Ute Janas
Jakobs kleiner Koffer
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Inhaltsverzeichnis
Titel Ute Janas Jakobs kleiner Koffer Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog Mai 1945
Kapitel 1 Mai 1990
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 6 Oktober 1925
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Impressum neobooks
Der englische Armee-Jeep rumpelte über die zerstörten Straßen der westdeutschen Großstadt. Am Steuer saß ein Corporal, im Fond ein Offizier im Rang eines Colonels, neben ihm eine schlanke, blonde Frau, ebenfalls in der Uniform der englischen Armee. Der Wagen verließ das, was einmal eine blühende Innenstadt gewesen war und fuhr vorbei an einer unendlichen Reihe von Ruinen, die anklagend ihre Stümpfe in den Himmel reckten. Die Straßenränder waren gesäumt von weggeräumten Panzersperren und Schuttbergen, ärmlich gekleidete Menschen hasteten durch die Stadt, schauten sich ängstlich um und verschwanden unvermittelt hinter Trümmern. Ein alter Mann, der einen klapprigen Leiterwagen hinter sich herzog, verharrte am Straßenrand, um den Jeep vorbeizulassen. Sein Gesicht war grau, und seine Augen blickten leer. Seine Gesichtszüge schienen das Geschehen der letzten Jahre zu spiegeln und offenbarten Angst, Verzweiflung und Resignation.
Die Wageninsassen fuhren schweigend durch die Stadt und die junge Frau wirkte mit ihrem regungslosen Gesicht, als ob sie ihre Umwelt gar nicht wirklich wahrnehmen würde.
Nach einer Weile bog der Corporal von der Hauptstraße ab und lenkte den Wagen in einen holprigen Weg. Sie befanden sich nun außerhalb der Stadt und durchfuhren kleine Orte, begleitet von Spuren des Krieges.
„You´re quite sure, Darling?”, fragte die Frau auf dem Rücksitz ihren Begleiter.
Dieser nahm ihre Hand in die seine und nickte nur, die Augen besorgt auf die junge Frau gerichtet. Sie nickte nun ebenfalls und bat dann den Fahrer, an der nächsten Ecke links abzubiegen. Dieser tat, wie ihm geheißen und brachte den Wagen kurz danach neben einer kleinen Kirche, die ebenfalls von den Spuren des Krieges gezeichnet war, zum Stehen. Das Kirchenschiff war aufgerissen, die Fensteröffnungen hohl und schwarz, nur der Turm hatte überlebt und es klang wie ein irrwitziges und unpassendes Zeichen der Hoffnung, als plötzlich die Stundenglocke verkündete, dass es elf Uhr sei.
Der Colonel und seine Begleiterin stiegen aus und gingen um den Wagen herum, um unter der Plane einen Kranz hervorzuholen, schlicht geschmückt mit gelben Schlüsselblumen.
Gemeinsam wandten sie sich zu dem kleinen Kirchhof, der nur wenigen Gräbern und Gruften eine Heimstatt bot. Das Tor hing schief in den Angeln und die meisten Grabsteine waren alt und verwittert und viele Inschriften nur noch mühsam lesbar.
Zielstrebig durchschritt die junge Frau den Kirchhof und blieb vor einem großen Grabmal stehen.
„Hier ist es”, sagte sie leise, diesmal auf deutsch.
Der Colonel trat neben sie und legte seinen Arm um ihre schmalen Schultern.
„Letzte Ruhestätte der Familie Heimberg“ war mit bronzenen Lettern auf eine schwarze Marmorplatte geschrieben. Darunter folgten viele Namen; die letzte Inschrift lautete:
Lotte Heimberg
geb. 1930, vermißt 1944
Der Mann legte den Kranz nieder und beide schauten stumm auf das Grab. Sie hielten sich bei der Hand und waren lange in ihre Gedanken versunken.
Schließlich atmete die junge Frau tief durch und wandte sich von dem Grab ab.
„Komm Jordan, ich habe jetzt endgültig Abschied genommen und kann dieses Land für immer verlassen. Und ich schwöre dir, ich werde es nie wieder betreten“
Johanna Oldenburg betrat mit der Anwaltsrobe über dem Arm das Café und schaute sich suchend um. Offensichtlich war ihr Mandant noch nicht da und sie hatte noch einen Augenblick Zeit, sich alleine und konzentriert auf die heutige Urteilsverkündung vorzubereiten. Wieder mal verfluchte sie den Tag, an dem sie sich von ihrem Verlobten hatte überreden lassen, diesen Fall zu übernehmen, eine Tatsache, die im wesentlichen darauf zurückzuführen war, dass Ludwig nicht nur ihr persönlicher Partner, sondern auch Chef der Kanzlei Dr. Steifflinger, Kant & Kollegen war und erheblichen Druck auf sie ausgeübt hatte. Irgendwann hatte sie sich diesem Druck gebeugt, weil sie spürte, dass es ihm ein wirkliches Anliegen gewesen war, den Prozess in ihre und keine anderen Hände zu legen, nachdem er selbst wegen anderer Termine nicht in der Lage gewesen war, die Verteidigung zu übernehmen.
Der Mandant war ein alter Freund der Familie Steifflinger, ein Internist, der von einer Krankenkasse des Abrechungsbetrugs beschuldigt worden war - nach Johannas Auffassung zu Recht, nach Ludwigs Auffassung zu Unrecht - und diese Meinungsdiskrepanz hatte ihre persönliche Beziehung in den letzten Monaten ziemlich erschwert. Vielleicht war sie aber auch nur ein Vorwand gewesen für den eigentlichen Konflikt. Seit geraumer Zeit verstärkte Ludwig seine Bemühungen, Johanna nach dreijähriger Verlobungszeit endlich zu heiraten und sie in das Haus seines Vaters einzuquartieren, eine Vorstellung, die Johanna eher abschreckend fand. Sie mochte ihren zukünftigen Schwiegervater zwar, war aber weder bereit, sich seinem diktatorischen häuslichen Führungsstil, noch dem Villenleben im Vorort hinzugeben und zögerte die Entscheidung immer wieder hinaus. Hunderte von Diskussionen über alternative Wohnlösungen waren im Sande verlaufen, weil Ludwig sich von seiner Familienvilla mit 16 Zimmern und entsprechendem Personal nicht trennen wollte, wofür Johanna, wenn sie ehrlich war, sogar Verständnis hatte. Sie hatten in dieser Frage ein stillschweigendes Moratorium erzielt, das immer dann ins Wanken geriet, wenn ein anderer Konflikt das Gleichgewicht gefährdete, so, wie jetzt.
„Tag Hanni“, sie schreckte hoch und sah ihren Mandanten, Dr. Idel, der deutlich weniger nervös wirkte, als sie selbst.
„Hallo Wolfgang, setz dich, wie geht es dir?”
„Gut natürlich, wir werden heute gewinnen und das verdanke ich dir, meine Prinzessin“, sagte Dr. Idel charmant und zog ihre Hand an seine Lippen.
„Hör auf damit“, sagte sie ärgerlich, „ich kann diesen Schmusekurs nicht leiden.”
„Pardon“, erwiderte er und setzte ein ernstes Gesicht auf.
„Gibt es noch was zu besprechen?”
Johanna stand auf, nahm ihre Robe und sagte: „Nein, ich denke, wir gehen.”
Urteilsverkündung! Wie immer bedeutete das Warten auf den Spruch des Richters für Johanna eine endlose Qual. Hatte Sie alles getan, um ihrem Mandanten zu helfen? Hatte sie vielleicht Fehler gemacht, die ihm den Hals brechen würden? Hatte sie die Richter überzeugen können? Und wie jedes Mal dachte sie auch jetzt wieder: „Warum bin ich bloß nicht ins Hotelfach gegangen?”
Johanna wurde durch das Eintreten des Gerichts abgelenkt. Die Anwesenden erhoben sich und lauschten den Worten des Vorsitzenden:
„Der Angeklagte Dr. Wolfgang Idel wird von dem Vorwurf des Betruges freigesprochen, die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.”
Aufatmend wandte sich Johanna ihrem Nachbarn zu. Er lächelte sie triumphierend an, und es machte ihr in diesem Moment nichts aus, dass er sie umarmte.
Die Staatsanwältin, eine Studienkollegin von Johanna, schien sich noch nicht klar darüber zu sein, ob sie Berufung einlegen sollte und wollte zunächst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten. Sie winkte Johanna freundschaftlich zu und verließ den Saal.
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