Über die Zugbrücke trabten drei Zinsbauern mit der Mütze in der einen und der Pacht in der anderen Hand. Aber in letzter Zeit wurden mehr faule Eier und verdorbene Hühner abgeliefert als je zuvor. Die Holzschuhe des Schusters spalteten sich schon nach einer Woche, und die Häute für die Strümpfe hatten Messerspuren und zerrissen beim Gerben.
Das alles wegen der Sache mit dem gefangenen Christian II. Für den Adler, der seine Schwingen ausbreitete und die kleinen Vögel vor dem gierigen Habicht schützte. Aber die kleinen Vögel vergaßen offenbar völlig, daß sich der Adler wie ein Aasfresser gebärdete. Bloß das Töten überließ er den anderen.
Nach Ides Einschätzung waren drei Bauern mit Spaten, Lanze und Heugabel genauso gefährlich wie ein feindlicher gepanzerter Ritter, und beim Obstgarten schaute sie zurück.
Das Haus war nicht groß. Es war nicht wie die Prachtbauten, die es, wie sie wußte, im Ausland gab. Aber das rote Mauerwerk war beinahe vier Ellen dick. Die Schießscharten bildeten einen schönen Kranz um das untere Stockwerk. Sie zeigten nach Norden. Nach Osten. Nach Süden. Nach Westen. Der Burggraben war tief, und er war breit. Die Zugbrücke konnte hochgezogen und ein Fallgitter herabgesenkt werden, und ganz unten im Keller, unter einem geheimen Deckel, lag die Brunnenbohrung, die bei einer Belagerung die Versorgung mit Wasser sicherte. Ide freute sich, daß das Geld nicht für Schmuck und Flitter benutzt worden war.
Birgitte lief ihr unter dem frisch sprießenden Laub entgegen. Ide fing ihr kleines Mädchen auf und dachte, wenn Gott einen jeden Menschen in seinem Stand zur Welt kommen ließ, mußte man die Himmelsmächte auch um Hilfe bitten dürfen, wenn diese Ordnung gebrochen wurde.
Sobald sie Birgitte von der heiligen Dorothea erzählt hatte, von dem Korb mit Blumen und Früchten, die ihr Christus im Februar zur Richtstätte gesandt hatte, wollte Ide zur heiligen Anna beten.
Die Mutter Gottes war so sehr beschäftigt, den vielen gebärenden Frauen zu helfen. Anna hatte mehr Zeit, sich eine Bitte um Erhaltung der von Gott gestifteten Ordnung anzuhören. Wie Gott die Sprachverwirrung einführte, weil ihm der Turm von Babel zu nahe kam, mußte er den Bauern auch ihre gefährliche Fähigkeit des Singens nehmen können.
Birgitte begeisterte sich nicht sonderlich für die Bekehrung von Theophilius zum christlichen Glauben, erkundigte sich aber vorsichtig, ob wilde Erdbeeren in dem Korb waren, die der himmlische Bräutigam Dorothea sandte. Und Kirschen. Und obwohl es in Wirklichkeit Rosen und duftende Äpfel waren, durfte Birgitte selbst den Korb ausstatten. Der Glaube war schließlich für so ein kleines Kind wichtiger als die Flora. Die Rosen wurden ersetzt durch einen Strauß blauer Veilchen und die Äpfel durch Beeren des Waldes, während die Schwalben tief über die Wiesen flogen und Regen ankündigten.
Doch gegen Abend verteilte sich die kreuzförmige Wolkendecke. Das Quaken der Laubfrösche hörte auf, und beim Läuten der Kirchenglocken ging die Sonne in roten Streifen hinter den Linden unter.
Aus dem Untergeschoß ertönte kein Gesang mehr. Die Mägde und Weibsleute scheuerten die Töpfe mit geschlossenem Mund, und das Einsalzen des letzten Lammfleischs verlief schweigend. Vielleicht schwiegen sie, weil die heilige Anna ihr Flehen erhört und Gott gebeten hatte, ihnen Schweigen aufzuerlegen.
Wenn die Kirche verschwinden sollte, wem fielen dann die Ländereien der Kirche zu? Und wenn der Adel tot war, wer wurde dann Herr über die Ländereien des Adels?
Vielleicht schwiegen sie, weil alle Vögel schwiegen, bevor ein Unwetter losbrach.
Die Bauern feierten Sankt Zwiebel. Im besten Sonntagsstaat mit Hut, Silberknöpfen und Kuhmaulschuhen und um die Knöchel gebundenen Zwiebeln. Sie liefen herum und traten sich gegenseitig darauf. Dasselbe wurde gemacht, wenn die ersten Ladungen des fetten Herbstherings an Land kamen, und der Spaß hieß Sankt Hering.
Diese Feste pflegte man auf der Gemeindewiese zu feiern. Nicht in der Kurve direkt vor der Kirche. Ide hielt das Pferd an. Mehrere Burschen und Mägde sprangen bereits zwischen den Grabsteinen herum. Der Pfarrer stand in der Tür der Vorhalle, seine kurzen Arme ausgebreitet wie der Gekreuzigte, und es erklang lautes, rohes Gelächter, als jemand grölte, daß es sicher ein Milchzahn Jesu sei, den er in dem Reliquienschrein aufbewahre.
Es wurde getrampelt und getreten, gejohlt und geschrien. Leere Bierkannen häuften sich an der Kirchenmauer, und der Dorftrottel, Lange Lars, stolperte über zwei Spanferkel und landete kreischend auf dem Bratrost und verrenkte sich die Schulter.
Ide betrachtete sie. Wer war gesetzestreu? Wer war aufrührerisch? Wer war rechtgläubig? Wer war ein Ketzer? Katrines großer, weißer Körper produzierte sich, vollbusig und mit Hohlkreuz, als präsentierte sie eine üppige Schale mit den Früchten des Jahres. Sie lebte in der Kate, kannte weder Kalk noch ein gedecktes Dach und hatte nie Getreide auf dem Speicher. An Mariä Verkündigung verlor sie bei einer Prügelei mit Äxten fünf Finger, und ihr Bruder wurde am Abend des Ambrosiustages gehenkt, weil er die Münzen gestohlen hatte, die die Gemeinde am Karfreitag unter das Kruzifix gelegt hatte.
Lahme Janus schnarchte im Schatten des Kirchturmes, die spitze Nase in die Luft gestreckt und das kranke Bein im Feuerlöschteich. Morten der Riese verprügelte seine schweigsame, blasse Frau mit einem toten Aal, während sich der Küster im Schatten eines dreirädrigen Karrens die Finger leckte und vor Glück kicherte beim Zählen der Ablaßbriefe, von denen jeder wußte, daß er sie beim nächtlichen Würfelspiel mit einem stockbesoffenen Dominikaner gewonnen hatte.
Ein Grasbüschel kam geflogen und machte Ides Pferd unruhig, und ein Huhn stakste mit einem dreijährigen Knaben hinter sich vor ihr über den Weg. Das war Katrines Zweitjüngster, ein verdreckter, rundlicher Bursche. Er fing das arme Tier und lachte; es war ein Grübchen in seinem Kinn. Als die kleinen Finger in die Federn griffen und das Tier hoch in die Luft hoben, wurde Ide an irgend etwas erinnert.
Aber sie wollte nach Hause. Alle Zwiebeln waren platt getreten. Der Pfarrer stand immer noch mit ausgebreiteten Armen da, um sein Heiligtum zu schützen. Der Knabe stand immer noch mit dem Huhn in der Luft mitten in der Wagenspur, als Mikkel der Schmied die Trense ihres Pferdes packte, auf den Kleinen deutete und mit der Zunge halb aus dem Mund rief:
»Diese Vaterschaft kann der Herr nicht verleugnen.«
Ide schlug mit der Reitpeitsche nach ihm. Doch obwohl betrunken, war Mikkel zu schnell, er duckte sich und rief:
»Es gibt noch mehr von der Art. Schau sie nur den Haarwirbel an.«
»Mein Jüngster gehört dazu«, grinste Maren.
Ide ritt im Galopp über die Hügel, aber die Worte klebten an ihrem Rücken wie ein großes, giftiges Insekt, und sie schob instinktiv die Schulterblätter zurück.
Das war gelogen. Gemein gelogen wie das mit dem Milchzahn Jesu. Es gab gar keinen Wirbel in dem Haar des Buben.
Doch sie hatte ihn nur von rechts gesehen. Olufs Wirbel saß über dem linken Ohr. Einen Augenblick dachte sie daran, umzukehren und sich den Knaben gründlicher anzuschauen. Davon konnte aber keine Rede sein. Außerdem war ein Wirbel keinerlei Beweis, ebensowenig wie ein Grübchen im Kinn. Und Birgittes Haar war ja völlig normal.
Ide trat nach einer Ratte und ging in die Kinderkammer, um nach Mette zu sehen.
Die Amme nahm die wöchentliche Überprüfung als Ausdruck der besonderen Sorge einer Mutter für die Gesundheit ihres Kindes und stand gerührt mit schräggelegtem Kopf da, als Ide, da nichts festzustellen war, sie bat, das Kind wieder zu wickeln.
Oluf schickte Briefe. Er erkundigte sich eifrig nach Mette und berichtete, daß die Wahl des Königs um ein Jahr verschoben worden war, weil Einigkeit herrschen mußte mit den norwegischen Bischöfen.
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