Loren lehnte sich zu Chastity hinüber und flüsterte: »Omi Kurita hier auf Northwind. Es muss um etwas Wichtiges gehen, etwas wirklich Großes.« Noch vor wenigen Jahren, vor der Ankunft der Clans, wäre es undenkbar gewesen, dass ein Mitglied des draconischen Herrscherhauses sich auf Northwind zeigte, einer Welt, die das Kombinat im 4. Nachfolgekrieg angegriffen und zu erobern versucht hatte. Die Zeiten hatten sich wahrlich geändert, und die Highlanders ebenfalls.
Chastity nickte. »Sie haben ausdrücklich um ein Treffen hier statt auf Outreach gebeten.« Outreach war eine Welt, auf der Söldner von nah und fern unter der Aufsicht der Söldnerprüfungs- und Vertragskommission neue Auftraggeber suchten. Gleichzeitig war der Planet die Heimatbasis von Wolfs Dragonern, jener berühmten Söldnereinheit, die ursprünglich aus dem Clan-Raum stammte, und den Militärs der Inneren Sphäre zu vermitteln versucht hatte, wie sie gegen die scheinbar unbesiegbaren Invasoren bestehen konnten. Dass Theodore Kurita die üblichen Anwerbekanäle und -verfahren umgangen hatte, war in der Tat bemerkenswert.
Omis Haltung war aufrecht, aber entspannt. Sie ließ ihren Blick durch den Saal schweifen, dann richtete sie ihn wieder auf den Tisch der Obersten. »Mitglieder der Northwind Highlanders und geehrte Kommandeure der Einheit, ich überbringe Ihnen herzliche Grüße aus dem Draconis-Kombinat, von Koordinator Theodore Kurita.«
»Domo arigato, Kurita Omi-sama«, bedankte sich Oberst Cochraine. »Dies ist das erste Mal in der Geschichte, dass die Versammlung der Krieger eine Repräsentantin des Kombinats empfängt, und Ihre Anwesenheit hier markiert ohne Zweifel den Beginn einer neuen Ära in den Beziehungen unserer Völker. Wir sind geehrt, hier auf Northwind eine Besucherin von solcher Bedeutung als Gast willkommen zu heißen.«
Loren war sich bewusst, wie korrekt die Worte des Obersten waren. Northwind hatte erst vor Kurzem seine endgültige Unabhängigkeit vom Vereinigten Commonwealth erreicht, wenn auch noch unklar war, ob Victor Davion diesen neuen Status anerkannte. Omi Kuritas Besuch bekräftigte die Selbständigkeit, auch wenn es sich nicht um einen offiziellen Staatsbesuch handelte.
Das Vereinigte Commonwealth - was noch davon übrig war - und das Kombinat hatten das Kriegsbeil begraben, seit sie sich von einem gemeinsamen Feind bedroht sahen. Nur ein Narr konnte glauben, Theodore Kurita hätte seine Tochter hierher nach Northwind geschickt, ohne Prinz Victor Davion vorher rechtzeitig von seiner Absicht zu unterrichten. Möglicherweise war Victor bereit, diesen Bruch diplomatischer Gepflogenheiten vor seiner Nase zu übersehen, weil er wusste, dass es um eine Mission gegen die Clans ging.
»Oberst Senn, ich selbst ebenso wie der Koordinator begrüßen Ihre Worte. Ich versichere Ihnen, dass wir Ihre neugewonnene Unabhängigkeit nicht als Bedrohung empfinden, sondern als Gelegenheit, einander besser kennenzulernen.« Omi sprach beherrscht und bedächtig. »Der Koordinator übersendet den Northwind Highlanders ein Gastgeschenk, als eine Geste guten Willens.«
Sie schnürte ein Tuchbündel auf, das Sho-sa Horner ihr reichte. Das Tuch war rot und gelb, mit einem grünen Außenrand. Im oberen Teil des Banners war ein auf der Spitze stehendes Dreieck zu sehen, über dem die grün gefärbte Silhouette eines Dudelsackspielers lag - das Einheitssymbol des 1. Kearny-Regiments. Als Omi Kurita die Fahne in die Höhe hielt, so dass alle Anwesenden sie sehen konnten, wurde deutlich, dass es sich um ein Heerzeichen handelte, eines der Banner, die im Feld über einem Befehlsstand wehten. Dieses war alt, verblichen und in einer Ecke eingerissen.
»Dieses Heerzeichen gehörte einst Ihren 1. Kearny Highlanders. Unsere Streitkräfte konnten es in der Schlacht um Lincoln 2802 erbeuten. Der Sieg in einem Kampf gegen die Northwind Highlanders hat unsere Truppen mit großem Stolz erfüllt. Der Koordinator hat mich gebeten, es als Geste des guten Willens von ihm persönlich und der Bevölkerung des Draconis-Kombinats seinen rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben. Und er hat mich gebeten, Ihnen darüber hinaus diese Botschaft zu übermitteln: Mögen wir uns nie wieder auf verfeindeten Seiten gegenübertreten, sondern zusammen gegen unseren gemeinsam Feind marschieren. Wir beide sind Völker, die Ehre unter Kriegern zu schätzen wissen. Bitte nehmen Sie dies im Namen dieser Ehre an.«
›Unser gemeinsamer Feind ...‹ Die Clans.
Oberst Senn verließ seinen Platz und trat langsamen, gemessenen Schritts hinüber zur Tochter des Koordinators. Es war sein Regiment, das die Standarte Jahrhunderte vor seiner Geburt bei den Kämpfen auf Lincoln verloren hatte. Er nahm das antike Banner und legte es ehrfürchtig über einen Arm. Dann stand er eine lange Zeit reglos vor Omi Kurita und sagte kein Wort. Als er sich schließlich verbeugte und die Hand der jungen Frau küsste, erhob sich von den Reihen der versammelten Krieger spontaner Beifall. Auch Loren stimmte darin ein, ebenso wie Mulvaney.
Der Applaus verklang, als Oberst Senn auf seinen Platz zurückkehrte und das Banner wie eine heilige Reliquie vorsichtig vor sich ausbreitete. »Bitte übermitteln Sie dem Koordinator im Namen der Northwind Highlanders unsere tiefste Dankbarkeit für dieses Geschenk. Wir nehmen es im Namen derer an, die uns vorausgingen, als Ehrung nicht nur der Krieger vom Highlanderblut, sondern auch der ehrenvollen Samurai des Draconis-Kombinats.«
Es war Oberst Stirling, die den formellen Ton durchbrach. Sie war bekannt für ihre Rolle der wilden, unberechenbaren Rebellin. »Alle Ehrre dem Geschenk, da‘ Sie uns gebracht haben«, stellte sie mit einem stärkeren schottischen Schnarren in der Stimme fest, als bei ihr sonst üblich war. »Aber Sie haben noch etwas anderes mitgebracht, was fürr die Versammlung von Interesse ist. Sie sind gekommen, um einen Kontrakt auszuhandeln, hab ich nae recht?«
Loren grinste. Sie ist wirklich eine Katze. Sie setzt ihren Akzent bewusst dort ein, wo es ihr in den Kram passt, um ihre Opfer im Ungewissen zu lassen, mit wem sie es zu tun haben.
Auch auf Omis Gesicht war ein schwaches Lächeln zu erkennen, wie eine Bestätigung dessen, was sie von Stirling erwartet hatte. »So ist es, Oberst Stirling. Ich bin gekommen, um den Northwind Highlanders einen Kontrakt anzubieten. Sho-sa Horner von der Genyosha wird Ihnen die Einzelheiten der Mission erläutern.« Sie reichte Oberst Stirling eine kleine Laserdisk, die diese in die Lehne ihres Sessels steckte. Dann trat Omi Kurita beiseite, und Horner kam nach vorne. Auf den Tischbildschirmen vor den Offizieren erschienen Karten und Anzeigen zur Durchsicht.
»Wie Sie wahrscheinlich wissen, arbeitet der Koordinator seit einiger Zeit bei dem Versuch mit ComStars Explorerkorps zusammen, die Heimatwelten der Clans zu finden.« Ruth Horner sah hinüber zu der ComStar-Präzentorin, die bestätigend nickte. Es war nicht gerade ein Geheimnis, dass es Theodore Kurita einzig und allein darum ging, die Clans zu besiegen.
»Dadurch ist es uns gelungen, die Welt zu identifizieren, über die ich heute mit Ihnen reden möchte. Ihr Name ist Wayside V. Die topografischen Daten des Planeten finden Sie jetzt auf Ihren Monitoren.«
Zahlreichen Gesichtern im Rund des Saals war Verwirrung abzulesen, als Horner den Weltnamen nannte. Wayside? Loren hatte bisher immer gedacht, praktisch alle bewohnten Planeten der Inneren Sphäre zu kennen, aber von diesem hatte er noch nie auch nur gehört. Und nach den Mienen der Krieger ringsum zu schließen, stand er damit auch nicht allein.
Sho-sa Horner sah den Ausdruck auf den Gesichtern und reagierte prompt. »Mir ist klar, dass niemand von Ihnen jemals von Wayside V gehört hat. Das liegt daran, dass diese Welt nicht in der Inneren Sphäre liegt. Die Mission, die ich Ihnen heute anbiete, ist eine Gelegenheit, den Kampf ins Gebiet der Clans zu tragen.«
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