„Rosen haben Sie wohl lange nicht mehr gesehen?“
Wieder nickte Peter und kam mit seinem Gesicht ganz nahe an ihr duftendes Haar. Sie befestigte noch immer die Blume und hatte den Kopf etwas nach vorn gebeugt. Er sah den weissen Nacken und schloss die Augen.
„Die sollen Sie jetzt öfter haben,“ sagte die Dame.
Peter hörte es kaum. Ihm war schon ganz heiss. Er streckte die Arme aus, seine Knie zitterten. Langsam glitt sein Kopf nach vorn und seine Lippen küssten das weiche Haar, das sie kaum berührten.
„Aber! aber!“ sagte die Dame leise und trat unauffällig von ihm weg. Peter verharrte in seiner Stellung. Die Arme ausgebreitet, den Kopf nach vorn gebeugt, stand er, schwer atmend, mit geschlossenen Augen da.
„Herr Oberleutnant!“ durchschnitt es schrill wie eine Granate die Luft und traf Peter, der einen Augenblick lang am ganzen Körper zitterte und dann wie leblos zu Boden fiel.
Die Aufmerksamkeit war erregt. Niemand hatte von dem Vorgang etwas bemerkt ausser der Dame, die Takt und Ruhe wahrte, dem Arzt, der in nächster Nähe, und dem rangältesten Offizier, der in einiger Entfernung stand.
„Wie dumm!“ dachte die Dame und schüttelte den Kopf.
„Hätte sie ihn an die Hand genommen und auf ihr Zimmer geführt — noch heute wäre der arme Reinhart gesund geworden!“ dachte der Arzt.
„Skandal! ein Skandal!“ rief der rangälteste Offizier und stürzte, ohne sich um Peter zu kümmern, auf die Dame zu. Dann nahm er Stellung an, legte die Hand an die Mütze und sagte: „Verzeihen, Gnädigste, diesen ganz unerhörten Vorfall. Der Herr Oberleutnant wird sich bei Ihnen entschuldigen und auf das allerstrengste bestraft werden.“
Neugierig standen alle herum.
„Aber ich weiss gar nicht,“ sagte die Dame und suchte Peter zu retten. „Was ist denn eigentlich vorgefallen?“
„Ja, haben Gnädigste denn nicht bemerkt?“
„Was?“ fragte die Dame.
Der Offizier sah dupiert erst die Dame, dann die Menschen an, die ihn neugierig umstanden.
Der Arzt rettete die Situation und sagte:
„Der Herr Oberstleutnant glaubte, dass der Offizier Sie beim Fall berührt oder gar verletzt habe.“
Arzt und Dame verständigten sich sofort durch einen Blick.
„Der arme Mensch ist krank,“ sagte er. „Und statt ihn zu bestrafen, sollte man lieber dafür sorgen, dass er gesund wird.“
„Dafür scheint mir dieser Oberst kaum der richtige Mann zu sein,“ erwiderte die Dame.
„Gewiss nicht! Aber auch der Arzt vermag hier nicht zu helfen.“
„Hat er keine Familie? Keine Eltern?“
„Gewiss! eine sehr kluge und liebevolle Mutter. Aber auch hier hilft nur eins.“
„Nämlich?“
„Die Frau!“
Die Dame errötete — oder sie tat doch so. Jedenfalls sah sie zur Erde, und da der Arzt schwieg, so fragte sie:
„Jede Frau?“
„Nein! Eine bestimmte! Oder doch ein bestimmter Typ. Eine, bei der sich — wie soll ich sagen? — der Funke entzündet,“ er schwieg, dann sagte er mit gedämpfter Stimme: „Wie es bei Ihnen der Fall war.“
Was er noch sagte, hörte sie kaum. „Die Schmerzen, an denen er leidet, können nur durch eine grosse Leidenschaft enden. Das grosse Mitleiden mit andern, das ja der selbstloseste aller Schmerzen ist, kann nur durch das egoistischste Empfinden, die Liebe, geheilt werden.“
„Ein interessanter Fall, jedenfalls!“ sagte die Dame, die ihn gar nicht verstand.
„Interessant genug, um sich mit ihm zu befassen,“ erwiderte der Arzt und stellte sich vor.
„Wer ist er?“ fragte die Dame.
„Dr. von Reinhart, aus einer der ersten Berliner Familien. Er war Regierungsassessor in Südwest; in Dahomey gefangen.“
„O Gott, der Aermste!“
„Unter den dortigen Eindrücken steht er noch heute. Sie müssen durch andere, stärkere, ersetzt werden.“
„Ich verstehe,“ sagte die Dame.
Der Arzt musste lächeln und sagte:
„Nun also.“
Sie waren vor dem Hotel stehen geblieben
„Wollen wir nicht hineingehen?“ fragte die Dame.
Der Arzt trat einen Schritt zur Seite und sagte:
„Bitte!“
Die Dame ging ein paar Schritte hinauf, dann blieb sie stehen, sah sich um und sagte zu dem Arzt:
„Ja, wo bleiben Sie denn, Herr Doktor?“
„Ich?“ erwiderte der und tat erstaunt. „Ich sagte Ihnen doch, gnädige Frau, dass der Arzt hier nicht helfen kann.“
Sie lächelte und sagte:
„Nun, dann muss ich eben allein gehen.“
Sie nickte ihm noch einmal zu und eilte dann rasch die Treppen hinauf.
Der Arzt sah ihr nach und lachte.
Mit rotem Gesicht und offensichtlich noch immer in grosser Erregung stürzte der Oberst auf ihn zu.
„Was sagen Sie nur zu der Blamage!“ rief er laut. „Ein deutscher Offizier vergisst sich derart!“
„Aber, Herr Oberst!“ suchte der Arzt ihn zu beruhigen. „Die Sache ist ja nicht halb so schlimm.“
„So?“ widersprach der Oberst. „Die Dame gehört zur allerbesten Gesellschaft. Meine Frau und ich verkehren mit ihr. Ihr Mann steht an einflussreicher Stelle! Wenn das einen Skandal gibt! — Wie fangen wir es nur an, ihr Genugtuung zu verschaffen? Seine Bestrafung allein wird ihr nicht genügen!“
„Genugtuung?“ wiederholte der Arzt und sah den Obersten gross an.
„Ja!“ wiederholte der mit martialischer Geste.
„Herr Oberst können beruhigt sein. Die verschafft sie sich bereits selbst.“
Der Oberst riss den Mund auf und sagte:
„Wa ...?“
Der Arzt legte die Hand an die Mütze, liess den Oberst stehen und verschwand.
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