So stehe ich denn abermals vor der mit Brettern zugenagelten Wand – es ist so jämmerlich traurig. Oh, es ist wohl besser, dieser vermaledeiten Wand den Rücken zuzukehren, anstatt jahrlang an ihr entlang zu rasen und eine Öffnung zu suchen, von der man sich doch sagt, daß sie nicht zu finden ist, garnicht vorhanden sein kann? Oh, es ist wohl besser, mit einem Sprung, einem tollen, alles überjauchzenden Schrei in das Leben da draußen zurückzujubeln: Es lebe das Leben!
Aber da humpelt wieder die griesgrämige Frage an: Weshalb jubelst du nicht, es lebe die Arbeit? – Herrgott! weil sie doch wieder an die vernagelte Wand führt!
Und die andere, die ebenso griesgraugrämige: Tu’s – aber was hast du davon?
Und die teuflische: Tu’s – aber meinst du, du tust es, weil du willst? Du Narr, weil du mußt; du kannst nicht anders!
Ich werde ins Freie gehen. Wohin? Ins Bruch? In den Wald? In die Heide? – Soll ich schließlich den zureichenden Grund suchen, weshalb ich dieses Mal ins Bruch und nicht in die Heide gehe!
Östlich vom Lichtenhagen zieht sich von Norden nach Süden eine Senkung hin, auf der gegenüberliegenden Seite begrenzt von aufsteigenden Ackerfeldern, weiten Heideflächen und Kiefernwäldern. Zwei Bäche sammeln die Wasser dieser auf Lehm und Mergel ruhenden Senkung und tragen sie in trägem Lauf zu Tal, um mit ihnen den Dorfteich zu speisen. Der treibt mit ihnen seine Mühlräder, schafft aus ihnen Badekölke und Eisbahnen für die Jugend, Schwemmen für die Pferde und Waschplätze für die Weiber und gibt dann diese durchtollten und durchwühlten Wasser durch eine andere Senkung in den südlichen Höhn weiter durch Bach und Fluß zum Strom.
In der Mitte dieses langgestreckten, mannigfach eingeengten und verbreiterten Tales liegt ein Heiderücken, der schon seit langer Zeit auf seiner einsamen Höhe ein Hochmoor trägt; das schmückt seinen Rand mit würzigen Gagelsträuchern und Sumpfporsten und dem gelben Beinheil, mit schwarzen Moorkiefern und kümmerlichen Zwergbirken, über seiner Mitte aber wölbt sich ein gewaltiges Sphagnumlager – und unter dem, hier in dem übermoosten See, haben die beiden südwärts fließenden Bäche und ein dritter nach Norden abströmender ihren Ursprung.
Dieses ganze, versumpfte, vermoorte und vertorfte Gebiet nennen die Leute das Bruch und denken dabei an saure Wiesen, oftmalige Überschwemmungen, die ihnen das karge saftlose Heu wie Schiffe und Flöße davontragen, und an Maifröste, die in den wenigen anliegenden Gärten die Obstblüte und die jungen Gemüse regelmäßig zerstören.
Aber auf den torfigen Wiesen, den sandigen Aufschüttungen der Bäche und eisenroten Gräben, an den übelriechenden Sumpflöchern, in den zerstreut liegenden Elsen- und weichhaarigen Birkengebüschen, am Rande der Kiefern- und Eichenkolonien geben sich flammende leuchtende Blumen ihr Stelldichein: Da läuten neben den brennenden Weidenröschen die Purpurglocken des Fingerhuts, gesellt sich zu dem weinduftenden Wasserdost der friedlose Goldweiderich und breitet die gewaltige Bärenklau ihre gastlichen Dolden. Hier leuchtet weit über die Wiesen die hohe Grundfeste und unter ihr nickt die Arnika mit ihrem harzduftenden Blütenkopf, während allerorts die bunten Kerzen der Knabenkräuter brennen und die zartgefransten Blütentrauben des Fieberklees; und allerorts schwellen die Sphagnummoose ihre grünen und bläulichen Polster, zarte Moosbeeren und gleißender Sonnentau haben sich auf ihnen angesiedelt und neben ihnen, wo der wilde Schneeball an zierlichen Schirmtrauben seine Früchte hängen läßt, hockt träge und tückisch das Fettkraut und schaukelt seine Veilchenblüten auf schlanken Stengeln. Aber in der Mitte, dort um das schwarze Erlenloch, in dem der sparrige Pferdekümmel sich breit macht, haben gefleckter Schierling und hohe Brustwurz im Verein mit übermannshohen Sumpfdisteln und Nesseln eine Mauer geschlungen, über die nur noch die braunen Rispen des Schilfrohrs ragen; und von Rispe zu Rispe, von Halm zu Halm und Baum zu Baum klettert über alles und überschüttet alles die Winde mit ihren weißen Trichterblüten. –
Ringelnattern und Kreuzottern haben hier ihr Reich und ihre Beute an lärmenden Froschheeren und mannigfachen Mäusen; Wasserhühner und Krickenten locken aus dem Röhricht und trippeln des Abends auf den taufeuchten Wiesen; polternden Fluges gehen Rebhühner- und Fasanenketten vor dir hoch; gaukelnde Kiebitze wiegen sich in den Lüften; schreiende Regenpfeifer streichen in Scharen dahin; der schillernde Eisvogel huscht über die Bachläufe – während der Reiher steif wie ein Pfahl am Schilfrand steht.
Aber in den Kolken und Lachen tanzen unzählige seltsame Wesen auf und nieder – ein grotesker ungeheurer Kopf, mit zwei Hörnern versehen, der Körper eingeschlagen und nicht viel größer als dieser, mit breiten Borsten am Schweif – mit einigen zornigen Schlägen ist es unten und steigt jetzt wieder geruhig hoch, stundenlang geht das Spiel, auf und ab –. Doch des Abends schälen sich aus den seltsamen Tauchern Schnaken hoch, diese Lachen und Kolke senden Heere auf Heere aus von sausenden surrenden Mücken, daß das ganze Tal singt und summt und surrt. –
Es ist schön, am glühenden Sommermittag durch dies Alles zu schweifen, sich im Schatten einer Silberweide neben den Bach ins Gras zu werfen, zuzusehen, wie der Grashalm in den kleinen Wellen sich hebt und senkt, wie über ihnen blauschimmernde Gyriniden gleich tanzenden Quecksilberkugeln ihre unermüdlichen Reigen kreisen, wie glänzende Schilfkäfer von Halm zu Halm schwirren, wie dort auf dem trockenen Eichenast ein Sperber aufbäumt, umlärmt von Schwalben und Bachstelzen und anderem scheltenden Volk – um dann seinen Blick an eine einsame Wolke zu hängen und mit ihr durch den blauen Himmel zu segeln, weit fort ins Reich der Träume, der bunten Sommerträume – so weit, daß du plötzlich um dich blickst: was ist das? – wer bin ich? – wo war ich? –
Wie die beiden südlichen Bäche ihr Wasser dem Dorfteich zuführen, so hat auch der dem Nordrande des Hochmoors entspringende seinen Teich zu tränken. Der liegt am nördlichen Ende der großen Senkung. Die Wälder, die in einiger Entfernung das ganze Tal begleitet haben und dann in gewaltiger kompakter Masse sich bis an den Rhein nach Cleve walzen, senken sich hier von allen Seiten flach und sanft herab und lassen ihre Vorposten, Haseln und Weiden, in den stillen Wassern sich spiegeln. Weiße Seerosen liegen in der Mitte dieser Wasser und träumen in lauen Nächten zum Mond, während an den langgestreckten Ufern der ewig raschelnde und lispelnde Schilfwald schwätzt; bis unter die Buchen und breitkuppligen Kiefern dringt er zuweilen in dem umgebenden Wald vor mit seinen bleichen Schlangenwurzeln. Mehr und mehr sucht er dem Wasser sein klares spiegelndes Reich zu rauben, immer neue spitze Schößlinge läßt er aus dem schlammigen Grund hochschießen, er kann nicht genug sein windiges zerrissenes Gesicht sehen, nicht genug sich rascheln und schwätzen hören. Nach Osten zu hat er schon die beiden Ufer bis fast zur Teichesmitte in seinem festen schwätzenden Besitz, hier und da reicht er sich schon die Hand von Ufer zu Ufer, seine rauschende raschelnde Hand, und die armseligen freien Lachen dazwischen hat er in ein, zwei Jahren zugewürgt, und dann liegt er da, breit und brutal, und neigt schwätzend seine braunen fahrigen Köpfe nach den ewig gleichen Stößen des Westwinds –.
Doch am östlichen Ende dieses raschelnden Waldes liegt wieder ein Teich, blank und rein vom Schilf; Laichkräuter, Froschlöffel und runde Kolonien dunkelgrüner Krebsscheren leben in dem, und purpurne Schwanenblumen und die weißen Blütenwirtel der Pfeilkräuter lächeln von seinen Ufern: und wenn bis hierhin die kleinen Wellen des Baches, die von da oben zwischen den narkotischen Gagein und Porsten heruntersickerten, gekommen sind, dann spielen und glucksen sie an mächtigen Mauern und Pfeilern, ein hoher Turm spiegelt sich in ihnen, dann plätschern und wandern sie rings um eine Wasserburg, das alte Schloß zu Raesfeld – eine Wasserburg, im Tiefland, von breiten Gräben umgeben – wie sie im Norden und Nordwesten Deutschlands träumen und zerfallen.
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