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Dann fragte Rainer: „Weisst du auch, warum Frauen Männer brauchen? Na, weil Vibratoren nicht den Mülleimer nach unten schleppen können“; Gerhard stutzte und lachte lauthals los.
Gelacht hatte er schon tagelang nicht mehr! Die Spannung fiel plötzlich ab von ihm. Diese Situation der letzten Tage hatte ihn doch ganz schön fertig gemacht. Irgendwie bekam er wieder Mut. Kein Wunder! Tagelang in einer Zelle und nur grübeln!
Nun kam von ihm die Gegenfrage: „Warum haben Männer keine Zellulitis? Rate!.“ Er gab die Antwort selbst: „ Na ja, weil es scheisse aussieht…“
Jetzt war Rainer mit dem Lachen dran. Und er kriegte sich kaum noch ein und fuhr dann fort: „ Klein Fritzchen wird an seinem 16ten Geburtstag von seinem Vater beiseite genommen: Ich gebe dir hier fünf Fränkli – da am Ende unserer Strasse ist ein Etablissement: ‚ZUR SCHWARZEN KATZ’. Dort gehst du zu einer Frau, die heisst ROSIE. Der gibst du dann die fünf Fränkli, und die macht dich dann zum Mann.
Fritzchen geht pfeifend los, und kommt am Haus seiner Grossmutter vorbei. Die fragt den Jungen, wo er hin geht. Er erklärt ihr das, und sie sagt: Gib mir das Geld, ich kann dir das auch zeigen. Gesagt, getan.
Danach wieder zu Hause: Papa fragt, na wie war’s?
Fritzchen antwortet: Ich war bei Oma, die hat gesagt, das kann sie auch machen.
Und ganz stolz: Ich bin jetzt ein Mann.
Da schreit Papa: Du kannst doch nicht meine Mutter vögeln.
Fritzchen antwortet: Du vögelst ja auch meine Mutter!“
Gerhard grinste. Dann erzählte er aus seiner Heimat.
„Ich bin in Westerstede in Ostfriesland geboren. Tatsache!
Da haben sie merkwürdige Sitten.
Im Sommer gibt es fast überall ‚Baumsitzwettbewerbe’.
Da werden auf dem Dorfplatz oder auch auf einem zentral gelegene Platz in Dörfern, aber auch den Städten, ungefähr vier Meter hohe Baumstämme eingegraben, sodass sie stabil stehen.
Dann werden sie von den Wettbewerbsteilnehmern mit Leitern gleichzeitig bestiegen, und die Teilnehmer setzen sich drauf. Da bleiben sie dann sitzen. Tag und Nacht!
Sie dürfen jeden Tag viermal für jeweils eine Viertelstunde den Sitzplatz verlassen, fürs Toilettegehen und für ein Minimum an Körperhygiene. Verköstigt werden sie über angestellte Leitern.
Der Gewinner ist dann der, welcher es da oben sitzend am längsten aushält. Das ist jetzt die reine Wahrheit. Das kannst du mir glauben.“
„Du, ich glaube dir das. In der Schweiz gibt es auch viele seltsame Sitten. Im Moment fällt mir zwar keine besondere Eigenart ein, aber sobald mir was einfällt, werde ich es dir erzählen.“
„Übrigens, weisst du, woraus ein Ostfriesenfrühstück besteht?“
„Nein.“
„Na ja, aus sieben Korn, zehn Doppelkorn, einer Flasche Jever Pils, einer Wurst und einem Hund“
„Schön und gut, nur was soll der Hund?“
„Na ja, einer muss die Wurst ja essen!“
So machte sich dann tatsächlich eine beinahe heitere Stimmung breit, die allerdings schon bald wieder umschlug. Sie waren immer noch in Thailand im Knast und doch ziemlich verbittert.
So verging die Zeit, alles blieb unverändert!
Den nächsten Vormittag waren beide sehr schweigsam.
Gerhard hatte den Eindruck, Rainer wäre in depressiver Stimmung.
Gerhard war es wohl auch, obwohl er sich das, sich selbst gegenüber, nicht eingestehen wollte. Die nächsten beiden Tage vergingen ereignislos, langweilig.
Die Zellen waren untereinander abgetrennt durch massive Gitterstäbe. Die Zelle der beiden Europäer war die letzte in der Reihe. Jede vierte Zelle hatte ein Fenster, oder besser gesagt, ein Oberlicht.
Die Zellen der Thailänder waren mit sechs bis neun Insassen belegt.
Pritschenbetten waren pro Zelle jeweils zwei vorhanden. Diese Pritschen waren immer nur von Dicken belegt, die auch während des Tages darauf sassen oder lagen. Die Dicken waren offensichtlich die Zellenchefs. Die Dünnen schliefen auf dem Zellenboden, nur tagsüber gestattete einer der Dicken ab und zu einem Dünnen, eine Pritsche zeitweise zu benutzen. Doch das waren offensichtlich Ausnahmen.
Die Beseitigung der Fäkalien verlief in den anderen Zellen anders als bei den Europäern: das war für die Beiden ein zunächst undurchschaubares Mysterium.
Mehrmals täglich wurden die Eimer geleert, aber die Leerung erfolgte nicht, wie bei Gerhard und Rainer, in die leeren Essenseimer. Nein, wenn sie halbwegs voll waren, geschah Folgendes: In einer Zelle mit Oberlicht stellte sich ein Insasse vor das Oberlicht. Ein zweiter Insasse stellte sich auf dessen Schultern, sodass er hinausschauen konnte. Dann stellte sich ein dritter Mann, der in der Regel ein längerer Mensch war, daneben.
Dieser hob nun den zur Hälfte gefüllten Eimer auf seinen Kopf, und der Obenstehende schöpfte mit einem Blechschüsselchen den Eimer leer, indem er den Inhalt aus dem vergitterten Oberlicht kippte. So weit – so gut, also eine Hygienemassnahme.
„Sie wollen wohl nicht, dass die Scheisse stinkt“, sagte sich Gerhard. Der Eimer der Weissen wurde vom Hinkebein geleert.
Gegen Nachmittag klopfte dann einer aus der Nachbarzelle an die Gitterstäbe: er bedeutete Gerhard und Renee, den gemeinsamen Eimer an die Gitterstäbe zu stellen. Er ging in die Knie, und begann mit einem Becher beider Eimer in den Eimer der Nachbarzelle umzufüllen.
„Nett“, sagte sich Gerhard. Aber dann wurde dieser Eimer wiederum in den Eimer der Nachbarzelle umgefüllt, und von da aus gelangte die Gülle auf dem gleichen Wege durch die zweite Zelle nebenan zur dritten und zur vierten Zelle.
„Seltsam, seltsam“, sagte Gerhard Rainer, der den Vorgang ebenfalls verwundert verfolgte, „da geht offenbar unsere Scheisse auf Wanderschaft“
Die Zelle, in der diese Wanderschaft endete, verfügte wie die der Europäer über ein Oberlicht. Aus diesem wurde die Scheisse, sowie sie dort angekommen war, sogleich nach draussen entsorgt.
Von nun an liess Gerhard diese Zelle nicht mehr aus den Augen. Und dann fiel der Groschen. Kurz darauf nämlich stellten sich wieder zwei Männer übereinander vor das Oberlicht; einer wiederum daneben. Der Obere griff mit der ganzen Länge seines Armes nach draussen, zuerst am rechten Rand vorbei. Er zog seinen Arm wieder herein und reichte dem danebenstehenden etwas in der Grösse eines Hühnereies.
Ein Ei war es aber nicht, denn es war grün. Diesen tastenden Greifvorgang an der Aussenwand wiederholte er noch mehrmals, bis er insgesamt acht der grünen Gegenstände in der Zelle abgeliefert hatte.
Nun versuchte Gerhard, einem Insassen aus der Nachbarzelle klar zu machen, dass er gerne wüsste, was man da reingeholt hatte. Dieser rief darauf etwas den Leuten in der viertnächsten Zelle zu. Nachdem der Dicke in dieser Zelle offenbar mit einer Handbewegung seine Erlaubnis signalisiert hatte, wanderte einer dieser Gegenstände durch die Gitter der Nachbarzellen bis zur gemeinsamen Zelle.
Es war eindeutig eine grüne Frucht. Beide rochen daran – nichts.
Dann ritzte Gerhard mit dem Daumennagel die Oberfläche an, und siehe da: den Geruch kannte er. Eindeutig Maracuja!
Da fiel ihm ein, dass vor Wochen auf einem Markt, als er dort die vielen fremden Früchte bewunderte, ihm eine besonders teure Fruchtsorte auffiel. Maracujas! Eine einzelne sollte 80 Baht kosten, mehr als eine grosse Flasche Singha-Bier.
Und er erinnerte sich an Maracuja Pflanzen, die er in Israel gesehen hatte. Das Zeugs rankte an Wänden hoch wie Efeu. Nun, hier musste es mindestens bis zum dritten Stock sechs Höhenmeter überwinden. Wegen der besonders effizienten Spezialdüngung war das Zeugs selbst in der Trockenzeit extrem ertragreich und konnte laufend abgeerntet werden. Die Früchte wurden regelmässig Besuchern mitgegeben, die sie dann wohl zu Geld machten und dafür gekochten Reis und Zigaretten zurückbrachten.
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