Während er seinen Geschäften nachging, hatte sie das Haus aufgeräumt, was er für eine Selbstverständlichkeit hielt. Dabei hatte sie jeden Winkel durchwühlt, und am Nachmittag endlich ihren Ausweis und das Handy in einer Werkzeugkiste im Abstellraum gefunden. Warum er die nicht in den Safe gelegt hatte, war ihr ein Rätsel.
Als er am Abend nach Hause kam und die Tür aufschloss, rannte sie ins Freie. Sie kam nicht weit. Er zerrte sie ins Schlafzimmer, warf er sie aufs Bett und vergewaltigte sie. Sie weinte nicht, hatte keine Tränen mehr, ließ es über sich ergehen und hasste ihn abgrundtief. Er drohte, sie umzubringen, wenn sie noch einmal versuchen sollte wegzulaufen. Nachdem er sich beruhigt hatte, drehte er sich auf die Seite und schlief ein.
Aber das war ein für alle Mal vorbei. Er wird sie nie wieder anfassen. Weder sie noch eine andere. Nie mehr.
Sie nahm ihre Sachen, ging rasch nach unten ins Wohnzimmer und zog sich im Schein der Handylampe an. Dann holte sie seinen Laptop, öffnete den Wandtresor, nahm die Geldbündel und das Samtsäckchen mit den Diamanten heraus und stopfte alles in ihren Rucksack. In einem Anflug von Größenwahn hatte Miroslav ihr tatsächlich gezeigt, wo er sein Geld hortete, und dabei stolz grinsend auch das Samtsäckchen in die Höhe gehalten. Es war einfach gewesen, sich den Code einzuprägen. Zweimal die Runde gegen den Uhrzeigersinn auf dem Tastenfeld. Als sie ihn gefragt hatte, ob er denn keine Angst habe, dass man ihn bestehlen könnte, hatte er nur gegrinst. Niemand würde es wagen, ihm etwas wegzunehmen, sie solle keinen Scheiß reden. Um seine Worte zu unterstreichen, hatte er ihr ohne Vorwarnung ins Gesicht geschlagen. Sie war rückwärts auf die Couch gefallen und als sie aufstehen wollte, hatte er sie nach unten gedrückt, sich zu ihr gesetzt und halbherzig um Entschuldigung gebeten. Er habe es doch nur gut gemeint. Sie solle ein braves Mädchen sein und keine Dummheiten machen. Er habe ihr auch etwas mitgebracht, sie solle sich einfach bedienen. Es sei mehr als genug da. Aber sie wollte kein Kokain. Er zog selbst eine Linie durch die Nase und trank Whiskey. Sie hatte ihm dabei stumm zugesehen und ihn innerlich verflucht. Danach hatte er sie wegen ihrer blutenden Unterlippe von hinten genommen. Doch daran wollte sie nicht denken.
Dass sie ihn bestohlen hatte, würde er nicht merken. Er wird überhaupt nichts mehr merken, dachte sie, während sie in ihre Turnschuhe schlüpfte und die Jacke anzog. Sie nahm seine Geldbörse, den Schlüsselbund und die Autoschlüssel und verließ das Haus. Der Nachtwind verfing sich im Geflecht der Zypressen, die wie düstere Wächter die Zufahrt säumten. Hinter einem der Bäume bewegte sich etwas, aber es war zu dunkel, um zu erkennen, was es war. Vielleicht bildete sie sich das nur ein, dachte sie und fuhr dann doch zusammen, als eine Fledermaus an ihr vorbeihuschte. In den Häusern oben am Hang schliefen die Menschen in ihren Betten. Niemand ahnte, dass sie hier war oder überhaupt existierte.
Sie rannte zum Schuppen, in dem sein schwarzer BMW X5 stand, öffnete die Fahrertür, sprang hinein und startete den Motor.
Die Nacht war ungewöhnlich kalt. Obwohl sie fröstelte, fuhr sie mit offenen Fenstern. Der Fahrtwind half ihr, klare Gedanken zu fassen.
Der schwarze Audi A8 rollte leise an den Straßenrand und hielt neben einem ausladenden Busch. Viktor schaltete den Motor aus und sah zu Karlović, der seine Zigarette im Aschenbecher zerquetschte und sich die Sturmmaske überstülpte. Die andere warf er Viktor zu und nickte.
Widerwillig zog Viktor das Ding an. Es war nicht richtig, dass sie hier waren, sagte er sich zum wiederholten Mal. Was sollte diese Aktion mitten in der Nacht? Die Sache ging ihn im Grunde nichts an. Wenn Karlović eine Rechnung zu begleichen hatte, dann sollte er sie mit dem anderen wie ein Mann klären und nicht wie ein Feigling.
Sie stiegen aus und rannten zum Schotterweg, der zum Haus führte. Viktor sah zu den Häusern weiter oben am Berghang und hoffte insgeheim, dass etwas passierte und sie gezwungen wären, die Sache abzubrechen. Er würde kein Wort darüber verlieren, niemals. Zu bescheuert das Ganze. Wie in einem Actionfilm, nur dass Karlović nicht Bruce Willis war, sondern ein Angeber, der andauernd von irgendwelchen Geschäften und einer Menge Kohle faselte, die er bald besitzen würde. Und natürlich würde Viktor ein Honorar für seine kleine Gefälligkeit bekommen, ist doch Ehrensache.
Viktor wollte aber kein Geld. Er hatte sich dazu nur überreden lassen, weil er den Mann, der in dem Haus da schlief, nicht ausstehen konnte. Aber ihn mitten in der Nacht zu überfallen, war idiotisch, nein, es war kriminell, und sie würden irgendwann dafür bezahlen müssen. Es wäre besser, umzukehren. Soll doch der Idiot zusehen, wie er in die Stadt zurückkam.
Im Gebüsch zirpte ein Zikadenmännchen und verstummte gleich wieder, da es keine Antwort bekam. Nachtfalter schwirrten im gelblichen Licht einer Straßenlaterne. Der Junimond verbarg sich hinter einer zerzausten Wolke. In den Lorbeerhecken raschelte der Wind und trug den Duft von Wildkräutern mit sich. In der Ferne glänzte silbern das Meer. Doch für den nächtlichen Zauber hatten die zwei maskierten Männer weder Interesse noch Zeit. Als sie auf den leicht abschüssigen Weg bogen und im Schatten der Zypressen weiterschlichen, zeichnete sich das Steinhaus am Ende der Allee ab.
»Mensch, pass auf«, knurrte Karlović, als Viktor auf einen trockenen Ast trat.
So ein schönes Haus hätte er auch gerne gehabt, dachte Viktor, während er die mit vier Marmorsäulen gesäumte halbrunde Treppe vor der Eingangstür betrachtete. Bis vor einem Jahr noch war es mehr oder weniger eine Ruine gewesen, an deren Mauern Eidechsen herumhuschten und Efeu und Flechten wucherten. Aber mit Geld lässt sich bekanntlich alles machen. Nicht, dass er neidisch gewesen wäre, aber manche Menschen schafften es einfach besser als andere, sich so etwas zu leisten. Und er gehörte eindeutig zu den anderen.
Karlović blieb abrupt stehen.
»Was ist da los?«
»Was meinst du?«
»Na da, im Erdgeschoss ist doch jemand, aber er kann uns nicht gesehen haben, wir sind zu weit weg«, flüsterte Karlović.
»Vielleicht solltest du die Sache lieber abblasen«, schlug Viktor vor.
»Kommt gar nicht infrage.«
Viktor drückte sich hinter eine Zypresse, die wie eine schwarze Lanze in den Nachthimmel ragte. Die Wolke löste sich auf und gab den Mond frei.
Im Haus ging das Licht aus.
»Ich gebe ihm zwei Minuten«, flüsterte Karlović.
»Ich warte aber unten.«
»Hast wohl Schiss, was?«
»Hab ich nicht.« Viktor gab sich Mühe, seine Stimme fest klingen zu lassen, aber sie bebte trotzdem. Er biss sich auf die Unterlippe und schwor sich, sobald diese Aktion vorbei war, würde er sich aus dem Staub machen. Karlović konnte ihn mal, mit dem wollte er nie mehr etwas tun haben. Der würde ihn noch tiefer in den Sumpf hineinziehen. »Das ist doch verrückt.«
»Ach, der Bub macht sich in die Hose«, höhnte Karlović.
»Blödmann«, murmelte Viktor.
Karlović fuhr herum und kam mit seinem nach Schweiß und Zigarettenrauch riechenden Schädel ganz dicht an Viktor heran.
»Was hast du gesagt?«
»Nichts. Ich mache so etwas zum ersten Mal.«
»Und? Da musst du durch. Und merkt dir eins: Erst wenn ich sage, dass du unten bleiben sollst, bleibst du unten, klar?«
»Ich bin ja nicht taub.«
Karlović murmelte etwas und schaute wieder zum Haus.
Als plötzlich die Tür aufging, hätte Viktor beinahe aufgeschrien.
»Wer zum Teufel ist das?«, fragte Karlović aufgebracht.
»Keine Ahnung«, erwiderte Viktor, doch er wusste, wer da zum Schuppen rannte.
»Miro ist es nicht«, sagte Karlović.
»Das war’s dann«, sagte Viktor und riss sich die Maske herunter.
Читать дальше