Das kleine Mädchen stieß bei der Berührung mit dem kalten Wasser einen Schreckensschrei aus, beruhigte sich aber sofort, als Oluf – nachdem der Weg des Kindes zur Seligkeit gesichert war – zufaßte und mit einem schnellen Ruck seine Tochter aus dem Schoß der Mutter Gottes in seinen beförderte.
Die Frauen im Halbkreis schwatzten. Über Olufs ungehöriges Benehmen in der Kirche. Über die Verrücktheit, die den sonst so besonnenen Mann gepackt hatte, und sein völliges Desinteresse am Tode des Königs. Oluf war schließlich Reichsrat, die Regierung des Reiches lag in den Händen des Rates, und am Tag der zehntausend Märtyrer sollte in Kopenhagen Reichstag gehalten werden. Aber es war offenbar wichtiger, der erst einige Tage alten Mette zu zeigen, wie ein Baum an zwei Stellen durchgesägt wurde, um einen Bienenstock heimzubringen.
Die Amme wurde fortgeschickt, nachdem sowohl Ides Schwester, Anne Meinstrup und ihre beiden Töchter davon überzeugt waren, daß das Haar der Frau einen roten Schimmer aufwies – ein sicheres Zeichen dafür, daß die Milch schlecht schmeckte. Die schwarzen Flecken auf den Zähnen hielt man für ansteckend, und außerdem war sie Mutter eines Knaben, was die zarte Mette männlich machen konnte.
Eine neue Amme wurde geholt. Die Brüste strotzten nach der Geburt eines toten Mädchens, und nach gründlicher Betrachtung im scharfen Sonnenlicht wurde sie akzeptiert.
Währenddessen lag Ide im Bett und dachte an den toten König. Nicht daß sie ihm jemals begegnet wäre. Oder sich für ihn interessiert hätte. Er war nur der Mann, den ihr Vater in Viborg ernannt hatte, und seine Seele befand sich nun dort, wohin ihn seine Taten geführt hatten. Aber als Ide mit den Füßen die Decken lüpfte, um etwas Kühlung zu bekommen, erinnerte sie sich ganz genau, wie teuer sich der spanische Mönch für die kleine Flasche grünes Drachenblut bezahlen ließ, das doch nur als ein Ersatz für die bessere Ware galt.
Es war so weit nach Holsten. Die königliche Leiche lag sicher schon in einem versiegelten Sarg, bis der Sarkophag fertig war. Und dort blieb sie in alle Ewigkeit, völlig nutzlos.
Oluf war auf die verrückte Idee verfallen, daß das erst einige Wochen alte Kind die Bewegungen des Pferdes kennenlernen müsse. Erst bei Sonnenuntergang kehrte er zurück. Seine Haarbüschel waren verschwitzt, aus Mettes Windel tropfte es, und sie schrie aus vollem Halse, die Amme hielt sich jammernd ihre schmerzenden Brüste und ging breitbeinig durchs Zimmer, als hätte sie immer noch das Pferd zwischen den Beinen.
Obwohl Anne umgehend dafür sorgte, daß zusätzliche Mägde sich um die Kleine kümmerten, war das zuviel für die Selbstbeherrschung von Ides Mutter. Sie deutete auf die Wiege mit einem Finger, der den Arm zu einer Linie von endlosen Anklagen verlängerte:
»Und was soll daraus werden?« fragte sie und schnappte nach Luft, als hätte sie ihre ganze Kraft in dieser Frage verbraucht.
»Ein ganz gewöhnliches Kind«, erwiderte Oluf lächelnd, und mit einer hilflosen Drehung des Kopfes gab Ides Mutter ihren Mägden den Befehl, zu packen.
Als die Mutter am nächsten Morgen aufsaß, hingen die Füße und die steifen Beine wie Eimer und Seile eines Jochs an den Flanken des Pferdes herunter. Sie nickte kühl ihrer Tochter und dem Schwiegersohn zu und reichte versteckt unter der Hand eine kleine Tüte mit kandierten Früchten ihrer Enkelin Birgitte, die mit ihrem Schatz ins Haus rannte. Oben im Sattel schüttelte sie sich einen Moment bei dieser Offenbarung von Gefühlen. Sie gab dem Pferd die Sporen, und gefolgt von bewaffneten Männern und bedienenden Mägden, begann der Heimritt nach Viborg.
Die übrigen Geburtshelferinnen verließen Vallø am selben Tag, und Oluf weilte nun stundenlang in der Schlafkammer. Er streichelte Ides Hand. Manchmal auch ihre Wange. Aber von der Seite, wie damals, als er mit dem Blick auf die Erde geheftet dastand. Er hätte genausogut den Bettpfosten oder den Vorhang streicheln können. Mette bekam sein Lächeln und seinen Blick, und wenn er das Kind vor den Spiegel hob und dem stummen Wesen jeden Gegenstand darin erklärte, griff Ide nach ihrem Stundenbuch, um das zu ertragen.
Außerdem lag sie hier müßig herum. Das Vieh war längst auf die Allmende und in den Wald getrieben. Doch die Kälber, die Lämmer und die Ferkel – hatte man sie auch mit dem Eisen gekennzeichnet? Und wie stand es mit dem kleinen Acker und dem empfindlichen Weizen? Ohne ihn gab es für die Feiern im nächsten Winter kein weißes Brot.
Über alles machte sie sich Sorgen. Olufs Schwermütigkeit war wie weggeblasen und hatte sich ihres Körpers und ihrer Seele bemächtigt. Sein Lachen, selbst sein Lächeln ließ sie zusammenzucken. Das Summen der Dienstmädchen hielt sie ebensowenig aus. Die monotonen Laute erinnerten sie an etwas Böses, längst vergessen, aber trotzdem aufgehoben, wie die Vorratstonnen des letzten Jahres, die nicht richtig leer gemacht worden waren.
Olufs Welt war so groß. Sie erstreckte sich vom Königsbach im Südwesten bis zur Hallandhöhe im Nordosten. Sie beinhaltete die Regierung des Reiches, den Kampf gegen den Verfall des Glaubens und die schwere Verantwortung für Herzog Hans.
Ide verstand wenig von Politik oder davon, warum dieser Luther alle Dämonen loslassen wollte. Aber sie konnte fast auf einen Fuß genau jeden Feldrain in den sieben Pfarrbezirken bestimmen. Sie wußte, daß ein heißer Mai die Ernte mager ausfallen ließ, und wenn der Rabe nordwärts flog, würde die Hitze bis Mittsommer andauern. Und an dem Tag, an dem ein reisender Prediger im Dorf das Abendmahl in beiden Gestalten austeilte, war die schlimme Lehre Vallø zu nahe gekommen.
Sie mußten etwas tun für den armen Pater Niels. Natürlich nahm er drei Schluck Wein, wo einer reichen würde. Natürlich haperte es, wenn es darum ging, die Himmelfahrt Christi und die heilige Auferstehung zu unterscheiden. Aber er war trotzdem ein guter und gottesfürchtiger Mann, der stets die liturgische Ordnung genau beachtete, der nie den Abendmahlskelch mit dem Daumen säuberte und nie mit ausgefranstem Rock herumlief. Er hatte wegen der billigen Begräbnisangebote der Bettelmönche große Einbußen hinnehmen müssen, doch jetzt, nachdem sie endlich vertrieben waren, unterließ es die Gemeinde, den Zehnten zu geben, denn davon stand nichts in der Bibel.
Oluf mußte zurück nach Nyborg und von dort weiter zum Reichstag nach Kopenhagen. Trotzdem fand er Zeit, dem armen Pfarrer zu helfen. Das war selbstverständlich. Er warf das Barett auf einen Stuhl, schleuderte die vielen Ellen Stoff des Glockenärmels über die Truhe und stellte sich seitlich zum Licht, so daß sich sein Bart zur Brust hin krümmte. Aber er betete nicht. Er schaute hinunter auf sein Kind, als wollte er sich an jedes Detail des kleinen eingepackten Gesichts erinnern, denn es war nicht möglich, Mette mitzunehmen auf den Reichtstag in eine Stadt, mit Epidemien verseucht und voller Ansteckungsgefahr.
Von ferne hörte man den Lärm der schwatzenden Mägde, das Rumoren im Unterstock und wieder dieses nervtötende Summen. Unablässig dieselbe Melodie. Weit weg bellte ein Hund, und Olufs Körper schwankte hin und her – wie die Saat auf dem Feld an einem luftigen Augustabend. Hätte sie nur das Gold hergestellt, und er würde sie lieben als Wohltäterin. Jetzt liebte er statt dessen das Kind und vergaß die Mutter. Ide sehnte sich zurück zu der Zeit, als er büßend und um Vergebung der Sünden flehend kniete und sie mit ausgestreckten Fingern eine tröstende Hand auf seinen Nacken legte. Damals hatte er sie selbstverständlich gebeten, mitzukommen zu den Festlichkeiten des Reichstages in Kopenhagen. Und damals war nur einige Wochen her.
Eine Geburt verändert vieles. Mettes Geburt veränderte alles. Bei Sonnenuntergang hatte Ide Listen gemacht, was in der Stadt mit den vielen fremdartigen Waren gekauft werden mußte. Sie selbst blieb und erfüllte ihre Pflichten auf Vallø.
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