Abb. 4-16Intrasulkuläre Primärinzision mit vertikaler Entlastung bei einem Dreieckslappen.
Abb. 4-17Paramarginale Primärinzision mit vertikaler Entlastung bei einem Dreieckslappen.
Abb. 4-18Papillenbasisinzision als Primärinzision mit vertikaler Entlastung bei einem Dreieckslappen.
Neben der Schnittführung spielen aber auch der Druck bei der Lappenmobilisation durch das Raspatorium auf den marginalen Knochen, die Expositionszeit des Knochens (45 bis 90 Minuten) sowie die Dehydration des Lappens eine maßgebende Rolle 1 , 2 .
Abszessinzisionen
Submuköse Abszesse durch akute Exazerbation einer Infektion müssen im Rahmen der Notfallbehandlung inzidiert und drainiert werden. Lokalisation und Richtungsverlauf der Inzision müssen hierbei gut überlegt werden, sodass nach Abklingen der akuten Infektion an der Inzisionsstelle noch weitere oralchirurgische Eingriffe mit Lappenbildung möglich sind. Daher sind horizontale Inzisionen an der künftigen Lappenbasis zu vermeiden, da diese die Lappenvaskularisation negativ beeinflussen.
Primär sollten vestibuläre submuköse Abszesse im Oberkiefer eher über eine vertikale Inzision im Bereich der künftigen Schnittführung eines Lappens und palatinal über eine intrasulkuläre Inzision eröffnet werden ( Abb. 4-19und 4-20). Befindet sich die Inzisionsstelle nicht unmittelbar am Abszess, muss stumpf ein Zugang mit dem Raspatorium unter stetigem Knochenkontakt bis zum Abszess hin präpariert und dieser gespreizt werden. Allerdings sind palatinale Abszesse häufiger median gelegen und durch die Wölbung des Palatum durum für eine stumpfe Präparation schlecht zugänglich, sodass in diesen Fällen (para-)marginale Inzisionen oder solche am Punctum maximum zulässig sind ( Abb. 4-21). Dabei muss der Verlauf der Arteria palatina berücksichtigt werden. Zur Not kann die künftige Inzisionsstelle mit einer Kanüle punktiert werden, um eine mögliche Überkreuzung der Inzision mit der Arteria palatina auszuschließen.
Abb. 4-19Submuköser Abszess (hier blau markiert) ausgehend vom Zahn 22 mit Einzeichnung der vertikalen Inzision im Bereich der künftigen Schnittführung bei Lappenbildung.
Abb. 4-20Einzeichnung der intrasulkulären Abszessinzision bei einem palatinal befindlichen submukösen Abszess (hier blau markiert) ausgehend vom Zahn 28.
Abb. 4-21In Ausnahmefällen kann ein schlecht zugänglicher Abszess im palatinalen Bereich (hier blau markiert) durch eine marginale Inzision oder am Punctum maximum unter Berücksichtigung der Arteria palatina eröffnet werden.
Im Unterkiefer sind generell intrasulkuläre Inzisionen zu bevorzugen, um Blutgefäße und Nerven im Bereich des Foramen mentale sowie des Mundbodens, ebenso wie die mimische Muskulatur am Mentum zu schonen ( Abb. 4-22). Auch hier wird der Abszess letztlich durch eine stumpfe Präparation mit dem Raspatorium via intrasulkuläre Inzision eröffnet ( Abb. 4-22).
Abb. 4-22Paramandibulärer Abszess (hier blau markiert) ausgehend vom Zahn 36 mit Einzeichnung der intrasulkulären Inzision.
Nach Eröffnung und Spreizung des Abszesses wird das Innere mit einem Antiseptikum gespült, bis ein klarer Rückfluss sichtbar ist. Im Anschluss erfolgt die Insertion einer Drainage. Hierbei können Silikonröhrchen mit einer Naht fixiert oder jodoformhaltige/vaselinierte Baumwollstreifen inseriert werden, um einen postoperativen Pusabfluss zu gewährleisten. Nach der Inzision muss ein odontogener Fokus zeitnah therapiert werden. Bei submukösen Abszessen mit Ausbreitungstendenz (ausgeprägte extraorale Schwellung, reduzierte Kieferöffnung, Druckschmerz am Kieferwinkel oder Augenwinkel, reduzierter Allgemeinzustand, Schluckbeschwerden oder Fieber) oder bei allgemeinmedizinischer Indikation wird adjuvant eine systemische Antibiotikagabe empfohlen (in der Regel Amoxicillin mit Clavulansäure, bei Penicillinallergie Clindamycin). Die erste Kontrolle sollte am Folgetag stattfinden. Das Prozedere der lokal antiseptischen Maßnahme inklusive Drainagewechsel, falls ein Baumwollstreifen inseriert wurde, wird täglich wiederholt, bis kein Pus mehr austritt.
Weichgewebslappen und Mobilisationstechniken
Bei den meisten oralchirurgischen Eingriffen erfolgt der operative Zugang über einen Weichgewebslappen. Dabei werden die Lappen nach ihrer Gewebezusammensetzung (Mukoperiostlappen, Mukosalappen), nach ihrer zukünftigen Lage (apikaler, koronaler oder lateraler Verschiebelappen) sowie nach ihrer Form (Trapezlappen, Dreieckslappen) benannt.
Beim Mukoperiostlappen, auch Volllappen genannt, wird das gesamte Weichgewebe, welches aus Epithel, subepithelialem Bindegewebe und Periost besteht, mit einem Raspatorium von der knöchernen Unterlage gelöst ( Abb. 4-23und 4-24). Dies wird vereinfacht, wenn sich die Inzisionen, die den Lappen definieren, leicht überschneiden, damit der Lappen sauber abgelöst werden kann. Erfolgt lateral der Primärinzision nur eine vertikale Entlastung, handelt es sich um einen Dreiecklappen, bei zwei vertikalen Inzisionen um einen Trapezlappen. Beim Trapezlappen sollte auf eine ausreichend breite Lappenbasis geachtet werden, damit postoperativ eine suffiziente Lappenvaskularisation gewährleistet ist. Bezüglich der Blutversorgung gilt: Im Oberkiefer erfolgt die Vaskularisation von kranial nach kaudal und im Unterkiefer von distal nach mesial. Sind bereits Narben an der künftigen Lappenbasis vorhanden, ist eine großzügigere Extension des Lappens indiziert.
Abb. 4-23Trapezförmiger Mukoperiostlappen nach Inzision.
Abb. 4-24Nach Ablösen des Mukoperiostlappens von seiner knöchernen Unterlage.
Nach der Inzision wird der Mukoperiostlappen an den Ecken mit einem feinen Raspatorium vorsichtig von der knöchernen Unterlage mit wenig Druck abgehoben und nach apikal mobilisiert ( Abb. 4-25). Das scharfe Arbeitsende des Raspatoriums sollte dabei immer zum Knochen hin ausgerichtet werden. Risse oder Quetschungen der Weichgewebe sind zu vermeiden, da diese postoperativ zu ausgeprägteren Schwellungen und Schmerzen führen. Zudem verursacht hoher Druck durch das Instrument auf den marginalen Knochen Rezessionen. Daher empfiehlt sich gerade im ästhetischen Bereich, den Lappen durch eine tunnelierende Technik von lateroapikal der mukogingivalen Grenze nach koronal zum Sulkus hin zu mobilisieren ( Abb. 4-26und 4-27) 1 .
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