Helle Stangerup
Ide Munk gebar ihr Kind bei einer Explosion. In dem Augenblick, als die Hebamme Kopf und Schultern des Neugeborenen faßte und daran zog, ertönte der Knall. Die Mauern bebten, Scheiben zersprangen, und die Nordwand bekam einen Riß von oben bis unten. Putz und Kalk rieselten auf das Himmelbett und die Wäschetruhe, über die Frauen und Dienstmädchen, und der Kalenderstab fiel vom Tisch und kullerte zum Funkenregen des Kamins.
Die Hebamme blieb vorgebeugt am Gebärstuhl stehen, das Kind zwischen den Händen, und drehte langsam den Kopf nach oben. Die Augen sahen aus wie graue Knöpfe auf das flache Gesicht genäht und starrten Ide voller Entsetzen an.
Dann ließ sie das Kind los. Sie ließ es fallen wie ein Stück heißes Eisen. Ein kurzer Schrei entfuhr dem zahnlückigen Gebiß. Die schaufelähnlichen, großen blutigen Hände griffen nach den Rökken, und sie rannte los.
Die andern folgten ihr. Sie purzelten übereinander, stießen an der Tür wie ein Stoffballen zusammen und kämpften sich frei. Die Schritte huschten wie Ratten in panischer Flucht die Wendeltreppe hinunter, und Ide saß allein da.
Ihr Kleid war bis zum Bauch hochgezogen. Sie stellte die Füße zu beiden Seiten des stummen, bewegungslosen Kindes fest auf den Boden. Vom unteren Stockwerk vermischte sich das Kreischen der Frauen mit dem Brüllen der Männer, und das Geräusch neuer Schritte folgte. Es kam von draußen. Der ganze Schwarm lief über den Hofplatz und die Zugbrücke. Es ertönte ein Klappern. Das war sicher Ane. Sie war zwölf Jahre alt, erst eine Woche im Dienst und hatte noch nicht gemerkt, daß die östlichste Brückenplanke lose war, was sonst jeder vom Gesinde wußte.
Ide wunderte sich. Sie verstand ihre Verwunderung nicht. Sie hätte von Schrecken erfüllt sein müssen. Nur das Kind des Satans persönlich konnte auf diese Weise geboren werden.
Zwischen jeder Wehe hatte sie gefleht: »Mutter Maria, leihe mir deine Schlüssel, damit ich meine Lenden öffnen kann«, und alles auf dem Hof war eilends gelöst worden. Die Gurte der Pferde und die Halsbänder der Hunde, die Kette über dem Kessel und die Fäden in ihrem Webstück. Jeder Knoten war aufgeknüpft und jeder Pflock in Haus, Stall, Scheune und Pferch um der Bitte willen herausgezogen worden. An die Allerseligste Jungfrau um Hilfe gegen Schmerz und Tod. Und das für ein Kind des Teufels.
Wieder diese merkwürdige Verwunderung. Der Teufel herrschte über alle Dämonen und die Flammen der Hölle und marterte die Seelen der Verdammten. Der Teufel war Herr über alles Böse, über Hexerei und Schwarze Magie. Doch seine eigene Brut ließ er in einer beliebigen Aprilnacht wie einen nassen Lumpen auf dem Boden in einem beliebigen Hof in Seeland liegen.
Ides Körper war schwer, und die Brüste spannten. Nur die Gedanken flogen so leicht dahin wie die weißen Flocken des Löwenzahns im Sommerwind.
Sie war eine Sünderin. Wenn auch keine große. Jedenfalls keine zu große Sünderin. Nicht so schwarz wie Maria weiß. Sie hatte ihrer Schwester Kirschen gestohlen. Sie hatte sich durch angebliches Kranksein vor vielen Stickstunden gedrückt und insgeheim ihren Onkel verabscheut, den Bischof von Ribe, der ihr nicht die Hostie vor dem Hochaltar auf die Zunge legen konnte, ohne seine dicken Finger wie heimtückische Nattern um ihren Hals zu legen.
Drei Kinder hatte er nach dem Ablegen des heiligen Gelübdes gezeugt, zwei sogar mit einer Dame adeliger Herkunft. Aber ein Bischof war ein Bischof und Hassen eine Sünde.
Die Kälte von den zerborstenen Fenstern strömte wie in Spiralen um ihre Beine, während Ide grübelte, warum sie vom Bösen persönlich ausgewählt worden war. Sie tat es nüchtern und ruhig, so wie sie oft nach dem Grund gesucht hatte, warum Gott der Allmächtige vom Nachtfrost im Mai alle Blüten auf den Zweigen verzehren ließ und damit im September die süßen Früchte des Herbstes vernichtete.
Ides Eltern waren fromme Leute. Die Mutter stets mit beiden Beinen auf der Erde, groß, hager und grau wie ein erloschener Leuchtturm in der Finsternis, eine ständige Warnung vor unbekannten Riffen und kommenden Zeiten. Das heimliche Lachen des Vaters klang immer wie ein bullerndes Feuer im Schornstein, trotz seines harten Schicksals. Eines Tages am Kirchenportal von Hjerm versprach er Herrn Oluf die Hand seiner Tochter.
Ide hatte sich auf den Tag gefreut. Zwei Jahre früher hatte sie mit ihrem Vetter Holger auf Koldinghus getanzt. Sie hatte seine verstohlenen Blicke genossen. Ihr wurde ganz heiß. Er flüsterte, daß die Farbe ihrer Haare wie Nüsse im September seien und ihre Augen wie Kornblumen im Juli, und als er sie küßte, meinte sie mit den Elfen zu schweben. Holger heiratete dann eine andere, und hier wartete der Mann, der sie betrachten, bewundern und liebkosen sollte, damit das Leben zu einem schwebenden Rausch wurde.
Doch Oluf war nur groß und ernst und blickte zu Boden. Ide hatte nach ihm geschielt, aber er hielt stur den Blick gesenkt. Die Augenbrauen wölbten sich wie Kuppeln. Durch den Bart sah sie ein Grübchen in seinem Kinn. Die Nase war lang und gekrümmt, in seinem Haar befand sich direkt über dem linken Ohr ein Wirbel, und er ging auf die Vierzig zu.
Um all das Wunderbare, das geschehen sollte, gleichsam zu wecken, streckte Ide ihm die Hand hin. Sie tat es unwillkürlich. Sie tat es als erste. Die Mutter schnappte nach Luft vor Entsetzen. Die Finger hingen nur da, in die Luft gespreizt, und Ide überlegte, wie sie sie zurückziehen könnte, als Oluf endlich und ganz langsam seine Hand hob und in ihre legte.
Seine Haut fühlte sich rauh an. Ungewohnt. Sie fand Stärke in dem Bewußtsein, daß so gute Eltern sie nur mit dem besten Mann, den es gab, verheirateten.
Bei der kirchlichen Einsegung gebot ihr der Pfarrer, zu lieben wie Rachel, klug zu sein wie Rebekka und treu wie Sara. Und Oluf war gut. Er war edel. Mit dem Blick zu Gott gewandt und den Fingern in ihrer Wäsche, drang er in einer hellen Walpurgisnacht in ihren Schoß. Er nahm verständnisvoll die Nachricht auf, daß das erste Kind, Birgitte, eine Tochter war und kein Sohn. Er half den Schwachen und den Armen. Wie ein Sankt Martin teilte er seinen Mantel und gab die eine Hälfte dem Frierenden. Frauen, die in Sünde empfangen hatten, unterstützte er, und das Begräbnis eines blaugefrorenen Säuglings, der wie ein Robbenbaby auf einer Eisscholle vor Mariä Unbefleckte Empfängnis an Land gespült worden war, wurde bezahlt.
Aber Ide vergaß das Gefühl, zu den Elfenwesen des Waldes zu gehören. Um sie war nur Olufs Gebot, fest und mit Vergebung. Oluf auf ewiger Wallfahrt nach den heiligen Quellen. Unablässig lesend saß er über seiner Bibel gebeugt, über die heiligen Schriften und das kleine Betbüchlein. Seine Hände fuhren in das struppige, ergrauende Haar, daß es in Büscheln abstand, und er quälte sich wegen des Treueeides für Christian II., den er brach.
Aber hatte Mutter Sigbrit ihn etwa nicht verleumdet? Und hatte dieser Christian etwa nicht der Familie Vallø weggenommen und bald als Ketzer, bald als Rechtgläubiger das Land in Schwierigkeiten gebracht? Wie sehr Ide auch tröstete, brannten doch ständig neue Kerzen in der Kirche.
Oluf reiste nach Nyborg und wurde Hofmeister für den jungen Herzog Hans, den die katholische Partei des Rates als nächsten König haben wollte. Sogar nachdem er den Eid auf den zehnjährigen Prinz abgelegt hatte und Christian II. auf Sønderborg hinter Schloß und Riegel saß, kam es vor, daß sich Oluf bei seinen Besuchen zu Hause wand und drehte und murmelte, ein Eid sei ein Eid und dürfe nicht gebrochen werden.
Ide hatte sich geärgert, als die Bilanz gemacht wurde. Es kostete Unsummen, gut zu sein. Sie hatte gesündigt, indem sie an das Ergebnis dachte, indem sie den Blick auf das Irdische richtete, indem sie ausrechnete, was hereinkam und was nach draußen verschwand, und Habgier war eine Todsünde.
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