Rebuscini trug noch die Uniform eines Taxifahrers. Er warf sich in einen Sessel und verlangte einen Whisky. DiMaggio beeilte sich, seinen Wunsch zu erfüllen.
Der entlassene Zuchthäusler kippte das scharfe Getränk hinunter und starrte dann Scarelli an.
„Wer ist das?“ erkundigte er sich.
„Louis Scarelli“, sagte Tony schnell. „Ein Freund von mir. Er ist okay.“
„Will ich hoffen. Wenn nicht, gebe ich ihm nicht mal ’ne Chance, es zu bereuen.“
Rebuscini nahm sich eine Zigarette aus der Packung. Scarelli gab ihm Feuer.
„Also, Jungs“, sagte Rebuscini, „damit es keine Irrtümer gibt: Ab sofort bin ich der Boß. Wenn einer aussteigen will, hat er jetzt seine letzte Chance.“
Wie wär’s mit ’ner Andeutung, was du vorhast“, sagte Scarelli.
„Das kannst du haben. Nehmen wir mal an, du hast einen ganz intimen Feind, dem du eine Menge Ärger verdankst. Was würdest du tun?“
Scarelli drückte sich vornehm aus.
„Ich würde den Burschen unschädlich machen.“
Rebuscini, grinste.
„Sehr gut. Du hättest keine Angst, dabei hereinzufallen?“
„Ich habe vor niemandem Angst. Kann ich mir gar nicht leisten“, brüstete sich der Gangster.
„Vor niemandem? Denk mal scharf nach.“
„Worauf willst du hinaus?“
„Ich will es ganz konkret sagen. Angenommen, dein Feind ist von Beruf Privatdetektiv!“
„Die Brüder kenne ich“, ereiferte Scarelli sich. „Die mögen ganz brauchbar sein, wenn es darum geht, in einem Scheidungsprozeß aufzutreten und Ehemänner auf Seitensprüngen zu erwischen. Dazu gehört nicht viel. Aber wenn es wirklich mal hart auf hart geht, sind sie nicht viel wert.“
„Würdest du das auf alle Privatdetektive von New York beziehen?“
Scarelli kapierte noch immer nicht. Tony DiMaggio mischte sich ein.
„Was Luigi meint, ist ganz einfach. Schon mal von der Gun Hill Road gehört?“
„Liegt in Bronx. He, langsam kapiere ich. Das kann doch nicht dein Ernst sein!“
„Ist es aber!“
„Kommissar X?“ fragte Scarelli.
Rebuscini nickte.
„Jetzt liegst du richtig.“
„Jo Louis Walker, der gefährlichste Bulle dieser Stadt. Warum willst du nicht gleich auf den Everest steigen?“
„Ich bin kein Bergsteiger, Scarelli. Aber ich bin der Mann, der Kommissar X so klein machen wird, daß du ein Vergrößerungsglas brauchst, um ihn noch zu erkennen. Ich weiß, das ist kein Kinderspiel. Eine Menge Leute haben das versucht und sind dabei reingefallen. Daraus habe ich gelernt. Mit den üblichen Methoden darf man es bei Walker nicht versuchen. Deshalb habe ich mir etwas Neues ausgedacht. Und ich bin sicher, daß es klappt. Die Sache ist für uns praktisch ohne Risiko und wird uns einen Haufen Geld einbringen.“
Scarelli hob unbehaglich die Schultern.
„Das gefällt mir gar nicht. Wenn es sich einmal so ergeben würde, würde es mir nichts ausmachen, mich mit Walker anzulegen — aber freiwillig Jagd auf einen Bullen zu machen, das ist Unsinn. Was hast du gegen Walker?“
Rebuscinis Gesichtszüge wurden hart.
„Ich verdanke ihm drei Jahre Scranton.“
Es folgte eine Pause, in der die drei Männer schweigend rauchten.
Scarelli überlegte, ob er noch ohne Risiko aussteigen konnte. Er hatte nicht die geringste Lust, hier mitzumachen, aber er wußte, daß es schon zu spät war.
Rebuscini beobachtete ihn.
„Also?“ fragte er.
„Ich mache mit“, sagte Scarelli mürrisch. Plötzlich überzog ein Grinsen sein Gesicht.
„Boys“, sagte er erregt, „vielleicht klappt das wirklich. Das wäre dann allerdings die größte Bombe des Jahres.“
„Hundertprozentig klappt es“, sagte Rebuscini. Er war sich seiner Sache ganz sicher.
Er hatte auch einigen Grund dafür.
Der Himmel über New York war grau wie ein Arbeitsbeginn am Montagmorgen; dazu lag Schneematsch auf den Straßen. Die Autos ließen zu beiden Seiten Schlammfontänen aufsteigen. Es war ein Tag, der nur den Inhabern chemischer Reinigungen Freude machte.
Jo Walker, der Mann, der unter dem Namen Kommissar X bekannt geworden war, stand am Fenster seines Appartements in der Gun Hill Road 234. Jo hatte an diesem Morgen zufällig frei. Wenn das wirklich mal passierte — im Jahr durchschnittlich dreimal — pflegte spätestens um elf das Tetefon zu läuten.
Jo wandte sich um und sah mißtrauisch auf den weißen Kasten. Dann peilte er die Tür an. Er hatte vor, ins Plaza zu fahren und dort ein paar Freunde zu treffen.
Als er die Türklinke in der Hand hatte, erwischte ihn das Telefon.
Jo nahm resigniert den Hörer ab.
„Hallo?“
„Spreche ich mit Mr. Walker?“
„Das tun Sie!“
„Mein Name ist Clayton, von Clayton und Anderson.“ Der Anrufer sang den Namen wie einen Psalm herunter.
Jo überlegte kurz und hatte sofort den richtigen Anschluß. Clayton und Anderson gehörte das teuerste Juweliergeschäft in Long Island. Die Firma war so exklusiv, daß sie keinerlei Schaufenster und Reklame hatte. Sie residierte in einem hundertfünfzig Jahre alten Landhaus.
„Wo brennt’s, Mr. Clayton?“ fragte Jo.
Die Stimme des Juweliers überschlug sich fast.
„Man hat mir heute morgen einen meiner wertvollsten Steine gestohlen. Ich bin fassungslos, Mr. Walker; es handelt sich um einen Diamanten im Wert von zehntausend Dollar. Dabei habe ich keine Ahnung, wer es war und wie es geschah. Ich weiß nur, daß der Stein weg ist. Sie müssen sofort kommen.“
Jo überlegte einen Augenblick.
„Habe ich nicht schon mal für Sie gearbeitet?“
„Ja“, sagte Clayton. „Das ist schon ein paar Jahre her. Damals wurden mir Diamanten im Wert von hunderttausend Dollar geraubt. Also, können Sie kommen?“
Jo sah auf die Uhr.
„Ich bin um elf bei Ihnen.“
Er legte auf und verließ das Haus.
Draußen blies ein frischer Wind vom East River. Die Silhouette von Manhattan war in dem Grau kaum auszumachen.
Jo holte den 190 SL aus der Garage und nahm Kurs auf Long Island. Normalerweise schaffte er die Strecke in einer halben Stunde, aber in Corona geriet er in eine Verkehrsstockung, die ihn fünfzehn Minuten kostete. Als er den Wagen vor dem Haus des Juweliers abstellte, war der SL mit einer grauen Schlammschicht bedeckt.
Jo stellte den Kragen hoch und durchquerte den Park. Der Wind war stärker geworden.
Mr. Clayton erwartete ihn in der Tür. Der Juwelier war klein und zierlich. Er hatte graues, gescheiteltes Haar und lebhafte Augen.
„Furchtbar nett, daß Sie bei dem Wetter gekommen sind“, sagte er und gab Jo die Hand.
„Wo käme ich hin, wenn ich nur bei schönem Wetter arbeiten wollte“, erwiderte Jo und sah sich um.
Das Landhaus war noch ganz altes Neu-England: holzgetäfelte Wände, geschnitzte Marmorkamine, Stuck an den Decken. Clayton führte ihn in den Verkaufsraum.
Der Raum war vergleichsweise schlicht ausgestattet. Ein paar zierliche Sessel. An einer Wand unter einer Reihe von alten Stichen zwei Verkaufsvitrinen. Was dort im Lampenlicht blitzte, war allerdings nur mit sechsstelligen Zahlen abzutaxieren.
Clayton öffnete eine der Vitrinen und nahm ein Tablett heraus. Es zeigte eine Kollektion Diamanten.
„Hier lag der Stein, der größte von allen. Er ist verschwunden“, sagte der Juwelier erregt.
Jo betrachtete nachdenklich die Sammlung.
„Hatten Sie heute früh Besuch von Kunden?“ fragte er.
Clayton nickte.
„Es waren zwei Käufer da. Ein Herr und eine junge Dame.“
„Erzählen Sie“, sagte Jo.
„Der Herr kam etwa um neun Uhr. Er machte einen ausgezeichneten Eindruck.“
„Kennen Sie seinen Namen?“
„Er nannte sich Miller. Er behauptete, ein guter Freund von John Reston zusein. Mr. Reston ist ein alter Kunde unserer Firma. Er wohnt hier in der Nähe.“
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