1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Der schottische Katholik Busby lebt freilich nicht das Leben eines Heiligen. Der Trainer besucht gerne Manchesters Klubszene, trinkt mit dem Kollegen von der gegnerischen Mannschaft schon mal einen Whisky vor dem Spiel und beglückt die lokalen Buchmacher mit größeren Geldsummen.
Während Katholiken in der englischen Gesellschaft nur eine Minderheit bilden, besetzen sie in der Ära Busby bei United verschiedene Schlüsselpositionen. Auch Busbys langjähriger Assistent Jimmy Murphy, ein Waliser irischer Abstammung, ist Katholik und bleibt sein Leben lang ein treuer Kirchgänger. Ebenso Chefscout Joe Armstrong, der den Eltern katholischer Talente verspricht, dass ihre Jungs nach einem Wechsel zu United weiterhin die Messe besuchen würden. Busbys erster Kapitän, der Ire John Carey, war ebenfalls katholisch. In den 1960ern bekam mit Noel Cantwell ein weiterer katholischer Ire die Kapitänsbinde ausgehändigt.
Als der nordirische Protestant Harry Gregg 1957 zu United stieß, spürte er sofort den Einfluss einer katholischen Kultur: „Es herrschten dort nicht die geringsten Zweifel, dass der Boss (Busby, Anm. d. Verf.), Jimmy Murphy und ihre Familien von ihrer Religion durchdrungen waren. Und ihre Religion war der Katholizismus. Damit hatte ich nichts zu tun.“ Vor dem ersten Spiel nach der München-Katastrophe sei ein Priester in der United-Kabine erschienen. Gregg: „Ich hatte niemals zuvor einen Priester gesehen.“
Im Raum Manchester baut das Scouting des Vereins auf die Hilfe des Catholic Sportman’s Club: Fußballbegeisterte Priester melden dem Verein die talentierten Jungs ihrer Gemeinde. Das Netzwerk ehrenamtlicher Zuarbeiter geht bald über Manchester hinaus, auch hier mit Hilfe von Priestern und katholischen Pfadfinderklubs. Zur Belohnung werden die Informanten zu Uniteds Heimspielen eingeladen. Um 1960 gehören zum typischen Bild im Old Trafford die zahlreichen Schwarzröcke auf der Haupttribüne.
Busby pflegt die Nähe zu katholischen Spielern wie Pat Crerand. Mehr als einmal wird der Trainer mit der Behauptung konfrontiert, er bevorzuge die katholischen Spieler. Dennoch: Im protestantischen Hause Best geht der Respekt gegenüber Busby so weit, dass das jüngste Kind von Anne und Dickie Best, Sohn Ian, den zweiten Vornamen Busby erhält.
Busbys Neuaufbau
Manchester United hatte einige Jahre benötigt, um sich von München 1958 zu erholen. Als Matt Busby neun Wochen nach dem Unglück das Münchner Krankenhaus „Rechts der Isar“ verließ, versprach er der United-Familie den Aufbau einer neuen Mannschaft, die binnen der nächsten zehn Jahre den Europapokal gewinnen würde. Busby: „Manchester United wird wieder aufstehen!“ Der Manager wollte nicht akzeptieren, dass sein Lebenswerk zerstört war. Bobby Charlton: „Es war eine Verpflichtung für Manchester United geworden, diesen Pokal zu gewinnen. Es war eine Familienangelegenheit.“
Den Manager plagen schwere Schuldgefühle. Ohne seine europäischen Ambitionen hätte seine junge Mannschaft kein Flugzeug betreten. Nur der Gewinn des Europapokals kann die Dämonen von München zu Grabe tragen und die Last lindern. Der Europapokal wird zu einer regelrechten Obsession Busbys. Die englische Meisterschaft ist nur noch die Eintrittskarte für Europa.
Busby baut nun Schritt für Schritt ein neues Team auf und bedient sich dabei auch des Scheckbuchs. 1960 holt er den 28-jährigen Iren Noel Cantwell für 29.500 Pfund von West Ham United. Es ist zu diesem Zeitpunkt die höchste Summe, die in England jemals für einen Fußballer gezahlt wurde. Der elegante Linksverteidiger und irische Nationalspieler stammt aus Cork, wo er für Cork Athletic gespielt hat. Mit Cantwell kommt auch dessen Landsmann Tony Dunne, wie Cantwell Linksverteidiger. Busby kauft ihn für 5.000 Pfund vom Dubliner Klub Shelbourne FC. Im Sommer 1961 wechselt der 27-jährige Schotte David Herd von Arsenal London zu United. Der Angreifer kostet 35.000 Pfund.
In der Saison 1961/62 gibt Uniteds Eigengewächs Nobby Stiles 18-jährig sein Liga-Debüt. Die Familie des Spielers ist irisch-katholischer Herkunft. Stiles’ Stärken sind die Balleroberung und das einfache Passspiel, weshalb er ins defensive, kontrollierende Mittelfeld rückt. In einer Zeit, in der vielfach noch mit fünf Offensivkräften gespielt wird und die Halbpositionen im Mittelfeld von vorgezogenen Innenverteidigern (half backs) wahrgenommen werden, ist das eher ungewöhnlich. Stiles fällt die Aufgabe zu, den gegnerischen Kreativspieler zu neutralisieren. Dies verschafft technisch versierteren Akteuren wie Bobby Charlton und später George Best zusätzlichen Spielraum.
1962 landet Busby seinen teuersten und spektakulärsten Transfer: Vom AC Turin kommt der 22-jährige schottische Internationale Denis Law, für den United an die Italiener die astronomische Summe von 116.000 Pfund überweist. Law wird schnell zum Liebling der Fans auf der Hintertortribüne Stretford End im Old Trafford und 1964 als erster United-Spieler zum europäischen Fußballer des Jahres gewählt.
1963 holt Busby schließlich von Celtic Glasgow den 24-jährigen Patrick Timothy „Pat“ Crerand. Als Busby ihn unter seine Fittiche nimmt, besitzt Crerand in Schottland nach Auseinandersetzungen mit Schiedsrichtern und Celtic-Coach Sean Fallon den Ruf eines „bad boys“. Wie die meisten Glasgower Katholiken ist er irischer Abstammung. Der Vater stammt aus Newtownstewart in der nordirischen Grafschaft Tyrone, einer Hochburg des militanten Republikanismus, seine Mutter aus Gweedore in der Grafschaft Donegal in der Republik Irland. Crerand hätte für Süd- oder Nordirland spielen können, entschied sich aber für Schottland. Mit Nobby Stiles bildet der harte Arbeiter im defensiven Mittelfeld die Basis, von der aus Charlton, Best und Law ihr Spiel starten können.
Busbys beste und entscheidende Waffe, um die Dämonen von München zu bezwingen, wird aber mit George Best aus dem eigenen Nachwuchs kommen.
Vom Büro auf den Platz
In England dürfen Jugendspieler, die aus Irland und Schottland stammen, erst ab 17 Jahren Ausbildungsverträge bekommen. Die Vereine müssen nachweisen, dass die Jungen kein Geld erhalten und einer „ordentlichen“ Arbeit nachgehen. So verlangen es die Fußballverbände Schottlands und Irlands, die befürchten, dass die finanzkräftigeren englischen Vereine ihre Nachwuchsspieler-Pools plündern.
Best und der gleichaltrige John „Fitzie“ Fitzpatrick aus Aberdeen arbeiten im Büro der Manchester Ship Canal Company. Wenn die anderen Jungs trainieren, müssen der Ire und der Schotte Handlangerarbeiten erledigen. Beide sind total unzufrieden. Sie sind nicht zum größten Fußballklub der Welt gekommen, um lediglich zweimal die Woche zu trainieren, am Dienstag- und Donnerstagabend. Best: „Ich musste Tee kochen, aber ich wollte Fußball spielen. Ich wollte jeden Tag mit den anderen Jungs trainieren.“
Schließlich hat United ein Einsehen. Man besorgt den beiden Schein-Jobs bei einem Elektrounternehmer, der United unterstützen will und dessen Geschäft in der Nähe des Trainingsgeländes „The Cliff“ liegt. Best und Fitzpatrick checken dort um neun Uhr ein, wie die übrigen Beschäftigten. Aber während die anderen an ihren Arbeitsplatz gehen, spazieren die beiden Nachwuchsfußballer wieder zur Tür hinaus und zum „Cliff“. Best: „Wir hatten bekommen, was wir wollten: Wir trainierten nun mit dem Rest der Jungs fulltime.“ Nach dem Training geht es zurück in den Betrieb, um ordnungsgemäß auszuchecken.
United begeht damit einen klaren Verstoß gegen die Bestimmungen der FA. Aber der Klub will Best nicht ein weiteres Mal verlieren und ist sehr darauf bedacht, dass der Junge sich wohlfühlt. Um etwaigem Heimweh zu begegnen, dürfen die Eltern auf Klubkosten nach Manchester fliegen und ihren Sohn besuchen. Ein bisschen arbeiten müssen Best und Fitzpatrick aber auch weiterhin. Als Nachwuchsspieler haben sie die Schuhe der Profis zu putzen. Best sieht zu, dass er die von Harry Gregg bekommt.
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