„ . . . weil man in Schöllnitz zehn Jahre leben kann, ohne etwas zu erleben!“ erwiderte Fräulein Ritter. „Ich hatte so einen Drang wieder in die Welt hinaus. Ich bildete mir ein, ich müsste nach Indien! Der Inhalt meiner Sparbüchse reichte gerade bis Southampton. Dort fuhr ich heimlich hin und nahm auf einem Steamer der P. and O. eine Stelle als Stewardess nach Kalkutta an!“
Oh — eine Stewardess! Ich lehnte mich zurück. Ich war schockiert. Ich wurde sehr kühl und gemessen. Eine Stewardess — ich warf einen besorgten Blick in die Tempelhalle. Ich hatte da Seine Herrlichkeit den Lord Colum mit der Lady zu Gast, Seine Hoheit den Herzog von Massa-Carrara, den Admiral der Flotte Sir Flower mit seinen Töchtern, Madame Eleazar von der Pariser Bankgruppe, den guten alten Prinzen Tschebykin — wie konnte ich diesem ausgewählten Volk eine Stewardess zumuten?
„Da haben Sie also augenblicklich Urlaub von Ihrem Steamer?“ erkundigte ich mich frostig. Fräulein Ritter musste lachen. Sie schüttelte den Kopf.
„Das war nur eine kurze Episode, auf der Hinfahrt, gnädige Frau! Da hatten wir schon gleich hinter dem Roten Meer grobe See, und die alte Mrs. Adams, die mitreiste, war schwer seekrank, und ich betreute sie und brachte ihr Tee und machte ihr Brotschnittchen mit scharfem Senf zurecht — die behielt sie bei sich. Da gewann sie Gefallen an mir und hiess mich an ihr Bett sitzen und frug mich aus. Wie sie hörte, wer ich war und dass ich drei fremde Sprachen spreche, hat sie mich einfach als Reisebegleiterin weiter mitgenommen, und wir waren ein Vierteljahr in Indien und sind nun hier!“
Gott sei Dank! Ich habe innerlich aufgeatmet und gelächelt und gebeten:
„Erzählen Sie niemandem, meine Liebe, dass Sie Stewardess waren!“
„Ich mache sonst kein Hehl daraus!“ sagte Fräulein Ritter. „Arbeit schändet nicht! Aber ich kann mich ja hier darüber ausschweigen, wenn es Ihnen lieber ist!“
„Dank Ihnen! Und wer ist diese alte Mrs. Adams?“ Ich traute meinen Ohren nicht — ich war entzückt. „Die berühmte Theosophin? Oh — welch ein Gewinn für diesen Abend! Oh — fliegen Sie, meine Teure! Holen Sie sie her! Sagen Sie ihr, ich liesse sie inständig bitten! Ich . . .“
Aber zu meinem Erstaunen stand Fräulein Ritter mit unbehaglichem Antlitz auf und sagte unsicher:
„Das fällt mir leider erst jetzt ein! Es dreht sich mir ja alles im Kopf! Ich muss wirklich um Entschuldigung bitten! Mrs. Adams ist nämlich durchaus, dagegen, dass man die Pharaonen in ihrer Ruhe stört!“
„Oh — warum sollten wir nicht so tun?“ frug ich. „Die Eingeweide des Königs Scheschonk sind ja schon in Berlin. Nun werden wir auch den Rest auffinden und künftig kontrollieren! Es wird ein glorreiches Ding!“
„Mrs. Adams ist da anderer Ansicht, und ich bin natürlich ihrer Ansicht. Ich habe das Gefühl, dass ich mit einer solchen Ansicht nicht an dem Fest teilnehmen kann! Ich komme mir wie eine Art Spion vor!“
„Aber wieso denn?“ frug ich verwundert. „Wer wird sich denn so über einen Pharao aufregen, der einmal zur Zeit Karls des Grossen oder wann gelebt hat? Ich sehe Ihnen ja an, meine Liebste: Sie sind doch ein junges Mädchen! Sie wollen sich doch amüsieren! Sie blieben für Ihr Leben gern!“
„Das schon!“ gestand das hübsche Fräulein Ritter offenherzig. „Aber Mrs. Adams weiss ja gar nicht, wo ich geblieben bin . . .“
„Da die alte Lady Theosophin ist, weiss sie sicher schon durch Hellsehen, was hier mit Ihnen los ist! Aber Sie können es ihr ja noch zum Überfluss schreiben! Ich schicke den Brief durch einen Boten! Und nun kommen Sie, Liebe! Es sind noch Kostüme genug in der Garderobe drüben im Sethostempel. Es trifft sich gut. Eine Lady, die von Karthum herüberfliegen sollte, hat abgesagt. Es fehlt auf ihrer Schussliste noch ein weisser Mähnenaffe, für den sie von dem Generalgouvernement des Sudans die Erlaubnis bekommen hat! Das ist dieser oberflächlichen Frau wichtiger als hier das Fest! Das schöne für sie bestimmte Kleid ist frei! Damit putzen wir Sie jetzt als Königin heraus!“ Ich eilte und winkte dem Schlangenkopf, meiner Sekretärin. „Miss Short — nehmen Sie sich des deutschen Fräuleins an!“
Ich sah, als die beiden weg waren, unter meinen Gästen einen Gentleman, klein und ausdrucksvoll wie Napoleon, der sich nur einen weissen, mit Hieroglyphen bestickten Mantel über Frack und weisse Binde geworfen hatte. Denn Mr. Nothomb, dieser grosse Journalist zweier Erdteile, musste immer wieder mit seinem Wagen hinein nach Luxor zum Telegraphenamt, um seinen Teil der Weltpresse mit Funkspruch und Kabel zu bedienen. Ich stürzte auf ihn zu, ich schüttelte ihm die Hand.
„Oh — machen Sie mir einen schönen Festbericht für England und die Staaten!“ bat ich. Der grosse Mann konnte es mir versprechen. Durch meines Mannes Vorhaben auf das Scheschonk-Grab hatte Ägypten in diesen Tagen Anspruch auf Schlagzeilen auf der ersten Seite in der ganzen angelsächsischen Welt.
So konnte ich mich beruhigt abwenden und hatte nur noch den Brief, den inzwischen das Fräulein Ritter geschrieben, an die berühmte alte Geisterseherin in Luxor zu schicken. Der Bote brachte nach kurzem einen Brief von der alten Lady an das Fräulein als Antwort zurück. Ich schickte ihn hinüber in den Sethostempel, wo sie von einer Anzahl von geschäftigen Händen in aller Eile in irgendeine Pharaonin verwandelt wurde.
Ein Zettel der Theosophin Jane Adams an ihre Reisebegleiterin Sabine Ritter
Die Unsichtbaren sehen. Die Ameisen in dem Ameisenhaufen, über dem ich stehe, sehen mich nicht, weil ich für sie zu gross bin. Aber ich sehe sie. Es ist vieles für die Menschen zu gross.
Ich habe mich eben darüber längere Zeit mit meinem seligen Mann unterhalten. Die Klopftöne kommen hier in dem Hotel recht gut und rein.
Als ich hörte, dass Sie in Karnak seien, wusste ich schon, dass Sie da draussen bleiben würden, Kind! Bleiben Sie nur! Rings um uns ist die uns verschlossene erweiterte Welt. Tausend Augen, die wir nicht schauen, beobachten aus anderen Dimensionen unser Tun und Treiben und betrachten augenblicklich euern Totentanz im Tempel und werden schon das Weitere veranlassen.
Nicht gegen Sie! Sie sind durch mich zu der wirklichen Welt bekehrt, die über die dritte Dimension hinausgeht! Also machen Sie mit reinem Herzen das Fest der Frevler mit, in dem festen Glauben, dass das ist, was nicht ist. Dann kann selbst Ägypten Ihnen nichts anhaben!
Aber eines müssen Sie mir versprechen: Sie sind Gast des Herrn Konrad Sanders. Zeigen Sie dieser modernen Hyäne der Grüfte diesen Brief — das heisst das, was ich, eine alte Frau von siebzig Jahren, nur schnell aus dem Stegreif, aus dem Gedächtnis, wie es mir gerade einfällt, als letzte Warnung einer besorgten Geisterfreundin, um ein neues Unglück wie das des Tutanchamen zu verhüten, hier für ihn anfüge:
Dass von den sechzehn Mitgliedern der Expedition Carnavon, die in diese Königsgruft eindrangen, jetzt nach einer kurzen Reihe von Jahren nur noch zwei am Leben sind, das ist eine Tatsache, die jedem Skeptiker bekannt sein muss. Denn sie ist oft genug durch die Presse aller Länder gegangen.
Aber die in Stein gehauene tote Viper, die sich im Innersten des Tutanchamen-Grabs an der linken Seitenwand des letzten Durchgangs um einen erwürgten Menschenvogel — die Hieroglyphe „Seele“ — windet, weist noch auf viele andere Opfer menschlichen Vorwitzes hin.
Der südafrikanische Millionär und Seefahrer Woolf Joel erlag, kurz nachdem er im Grab des Tutanchamen gewesen, einer Gehirnlähmung. Die Gräfin Waddington machte freiwillig ihrem Leben ein Ende. Ebenso Lord Westbury. In den letzten Zeilen, die er vorher niederschrieb, war zu lesen: „Ich kann das Furchtbare nicht mehr aushalten! Ich muss Schluss machen!“
Читать дальше