»Ja, aber doch alles in Maßen. Wo bleiben da die normalen Leute wie du und ich?«
»Hey, einen Moment«, lachte Prohaska. »Mein Körper ist fast perfekt, abgesehen von ein paar Schrammen.«
»Der Mensch ist keine Maschine und muss seine Schwächen und Fehler akzeptieren.«
»Und jeder sollte die Freiheit haben, so zu leben, wie er möchte.«
»Amen«, sagte Ivo. »Mir stinkt es nur, dass uns die Werbung einreden will, perfekt sein zu müssen. Das ist doch total bescheuert!«
Sie philosophierten noch eine ganze Weile über die menschliche Natur, Dummheit, Schwächen und Stärken und landeten bei der allgemeinen Lage im Land und in der Welt. Und kamen wie immer zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis.
»Die Reichen und Korrupten kriegen den Hals nicht voll und die einfachen Leute werden noch ärmer, als sie es ohnehin schon sind. Was nützt es den Jungen, zu studieren, wenn sie danach keinen Job bekommen und ihre Alten keine Beziehungen oder kein Geld haben, um jemanden zu schmieren, der ihren Kindern eine Anstellung verschafft? Es ist unerträglich, wie korrupt und gewissenlos unsere Gesellschaft geworden ist. Egoisten, wo man hinschaut. Früher gingen die Männer in die Fremde, und wenn sie es sich leisten konnten, holten sie ihre Frauen und Kinder nach. Generationen von Gastarbeitern haben die westliche Wirtschaft hochgebracht. Und heute? Sie nehmen ihre Familien gleich mit. Es gibt Gegenden, wo ganze Dörfer fast leer sind und nur noch die Alten geblieben sind. Ach, hier geht alles den Bach runter und die Ganoven stopfen sich auf Kosten der Allgemeinheit die Taschen voll.« Ivo winkte genervt ab. »Aber, was reg’ ich mich eigentlich auf?«
Prohaska deutete auf den Laptop.
»Steht da etwas über die Brandursache?«
»Nein, aber ich wette, dass er mit einer brennenden Kippe eingeschlafen ist.«
Oder es hat jemand nachgeholfen, dachte Prohaska, doch laut sagte er: »Ich nehme an, dass sie in der Pressekonferenz auch nicht viel sagen werden und erst einmal den üblichen Aufruf an die Bevölkerung richten. Vielleicht hat jemand etwas Verdächtiges gesehen.«
»Ja, klar, da soll wie immer die Bevölkerung helfen. Die sollen lieber ihre Arbeit machen«, echauffierte sich Ivo.
»Das tun sie bestimmt.«
Ivo klappte den Laptop zu und klatschte in die Hände.
»Wie wär’s jetzt mit einem Kaffee?«
»Das wollte ich gerade vorschlagen.«
Sie gingen ins Hinterzimmer, in dem sich auf einer Seite eine Küchenzeile, ein Kühlschrank und ein Tisch mit zwei Hockern befanden. An der anderen Wand standen Metallregale, die als Warenlager dienten.
Prohaska füllte frisches Wasser in Bellos Napf, öffnete das Fenster, von dem man in den schmalen Innenhof zwischen den Häusern sehen konnte, bot Ivo eine Zigarette an, gab ihm Feuer und steckte sich selbst eine an.
»Ich bin sehr gespannt, was bei der Ermittlung herauskommt«, nahm Prohaska den Faden wieder auf, während Ivo den Kaffee kochte.
»Ach, jetzt auf einmal?«
»Ist nur eine alte Gewohnheit. Denn, falls es sich herausstellen sollte, dass der Brand doch kein Unfall gewesen ist …«
»… läuft jetzt ein Mörder frei herum.«
»So ist es, und das würde mir gar nicht gefallen.«
Ivo füllte die Tassen, stellte sie auf den Tisch und setzte sich.
»Sehe ich da etwa ein gewisses Glitzern in deinen Augen?«
»Was für ein Glitzern?«
»Na, das Jagdfieber.«
»Unsinn, ich denke nur laut nach.«
»Ja, natürlich.«
Prohaska lehnte sich zurück und starrte vor sich hin.
»Ich kenne das Lokal Plavi kormoran «, sagte er.
»Ich auch, vom Hörensagen.«
»Ich war schon mal da.«
»Davon hast du mir nichts erzählt.«
»Es gab auch nichts zu erzählen, aber jetzt doch im Nachhinein …«, Prohaska blies den Rauch in kleinen Kringeln weg. »Es war Ende März oder Anfang April. Ich war auf der UËka unterwegs, bin am Nachmittag nach Opatija gefahren und habe in einem Lokal einen Kaffee getrunken.«
»Im Plavi kormoran ?«
»Ich meine ja. Das Lokal und die Terrasse waren voll mit Leuten, die Musik ziemlich laut, deshalb bin ich auch nicht lange geblieben. Kurz nachdem ich bestellt hatte, setzten sich zwei Männer an den Nebentisch, der gerade frei geworden war. Irgendwie passten sie nicht recht zum Publikum. Sie sprachen Bayrisch oder Österreichisch, ich kann das bis heute nicht recht unterscheiden, und ich beachtete sie zunächst auch nicht. Erst als einer von ihnen sehr laut zwei Kaffee bestellte und den Kellner in fließendem Kroatisch fragte, ob Fritz, sein Chef, da sei, sie müssten ihn sofort sprechen, habe ich zu ihnen rübergeschaut. Sie sahen nicht unbedingt vertrauenswürdig aus.«
»Wie sieht man denn deiner Meinung nach vertrauenswürdig aus?«
Prohaska lachte. »Keine Ahnung. Vielleicht war es nur ein Impuls, eine Mischung aus Erfahrung und Intuition. Der Polizistenblick, was weiß ich. Sie trugen dicke Goldringe und Goldkettchen, redeten wenig und wenn, dann leise, starrten auf ihre Smartphones, rauchten und schauten sich immer wieder um. Einer wippte auf dem Sessel, der andere wackelte mit dem Knie, als würde er am liebsten abhauen.«
»Dass du dich daran erinnerst?«
»Als der Kellner ihnen den Kaffee brachte, bat ich ihn um die Rechnung. Da kam ein Mann aus dem Lokal und setzte sich so zu den beiden, dass ich ihn genau im Blick hatte. Er hatte eine Figur wie ein Bodybuilder, hatte gerötete Augen und wirkte irgendwie aggressiv.«
»Wieso haben die nach einem Fritz gefragt? Ich dachte, er heißt Miroslav.«
»Das ist die kroatische Fassung von Friedrich.«
»Ah, dann ist Miro ein Fritz? Was du so alles weißt?«, witzelte Ivo. »Und was wollten die?«
»Das weiß ich nicht, aber so frostig, wie die sich begrüßt haben, war es kein Freundschaftsbesuch.«
»Tja, und nun ist Miroslav H. tot.«
Prohaska schnippte mit den Fingern. »Er hieß Haller. Die haben ihn gesiezt.«
»Du hast ein erstaunliches Gedächtnis.«
»Es war schon mal besser.«
»Haller ist aber ein deutscher Name«, sagte Ivo.
»Ja, aber Miroslav kann genauso gut Österreicher, Schweizer, Kroate oder sonst was gewesen sein. Das muss ich dir jetzt nicht erklären, oder?«
»Nur, wenn der Herr Lehrer es wirklich möchte«, sagte Ivo und grinste. »Vielleicht waren die beiden seine Geschäftsfreunde, oder Verwandte.«
»Keine Ahnung«, murmelte Prohaska und wusste auf einmal, dass er dieser Frage nachgehen würde, auch wenn er sich den Grund nicht erklären konnte. Aber wo anfangen? Er könnte Inspektor Giovanni Rossi fragen. Doch das wollte er lieber nicht in Ivos Gegenwart tun. Der würde sich nur unnötige Sorgen machen. »Ach, lassen wir das Thema. Was hast du über diese Firma herausgefunden, die mich engagieren wollte?«
»Nicht viel. Wie es aussieht, sind die neu im Geschäft, wollen weltweit Ferienhäuser und Villen vermitteln, das Feinste vom Feinsten. Soll ich den Laptop holen?«
»Das mache ich später.« Prohaska drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und stand auf. »Ich muss noch einkaufen. Danke für den Kaffee.«
Bello flitzte in den Laden und setzte sich vor die Tür.
»Vielleicht kannst du nachher nach Ičići fahren«, sagte Ivo, als er ihn nach draußen begleitete.
Prohaska setzte die Sonnenbrille auf und grinste.
»Mal sehen, ich melde mich. Ciao!«
Auf dem Weg zum Markt an der Valdibora kam ihm eine Gruppe asiatischer Touristen entgegen. Die Einheimischen waren stolz darauf, dass ihre Stadt zu einem Sehnsuchtsort von Menschen aus aller Welt geworden war und im gleichen Atemzug mit Rom und Venedig genannt wurde. Die Stadtführerin schwenkte ein Plastikfähnchen und lächelte Prohaska an, reflexartig wie die Menschen, die ihr folgten. Ihr Kreuzfahrtschiff wartet bestimmt im Nordhafen und schon morgen werden sie durch Venedig latschen, dachte Prohaska, als er an einer Backstube Brot kaufte.
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