Helle Stangerup
Kopenhagen
Es war der Montag nach Ostern 1523. Die Sonne ging fern am Öresund auf, an der Küste von Schonen, zerteilte für Augenblicke eine graue Wolkendecke und tauchte Kopenhagen in ein warmes, goldenes Licht. Es vergoldete die Spitze des hohen, eckigen Turmes der Frauenkirche, schien auf das Königliche Schloß und den Treppengiebel von Sankt Peter und warf seinen Glanz auf das Kloster der Grauen Brüder und die Nikolaj Kirche.
Das Licht gelangte auch zu den Höfen der Kaufleute und den Werkstätten in die Straßen und Gäßchen, in kleine Fenster und Ritzen im Mauerwerk. Es malte Streifen und Würfel auf die Lehmböden in Klædebo Rodemål, wo im roten Haus des Krämers längst die Arbeit begonnen hatte.
Die Krämer-Maren war an diesem Morgen schlechter Laune. Ane, die Magd, hatte Feuer machen sollen, aber es war ihr nicht gelungen. Sie hatte sich mit dem Feuerstein abgemüht, ohne etwas zu erreichen. Die Mägde der Nachbarn waren viel geschickter.
Dann hatte auch noch eine Ratte im Selchfleisch gesessen. Maren griff nach dem Schürhaken und schlug nach ihr. Zuerst verfehlte sie das Biest, traf es aber beim zweiten Versuch mit solcher Wucht, daß der Kopf wegflog und im Kohl landete.
Und außerdem hatte sich Mads der Krämer wieder einmal die ganze Nacht herumgetrieben. Maren glaubte ihm nicht, daß er nur gesoffen hatte. Er sollte was erleben, diesmal würde Maren die Wahrheit schon aus ihm herausholen.
Aber es war nicht nur das mit Ane und der Ratte und Mads und mit wem er es nun getrieben hatte. Für Maren und die anderen Leute von Klædeboderne und auch für ganz Kopenhagen war dieser Montagmorgen nicht wie andere Tage. Zwar wurde in den Werkstätten gearbeitet, und die Schweine grunzten und schmatzten in den Abfallhaufen der Straßen, doch es war nicht das übliche Treiben und Lärmen. Sogar Mette Remsniders in dem gelben Strohdachhaus hielt an diesem Tag ihr loses Mundwerk. Und Ane ersparte sich Prügel, denn Maren hatte an anderes zu denken.
Man munkelte, der König wolle auf Reisen gehen. Mads hatte es bei Anders Brolægger gehört, dessen Schwester bei Jesper Brochmann als Magd diente, und dann mußte es wahr sein. Sobald der Wind günstig war, wolle der König in die Niederlande segeln, um die Mitgift der Königin zu holen und mit einem mächtigen Heer zurückzukehren. Was das alles bedeuten sollte, wußte Maren nicht genau, aber sie kannte sich mit Vorzeichen aus, und davon hatte es genügend gegeben.
Zum Beispiel der Donnerschlag, der schlimmste, an den sie sich erinnerte, und das an einem Tag mit klarem, blauem Himmel. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, und bald verbreiteten sich Gerüchte in der Stadt. Der kleine Prinz Hans hatte im Haus von Mutter Sigbrit gespielt. Und als niemand auf den Jungen achtete, hatte er sich an Sigbrits Flaschen und Kolben zu schaffen gemacht und eine Flasche auf den Boden fallen lassen, daß sie zersprang. Im selben Augenblick ertönte der Knall, denn Sigbrit hatte ihn in der Flasche verwahrt, und dem armen Bürschlein war er entwischt.
Aber Maren glaubte diese Geschichte nicht. Daß Sigbrit eine Hexe war, darüber bestand kein Zweifel, aber ein ganzes Donnerwetter in einer Flasche zu verwahren, das schaffte auch eine Hexe nicht. Das Ereignis war ein Vorzeichen, ein böses Omen, genauso wie das Schwein, das mit verdrehten Beinen auf die Welt gekommen war und nur rückwärts laufen konnte. Oder als die Mühlenflügel bei Windstille vom Blåtårn herunterfielen. Sogar der König war erschrocken, und er befahl, die Flügel in der Nacht wieder anzubringen, damit nicht zu viel Gerede entstünde. Was aber trotzdem geschah. Schließlich kam in Nørre Rodemål ein Kind mit Schwanz und behaartem Rücken zur Welt, und das war fast das Schlimmste.
Man erzählte sich auch, daß der Reichstag im November verschoben werden würde. Allerdings sehnte sich auch keiner nach den adeligen Herren, die in die Bürgerhäuser einzogen und so hochmütig waren, daß sie oft abreisten, ohne zu bezahlen.
Jetzt schmiedeten sie Ränke mit Herzog Friedrich und allen Holsteinern, und das würde für die Dänen schlimme Zeiten bringen. Obwohl der Frühling endlich gekommen war, obwohl ein milder Wind von Süden in die Stadt wehte, widersprach das nicht den Vorzeichen oder täuschte darüber hinweg, daß die Adeligen eidbrüchig wurden und ihren König verrieten.
Maren hatte allerdings König Christian nie leiden können. Schon als Kind war er ein wilder Bursche gewesen, das wußte jeder, und das wurde akzeptiert. Aber daß er die Dyveke, diese Hure, aus Bergen mitbrachte und sogar nach seiner Heirat mit einer so vornehmen Fürstin bei sich behielt, das war zuviel.
Maren hatte ein einfaches Gemüt und beurteilte alles im Leben danach, ob es ihr Probleme brachte oder nicht. Sie vergaß nie, daß Mads der Krämer Abelone mit ins Bett genommen hatte, ohne die Kinder zu verjagen. Es war ein Wunder, daß Abelone das kleinste nicht zerdrückt hatte, während sie mit Mads hurte, denn Abelone war auch noch betrunken gewesen.
Am liebsten hätte Maren Abelone so behandelt wie die Ratte an diesem Morgen, aber auch Maren war nicht nüchtern gewesen, und außerdem hatte sie Sorge wegen der Kinder gehabt.
So begnügte sich Maren damit, Abelone vor die Tür zu setzen, Mads mit Essensentzug zu drohen und als Ersatz die törichte Ane ins Haus zu nehmen. Aber seit damals hatte Maren ihre eigene Meinung über Christian, und daran änderte sich auch nichts nach dem Tod der Dyveke. Wenn sie die Königin sah, auf dem Weg von der Messe in der Frauenkirche zurück ins Schloß, weckte die kleine, zerbrechliche Frau bei Maren Mitgefühl. Das Los einer Frau war nicht leicht, das einer Königin sicher schwerer. Sie hatten etwas gemeinsam, Königin Elisabeth von Dänemark und Maren von Klædeboderne.
Mit eifrigem Interesse beobachtete Maren auch die königlichen Kinder. Prinz Hans war ein schöner Bursche, auch wenn er sich zu viel herumtreiben durfte, und Fräulein Dorothea ein süßes kleines Mädchen mit hellen Locken. Nur die Jüngste, Christine, hatte Maren noch nicht gesehen, hatte aber gehört, daß sie etwas Besonderes sein sollte, die Hübscheste von allen, und dazu ein aufgewecktes Kind.
Während Maren an Dyveke und Abelone dachte, die zweifellos aus demselben Holz geschnitzt waren, und an das Fleisch, das warmgemacht werden sollte, und an die Lederstrümpfe des Krämers, die an der Ferse zerrissen waren, geschah etwas in Kopenhagen.
Die Arbeit in der Ankerschmiede von Bremerholmen geriet langsam ins Stocken, die Reepschläger ließen ihre Seile unfertig liegen, und in der Magstræde und Snaregade erstarb der Lärm in den Werkstätten. Die Schmiede und die Reepschläger schauten hinüber zur düsteren Fassade des Schlosses. Dort drüben begab man sich an Bord der Schiffe.
Allmählich ging ein Raunen durch die Menge, das Angst und Mißtrauen verriet. Da lagen die »Maria«, der Stolz der Flotte, der »Löwe« und achtzehn andere Schiffe. Die Frühlingssonne glitzerte auf der Wasseroberfläche und beleuchtete Masten, Takelagen und Kanonen, nach außen ein prachtvoller Anblick, der von Reichtum und Macht zeugte. So ging der König des Nordens auf Reisen.
Die Zuschauer wußten es besser, vielleicht besser als der König selbst. Sie kannten die Last der Steuern und den Hochmut und die Machtgier der adeligen Herren, die jetzt unterwegs nach Kopenhagen waren. Aber sie wußten auch, daß die Adeligen Dänemark nicht regieren sollten. Für die Bürger war die zur Abfahrt bereite Flotte kein Zeichen von Reichtum, Stärke oder Macht, sondern von Schwäche, Furcht und Ohnmacht. Und wenn sie flüsterten: »Der König reist«, meinten sie in Wirklichkeit: »Der König flieht.«
Das Murmeln der Menge breitete sich wie ein Schmerz in Straßen und Gassen aus. In jedem Haus war es zu hören, und alle strömten zum Wasser, alte Frauen und junge Gecken in Pluderhosen und mit geschlitzten Ärmeln, Bettler und Kaufleute, geschwätziges Gesinde und versoffene Weiber, Professoren, Studenten, Schüler und flüchtige Bauern. Und alle empfanden dasselbe. Zwar waren sie verärgert über ihn, verurteilten, verdammten, verfluchten ihn gar in heimlichen Stunden. Aber trotz Dyveke, trotz Sigbrit und den Steuern war er ihr Mann, ihr Freund, ihr König.
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