„Wir werden ja sehen“, antwortet Fabian genauso fröhlich. „Was hältst du davon, wenn wir nachher ein bisschen Ball spielen?“
„Gute Idee“, antwortet Sascha begeistert. „Aber zuvor holen wir uns noch ein Eis.“
Am nächsten Tag wachen Sascha und Fabian nachdenklich auf. Während des Frühstücks sprechen sie kaum. Nur ab und zu wirft der eine dem anderen einen unsicheren Blick zu. Ansonsten verhalten sie sich so, als ob der andere Luft wäre.
Endlich läutet das Glöckchen. Freudig betreten die beiden Brüder zusammen mit den Eltern das Wohnzimmer. Der Christbaum strahlt im Kerzenglanz. Darunter liegen viele Päckchen. Doch bevor diese ausgepackt werden dürfen, singt die Familie Weihnachtslieder und liest das Weihnachtsevangelium. Sascha und Fabian sind schon ganz zappelig.
Endlich ruft ihr Vater: „Fröhliche Weihnachten, meine Lieben! Schauen wir doch einmal, wem das erste Päckchen gehört. Es ist für Sascha!“
Freudig nimmt Sascha das Päckchen entgegen und öffnet es vorsichtig. Ein wunderschönes Auto kommt zum Vorschein. Nachdenklich betrachtet Sascha die lange Antenne. Plötzlich kann er sich gar nicht richtig über das Geschenk freuen.
Das nächste Päckchen ist für Fabian. Er reißt das Geschenkpapier auf und hält eine Schachtel ohne Aufschrift in der Hand. Neugierig öffnet er die Schachtel und wundert sich. In der Schachtel befindet sich ein Ball. „Den habe ich mir doch überhaupt nicht gewünscht“, denkt er. „Außerdem war es doch Saschas Ball, der gestern kaputtgegangen ist.“ Da fällt Fabian der komische Traum ein, den er letzte Nacht gehabt hat. Er überlegt kurz. Dann nimmt er den Ball aus der Schachtel, geht zu seinem Bruder, drückt ihm den Ball in die Hand und sagt: „Tut mir leid, was gestern mit deinem Ball passiert ist. Magst du diesen haben? Ich schenke ihn dir.“
Sascha schaut seinen Bruder zunächst erstaunt an, doch dann schleicht sich ein Lächeln auf sein Gesicht. „Danke“, flüstert er. „Dafür darfst du auch mit meinem Auto spielen.“
Sissy Schrei lebt zurzeit in Maria Lanzendorf.
*
Weihnachten wie immer – und doch ganz anders
So wie alle Jahre. Das war für Tina das Wichtigste. Weihnachten sollte alle Jahre möglichst gleich verlaufen. Der Christbaum sollte immer am selben Platz stehen und sie freute sich jedes Jahr wieder, die schönen Weihnachtskugeln und den anderen glitzernden Schmuck darauf wiederzuerkennen. Es gab an jedem Heiligen Abend das gleiche Essen: gebackenen Fisch mit Kartoffelsalat. Den Fisch mochte Tina zwar nicht so gerne, aber er gehörte auch zum alljährlichen Ritual und deswegen aß sie ihn an diesem ganz besonderen Abend mit Freude und mit Appetit. Und alle Jahre wieder sangen sie die altvertrauten Lieder unter dem Weihnachtsbaum, so wie immer. Nur die Geschenke, die sollten natürlich nicht jedes Jahr gleich sein – das wäre ja langweilig! Tina hatte sehr viele Spielsachen. Ihr ganzes Zimmer war voll mit allen nur möglichen Sachen. Und eigentlich wusste sie gar nicht so recht, was sie sich dieses Jahr vom Christkind wünschen sollte ...
Daher war sie in der Vorweihnachtszeit mit ihrer Mama unterwegs in die Stadt, um sich in den Geschäften umzusehen und vielleicht etwas zu finden, das sie noch nicht hatte und sie sich wünschen konnte. Sie gingen zu einem riesengroßen Einkaufszentrum. Noch vor dem Eingang begrüßte sie ein verkleideter Weihnachtsmann mit eindeutig aufgeklebtem Bart und verteilte Zuckerln an die Kinder. Dabei sagte er immer wieder: „Ho ho ho!!“, und bimmelte mit einer Glocke, die er in der Hand hatte. Tina hätte nur zu gerne an dem falschen Bart gezogen, um sicherzugehen, dass er aufgeklebt war, aber sie wusste, dass man das nicht tat, und eigentlich traute sie sich auch gar nicht. Also nahm sie brav ihr Zuckerl, sagte: „Danke“, und dachte sich dabei: „Ich weiß, dass du nicht echt bist, denn zu uns kommt das Christkind und an den Weihnachtsmann glaub ich nicht.“
Endlich erreichten sie die Eingangstüre. Es war so eine Glastür, die sich im Kreis drehte, und es dauerte ein wenig, bis sie endlich drinnen waren, denn Tina konnte einfach nicht widerstehen, ein paar Runden damit im Kreis zu laufen.
Als sie ins Innere traten, musste Tina fast ein wenig die Augen zusammenkneifen, so sehr blendeten sie die vielen bunten und blinkenden Lichter. Alles war so wunderbar geschmückt und es duftete nach Lebkuchen, Punsch und auch ziemlich stark nach Parfum, da gleich nebenan eine sehr geschminkte Dame jeder vorbeigehenden Frau – ob diese wollte oder nicht – Parfum aufsprühte, da man diesen wunderbaren Duft nur an diesem Tag besonders billig kaufen konnte. Überhaupt herrschte in diesem Einkaufszentrum eine rege Betriebsamkeit, um nicht zu sagen – Hektik. Im Hintergrund hörte man kaum die stimmungsvolle Weihnachtsmusik und irgendwie wollte diese auch gar nicht so richtig zu den hastenden Menschen mit den riesengroßen übervollen Einkaufstaschen passen. Tinas Mama wurde von der Parfum versprühenden stark geschminkten Dame in ein Gespräch verwickelt und so hatte Tina Zeit, sich genau umzusehen.
Sie setzte sich in Sichtweite ihrer Mama auf eine kleine Bank. Dort saß schon jemand, und zwar ein kleiner Junge, circa in Tinas Alter. Tina sah den Jungen unauffällig von der Seite an. Sie bemerkte, dass er nicht sehr warm angezogen war und auch seine Turnschuhe waren für den Schneefall und die eisige Kälte draußen viel zu dünn. Er hatte keine Handschuhe an und seine Hände steckten fest in den Jackentaschen. Die Ohren und seine Nase waren ganz rot, da sie in der Wärme des Einkaufszentrums gerade auftauten. So wie auch Tina sah er sich im Einkaufszentrum die schöne Beleuchtung, die Auslagen und die umher eilenden Menschen an. Tina blickte sich zu ihrer Mutter um. Diese war inzwischen bei einem Schmuckstand angekommen und probierte verschiedene Ohrringe an, das hieß, sie war noch für einige Zeit beschäftigt.
Der Junge auf der Bank neben ihr machte Tina neugierig und sie beschloss, ihre Schüchternheit zu überwinden und ihn anzusprechen. „Hallo“, sagte sie, „ich heiße Tina. Bist du auch mit deinen Eltern da, um Weihnachtsgeschenke auszusuchen?“
Der kleine Bub sah sie aus großen dunklen traurigen Augen an. „Ich heiße Ronnie. Nein, ich bin hier, um mich aufzuwärmen“, sagte er und blickte wieder vor sich hin.“
„Was meinst du mit aufwärmen?“, fragte Tina verwirrt. „Warum wärmst du dich nicht zu Hause auf? Und du bist ganz alleine hier?“ „Bei mir zu Hause ist es nicht warm“, antwortete Ronnie und sah dabei auf seine viel zu dünnen und vom Schnee durchnässten Schuhe. „Wir haben kein Geld, um Holz für den Ofen zu kaufen. Und ja, ich bin alleine hier, meine Eltern sind beide arbeiten, damit wir wenigstens etwas zu essen kaufen können.“
„Wo wohnst du denn?“, fragte Tina, der der kleine Junge ganz schön leidtat.
Er deutete stumm auf ein Haus auf der anderen Straßenseite des Einkaufszentrums, das man durch die drehende Glastür erkennen konnte.
„Welches Spielzeug wünschst du dir vom Christkind?“, fragte Tina.
„Spielzeug?“, fragte der Junge, der Ronnie hieß. „Ich wünsche mir kein Spielzeug. Ich wünsche mir Holz für den Ofen, damit wir wieder heizen können, und, dass wir genug zu essen kaufen können. Und dass meine Eltern ein wenig Zeit für mich haben …“, fügte er noch leise hinzu.
Tina dachte über die Worte des Buben nach. Mitten in ihre Gedanken hinein hörte sie ihre Mutter rufen. „Tina, komm, wir gehen jetzt ins Spielzeuggeschäft und sehen mal, was du dir vom Christkind wünschen könntest!“ Fröhlich rauschte ihre Mutter heran, umgeben von einer intensiven Duftwolke. Die geschminkte Parfumdame hatte ganze Arbeit geleistet. An Mamas Ohren baumelten neue Ohrringe.
Spontan umarmte Tina ihre Mama und sagte leise: „Schön, dass wir Zeit miteinander verbringen, Mama!“ Zu dem Jungen sagte sie noch: „Tschüss und schöne Weihnachten“. Dann zog sie an Mamas Hand Richtung Spielzeuggeschäft.
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