelrot. Gut.
Er hielt inne und steckte sein Schwert in die Scheide der dunklen Leere des Äthers. Er hatte kaum noch elementare Kraft übrig und benötigte sie, um sich selbst zu verstecken. Die Blutung zu stoppen, wenn er es konnte.
Der Seelenlose hatte viel getrunken, als er Silas' Haut durchbrochen hatte. All die Kraft, die er von Rhys bekommen hatte, war verschwunden, genauso wie ein Großteil seiner eigenen Energie. Er hatte kaum genug, um einen Illusionszauber zu wirken. Sich zu heilen, würde warten müssen.
Bei Merkurs Eiern! Warten auf was? Bis er in den Garten zurückkehrte? Bis er Rhys fickte, ihn dazu benutzte, um Kraft zu erlangen, als wäre er eine Fae-Version der Seelenlosen? Silas fing sich ab, als er gegen die Wand des Flurs taumelte. Ein tiefes Verlangen nach dem Viertel-Fae ergriff seinen Körper.
Die Dinge, die er mit Rhys anstellen wollte – die Dinge, die er tun musste…
Nein.
Er würde nicht zu einem von ihnen werden. Niemals. Seine ungezügelte Lust, sein unkontrolliertes Verlangen nach Rhys hatte ihn beinahe umgebracht. Der Garten würde als Energiequelle reichen müssen. Vor einem Tag wäre er mehr als genug gewesen. Er würde es so weit schaffen, dann in eine Ecke kriechen und sich heilen.
Sieben Seelenlose blieben noch. Und schon jetzt war er blutverschmiert und vergiftet, nur weil er seinen Schwanz nicht in seiner Hose behalten konnte. Silas schlug gegen die Wand. Schmerz schoss seinen Arm empor und er bereute die Bewegung sofort.
Es war besser für Silas, sein Versprechen, zu Rhys zurückzukehren, zu brechen, als ihn in die Falle zu locken und ihn als eine verdammte Batterie oder einen Lustsklaven zu missbrauchen.
Silas war einst beides gewesen.
Er stieß sich von der Wand ab. Nein, er würde eher einen ehrenhaften Tod sterben, als zu dem zu werden, was er am meisten verabscheute.
Er atmete tief und zittrig ein, ehe er sich weiter Richtung Garten bewegte. Es würde reichen. Es musste reichen. Er durfte nur nicht in die Bar gehen. Musste sich von Rhys fernhalten.
***
Rhys durchblätterte einen Bildband über New York City, der viele schöne Fotografien von Orten beinhaltete, die auf dem glänzenden Papier realer wirkten als im echten Leben. Battery Park, mit unberührtem blauem Wasser im Hintergrund. Die Brooklyn Bridge in goldenem Licht, ohne Autos oder Menschen. Times Square ohne auch nur einen Schnipsel Müll in Sicht. Er war an den meisten Orten gewesen, er wusste, wie sie wirklich aussahen und welche Teile die Fotografen geschickt rausgeschnitten hatten.
War Silas wohl schon mal in New York gewesen? Wahrscheinlich, wenn er so alt war, wie Rhys vermutete. Zur Hölle, er könnte da gewesen sein, bevor sie die Wolkenkratzer gebaut hatten. Der Gedanke an Silas, gekleidet im Kolonialstil mit engen Hosen und einem langen Mantel sorgte dafür, dass sich Wärme in Rhys' Bauch ausbreitete.
Er griff nach seinem Drink, dank Vasil war es schon der dritte an diesem Abend. Seit zwei Stunden saß er hier und hatte schon fast alle Bücher in dem kleinen Bücherregal durchgeschaut. Bei den meisten handelte es sich um Bücher über New York, groß und voller Farbfotografien. Einige waren zerknickte Taschenbücher, die wahrscheinlich von früheren Reisenden zurückgelassen worden waren – King, Patterson, Roberts.
Jedes einzelne Buch, das er bisher durchgeblättert hatte, ließ ihn an Silas denken, gekleidet in verschiedenen Kostümen oder teilweise unbekleidet.
Er musste den Kopf endlich von dem Fae frei kriegen.
Fae.
Je länger er hier saß, desto dümmer kam er sich vor. Würde Silas überhaupt zurückkommen? Er rieb sich über die Stirn. War irgendetwas hiervon real? Gab es wirklich eine Gefahr oder war das nur eine günstige Gelegenheit gewesen, ihn abzuservieren? Er hätte sich einen Film anschauen können. Oder Gesellschaftstänze lernen können. Oder Zigarren rauchen und Brandy trinken – was auch immer man auf Kreuzfahrten wie dieser so machte. Irgendetwas Interessanteres, als sich Bildbände anzuschauen.
Die Erinnerung an Silas' Kuss lenkte ihn von seiner wachsenden Frustration ab. Der Zug von Silas' Händen, die sich in seinem Haar vergraben hatten, der Geschmack seines Spermas. Sein Aufschrei voller Hingabe und Lust.
Rhys seufzte und schob die Gedanken beiseite. Blätterte eine Seite weiter. Der Central Park. All die Grünflächen. Wie würde es sein, dort zu vögeln? Oder in einem echten Wald? Nackt, sein Rücken in die dunkle Erde gepresst und Silas, der seine Beine auseinanderdrückte, während er in ihn eindrang.
Die Enge in seinem Magen breitete sich bis in seinen Schwanz aus. Verdammt, Silas kehrte besser bald zurück. Er war sich nicht sicher, wie lange er die Fantasien noch zurückhalten konnte und es wurde immer schwieriger, seine Erektion zu verbergen, trotz des großen Buchs auf seinem Schoß.
»Sind diese Plätze belegt?«
Rhys wäre vor Schreck beinahe in die Luft gesprungen, als eine Frau ihn ansprach. Er hatte sie nicht kommen hören. Einen Moment lang konnte er sie nur anstarren.
»N… nein.«
Ihr Lachen war glockenhell. »Oh, es tut mir so leid. Ich wollte dich nicht erschrecken. Alle anderen Tische sind belegt. Du sahst aus, als könntest du etwas Gesellschaft vertragen.« Sie lächelte, wobei eine Reihe weißer Zähne zwischen ihren rubinroten Lippen zum Vorschein kam.
Rhys stieß den Atem aus. »Du kannst dir gerne einen aussuchen.« Er deutete auf die anderen beiden Stühle und versuchte sich seinerseits an einem Lächeln.
»Das ist wirklich lieb von dir.« Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, die Handfläche nach unten zeigend. »Radmila.« In ihrer Stimme schwang der Hauch eines Akzents mit, anders als der von Silas. Er glich eher dem von Vasil.
Rhys nahm ihre Hand und drückte sie sanft, ehe er sie wieder losließ. »Rhys.« Obwohl ihre Haut weich war, fühlte sie sich an wie Eis. Kalt. Hart darunter. Sein Puls beschleunigte sich. Leute sollten sich nicht wie Eisskulpturen anfühlen.
»Es ist mir eine Freude.« Wieder das gleiche Lächeln. Sie setzte sich auf den Stuhl, der Rhys am nächsten war.
Nur selten schenkte er der körperlichen Attraktivität von Frauen so viel Aufmerksamkeit, aber diese hier – sie war anders. Schokoladenfarbenes Haar, das sich wie Wasser bewegte, fiel ihr fast bis auf die Schultern. Tiefbraune Augen zierten ihr rundes Gesicht. Ihre Haut war beinahe leuchtend, wie Perlmutt. Wäre sie ein Mann, würde es ihm sehr schwerfallen, ihr einen Wunsch abzuschlagen.
Radmila runzelte kaum wahrnehmbar die Stirn, bevor ihre Gesichtszüge sich glätteten. »Bist du allein, Rhys?« Sanfte Worte.
Er schauderte. Irgendetwas an dieser Frage sorgte dafür, dass sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Er sollte nicht antworten, doch die Antwort fiel trotzdem aus seinem Mund. »Ich warte auf einen Freund.«
»Wir warten ebenfalls auf jemanden.« Sie schaute kurz zurück zur Bar. »Vielleicht können wir uns gemeinsam die Zeit vertreiben.«
Wir. Rhys folgte der Richtung, in die sie geblickt hatte. Ein blonder Mann kam auf sie zu, die rechte Hand in seiner Tasche. Seine blauen Augen verschlugen Rhys den Atem, obwohl er erst den halben Raum durchquert hatte – blass wie ein Sommermorgen. Er war dünn – dünner als Silas – und er hatte ebenso marmorne Haut wie Radmila.
Sie ergriff die linke Hand des Mannes, als er sich zu ihr gesellte. »Hat der Kellner unseren Freund gesehen?«
»Vor einiger Zeit, aber nicht kürzlich.«
Gott, die Stimme des Mannes. Sie war geschmeidig und fließend wie der Klang einer Oboe. Rhys umschloss das Buch auf seinem Schoß mit seinen Händen. Sein Instinkt sagte ihm, vor den beiden zu fliehen, doch als der Blick des Mannes zu ihm wanderte und an ihm hängen blieb, konnte er nicht wegsehen.
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