Christine lag in ihrem Bett und blickte sich zwischen Damastdecke und Vorhang um, während die frische Luft in Nase und Lungen drang und sie von dem unbändigen Willen erfüllt wurde, das Leben zu leben, solange Gott es wollte.
Erst lange nach Weihnachten, als das neue Jahr gekommen war und sie 1533 schrieben, erzählte die Regentin Christine und Dorothea in aller Ruhe von dem Schicksal ihres Vaters im vergangenen Sommer. Er hatte Norwegen verlassen und war im Vertrauen auf freies Geleit nach Kopenhagen gesegelt. Doch der Onkel brach das Versprechen. Ihr Vater erreichte nie die Hauptstadt, wurde statt dessen auf einer Insel namens Als ins Gefängnis gesteckt. Christine fühlte keine Trauer, aber sie wußte, da waren die Bürger und Bauern in Dänemark und die treuen Norweger, die ihren Vater liebten. Was war die Wahrheit? Was war die Wirklichkeit?
Mit dem Beginn des Sommers explodierte eine Neuigkeit wie eine Bombe am niederländischen Hof. Bei einer Zeremonie in Barcelona am 10. Juni hatte der Kaiser einen Ehevertrag zwischen seiner Nichte und Francesco Sforza, dem Herzog von Mailand, unterschrieben. Christine war elf Jahre alt und sollte heiraten.
Graf Massimiliano Stampa beugte sich vor, küßte Fräulein Christines Hand und begann ein Gespräch mit ihr und ihrer Schwester, Fräulein Dorothea, aber nach fünf Minuten erklärte die Regentin die Audienz für beendet.
Stampa war verärgert, schrieb aber am selben Abend einen Brief an den Herzog von Mailand über seinen ersten Eindruck von der künftigen Herzogin.
Wie die meisten am Mailänder Hof hatte es Stampa bedauert, daß es nicht gelungen war, die ältere Schwester mit Erbanspruch auf die nordischen Throne zu bekommen, jetzt, nachdem der Bruder tot war. Nach der kurzen Begegnung mit den königlichen Fräuleins konnte Stampa allerdings hocherfreut mitteilen, daß die Jüngere weitaus schöner sei. Sie habe außerdem auf ihn den Eindruck gemacht, sowohl lebhaft wie sanftmütig zu sein.
Stampa hatte die lange Reise von Norditalien bis nach Gent, wo sich der Hof aufhielt, unternommen. Die Reise hatte mehrere Wochen beansprucht, und er erreichte die Niederlande Mitte September.
Mit zunehmendem Erstaunen ritt er durch das flache Land. Alles war kultiviert und bestellt. Überall weidete schwarz geflecktes Vieh, und Häuser und Straßen machten einen gepflegten Eindruck. Nie hatte er eine so fruchtbare Erde gesehen, und am erstaunlichsten war, daß jede Frau und jeder Mann lesen und schreiben konnten. Stampa hatte sich Hunderte von Meilen keine Ruhe gegönnt, um so schnell wie möglich anzukommen, aber von dem Augenblick, an dem er die Grenze passierte, bewegte er sich nur im Trab und im Schritt vorwärts, um die unerwarteten Eindrücke aufzunehmen.
Die Ernte war vorbei, es wimmelte auf den Feldern von wohlgenährten Menschen, die mit frisch gestrichenen Gerätschaften pflügten und eggten. Vielerorts war man mit der Wintersaat beschäftigt, während Frauen, umgeben von einer Schar von Kindern, Bier in Krügen brachten.
Stampa wußte, daß die Niederlande von einer Frau regiert wurden. Vielleicht verirrten sich seine Gedanken, aber ihm schien, als ob hier alles von der Hand einer sparsamen, reinlichen und ordentlichen Hausmutter gelenkt würde.
Es könnte natürlich auch umgekehrt sein, philosophierte er, während sein Blick über Mühlen und ausgehobene Kanäle wanderte, daß nämlich das Volk so geartet war und sich dazu eignete, von einer Fürstin regiert zu werden.
In Wirtshäusern hörte er fortwährend Klagen über hohe Steuern und Kriege gegen die Franzosen, aber er sah gesunde, satte Bauernkinder und erinnerte sich nur zu genau an die zerlumpten, mageren Gestalten aus den norditalienischen Dörfern.
In den Niederlanden fand er Not und schwarzes Brot nur in den Armenvierteln der Städte, ansonsten herrschte Wohlstand, Gesundheit und Sauberkeit. Allerdings hatte Stampa noch nie so grobe und langweilige Frauen gesehen, und ihre Röcke schienen ihm oft unanständig kurz.
Es war jedoch nicht seine Aufgabe, einen Rapport über die niederländischen Provinzen zu schreiben. Er sollte eine Braut holen und sich deshalb zuerst darum bemühen, zur Regentin vorgelassen zu werden.
Wohlbehalten in Gent angekommen, erhielt er die Erlaubnis, zu warten, und schließlich wurden ihm diese fünf Minuten mit Fräulein Christine gestattet.
Es kursierten Gerüchte über einen Brief, den die Regentin an den Kaiser geschickt hatte, ein Protest über die Verheiratung eines so jungen Mädchens. Stampa mußte zugeben, daß ihm die Braut jünger vorkam als gleichaltrige Mädchen in Mailand. Die kräftige Sonne des Südens führte frühzeitig zur Reife, doch Fräulein Christine war ein Kind des Nordens und im diesigen Licht der Niederlande aufgewachsen. Obwohl das Zusammentreffen mit ihr kurz war, bemerkte Stampa sofort, daß die Brust über dem Mieder noch flach war und die leicht lispelnde Stimme einem Kind gehörte.
Der Anblick des königlichen Fräuleins gab ihm Grund zu ernster Sorge. Stampa war Mailänder, und er war Patriot. Sein Herr war der Enkel eines Mannes, der sich mit Waffengewalt selbst zum Herzog gemacht hatte. Das war noch eine goldene Zeit gewesen, als die italienischen Fürsten mit einem über tausend Leute zählenden Gefolge unterwegs waren. Aber mit der Jahrhundertwende kamen die Kriege, und der Herzog war im Exil aufgewachsen, bis er durch die Gnade des Kaisers in sein Land zurückkehren durfte.
Die Selbständigkeit seines Landes zu garantieren hatte sich Stampa zur Lebensaufgabe gemacht, doch dazu brauchte er einen Erben. Der Kaiser hatte eine Braut edelster Abstammung zur Verfügung gestellt, sich aber ausbedungen, daß ihm das Land zufalle, sollte der Herzog kinderlos sterben. Es war ein Wettlauf mit der Zeit.
In dem Kontrakt stand ausdrücklich, daß die Ehe unverzüglich zu vollziehen sei, und Stampa war sich darüber im klaren, daß der Passus nur darauf zielte, die Franzosen daran zu hindern, die Gültigkeit der Ehe anzufechten und damit die Abmachung als ganze. Nach den fünf Minuten mit Christine von Dänemark durchschaute Stampa die kaiserlichen Winkelzüge.
Stampa sollte als Stellvertreter des Herzogs die Prinzessin ehelichen und sie ihrem eigentlichen Gemahl zuführen. Aber die Regentin hatte immer neue Entschuldigungen, nicht mit ihm zu reden. Einmal war es eine leichte Verletzung bei einem Sturz vom Pferd, einmal Ratsversammlungen und unaufschiebbare Geschäfte, und dann reiste sie ohne weiteres in Begleitung ihrer beiden Nichten nach Lille. Stampa reiste hinterher. In Mailand erwartete der Fürst seine Braut und das Volk einen Erben, der die Selbständigkeit des Herzogtums bewahren und es vor fremder Herrschaft retten sollte. Trotz Stampas Zweifel bezüglich der Fähigkeiten des alternden, fast verkrüppelten Herzogs, das Geschlecht der Sforza weiterzuführen, gedachte er seine Aufgabe zu erfüllen.
Eines Tages erschien ein kaiserlicher Gesandter, de Praet. Der Kaiser hatte wahrscheinlich den mangelnden Willen der Schwester, den Ehekontrakt durchzuführen, geahnt, denn de Praet war aufgetragen worden, der Trauung beizuwohnen.
Jetzt wurde die Regentin sehr freundlich. Sie bedankte sich überschwenglich für das Pferd, das ihr der Herzog zum Geschenk gemacht hatte, sie arrangierte ein Souper für Stampa und gestattete ihm, den beiden Prinzessinnen beim Tanzen eines ballo all’italiano zuzuschauen.
Am Sonntag, dem 28. September 1533 nachmittags, fand die Hochzeit statt. Die Prozession betrat die Schloßkapelle von Lille. Die Braut wurde von der Regentin geleitet, während Stampa, der den Herzog vertrat, in goldenen Brokat gekleidet am Altar wartete. Violinen und Trompeten ertönten, der Bischof von Tournai vollzog die Trauung zwischen Christine von Dänemark und dem Herzog von Mailand in Gestalt eines anderen Mannes, und Stampa meinte eine große Freude auf dem Gesicht der Braut zu erblicken, als der Bischof ihr den mit einem schönen Rubin besetzten Ehering über den Finger streifte.
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