1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 „Das war sicher der Vater“, murmelte Sidse und sah entschuldigend zu Peder, in dessen Augen wieder der Zorn aufloderte, als ob er glaubte, sie meinte, dass das wohl auch ihm galt. Er sah aus, als könnte er jeden Moment zusammenbrechen.
Flash räusperte sich wieder. Er schaute auf die Uhr. Es war der Tag in der Woche, an dem er seine Kinder abholen sollte, erinnerte Anne sich, daher wurde er sicher allmählich ungeduldig.
„Ist es in Ordnung, wenn wir den Tisch filmen? Und wer von Ihnen möchte der Kamera erzählen, was passiert ist?“ Anne schaute von Tara zu Peder, aber beide schüttelten den Kopf.
Karen erhob sich bereitwillig. „Sie können mich interviewen. Es ist doch wohl okay, wenn Sie im Hintergrund am Tisch sitzen, oder?“
Die Eltern nickten.
„Die große Schwester soll auch ins Bild. Können Sie sie auf den Schoß nehmen?“
Die Großmutter hob das Mädchen, das gerade auf dem Boden mit einem der Ballons spielte, hoch und setzte es auf den Schoß seiner Mutter.
Anne nickte zufrieden. Sonst bestimmte sie normalerweise den Inhalt ihrer Beiträge und der Kameramann organisierte die Motive, doch Karen agierte sehr bestimmt und wusste sicher, was in so einer Situation wirkte. Jetzt ging es darum, Kontakt zum Zuschauer – oder dem Entführer – zu bekommen, und sie wirkte auch professionell, als sie sich vor der Kamera aufstellte und von der Taufe erzählte, die jäh abgebrochen worden war, als jemand entdeckte, dass der Kinderwagen mit dem Täufling aus dem Garten verschwunden war.
„Wir von Missing Children haben die erste Runde im Viertel übernommen und nach Spuren gesucht, später erweitern wir den Radius.“
„Falls der Entführer im Auto geflohen ist, gibt es doch nicht viel zu finden, oder?“, fragte Anne.
„In dem Fall können immer noch Spuren hinterlassen worden sein, die vielleicht zeigen, wo das Auto geparkt war und vielleicht hat irgendwo eine Überwachungskameraetwas Brauchbares eingefangen, sodass wir davon ausgehend leichter Zeugen finden.“
Anne nickte und war dankbar, dass sie selbst nicht mit im Bild war, damit die Leute ihre Skepsis nicht sahen. In diesem Viertel gab es sicher nicht viele Überwachungskameras und auch keine Tankstellen, Banken oder Supermärkte in der Nähe. Als sie fertig waren, dankte sie der betroffenen Familie und gab ihnen die Hand. Der Händedruck der Mutter war schlaff und kraftlos, aber sie zwang sich zu einem Lächeln, als Anne sie damit aufmunterte, dass die Sendung bestimmt einige dazu bringen würde, sich zu melden, wenn sie etwas gesehen hatten. Die Großmutter hatte ihre Enkelin wieder auf dem Arm und drückte das Mädchen fest an sich.
„Wenn Sie Lust haben, können Sie heute Abend mit suchen. Dann können Sie sehen, was wir machen“, bot Karen an, als Anne sich auf der Treppe von ihr verabschiedete.
Anne nickte eifrig. Das wollte sie sehr gerne.
Die weitere Meldung über ein vermisstes Baby war in der Notrufzentrale eingegangen. Außer der drei Monate alten Josefine Nørregaard war nun auch der gleichaltrige Emil Sønderskov verschwunden.
Anker Dahl musste sich einen Weg durch den Haufen Freiwilliger von der Organisation Missing Children bahnen, die den Eingang zum Polizeipräsidium blockierten. Sie sollten Bericht erstatten, wenn sie etwas fanden. Er hatte nichts gegen solche freiwilligen Organisationen, trotzdem war es irritierend, dass Amateure Ermittler spielten, und einige von ihnen waren zweifelsohne der Meinung, dass sie besser als die Polizei waren. Freundlich, aber bestimmt schob er einen von ihnen, der den Aufzug blockierte, zur Seite und eilte hinein, sobald die Tür aufglitt.
Er war dankbar, dass der Fall der verschwundenen Babys nicht zu seiner Abteilung gehörte. Anscheinend hatte der Vater eines der Kinder entführt und irgendwann verriet er sicher, wo er es versteckte. Solche elterlichen Streitigkeiten um das Sorgerecht in Scheidungsfällen waren immer häufiger geworden und in der Regel gingen sie gut aus – für einen der Partner jedenfalls. Er konnte es nicht ausstehen, wenn Kinder für diese Art Unstimmigkeiten benutzt wurden und hatte keine Ahnung, was er machen würde, wenn ihm das passierte. Falls Ann-Marie plötzlich die Scheidung und ihm Robin wegnehmen wollte. Glücklicherweise war das nicht zu befürchten.
Es war eine Erleichterung, in die Abteilung zu kommen, wo seine Mitarbeiter schweigend in ihre Arbeit vertieft waren. Nach dem Vorfall im Stadtbus war viel zu tun. Wie es ausgesehen hätte, wenn tatsächlich die Rede von einem Terroranschlag gewesen wäre, wagte er nicht mal zu denken. Er beneidete die Polizei und Rechtsmediziner in Kopenhagen nicht, die dabei waren, die Toten zu identifizieren, was bei einer Explosion eine furchtbare Aufgabe war, bei der die Leichenteile zusammengestückelt werden mussten. In der Regel mussten bei Katastrophen alle Leichenteile über fünf Zentimeter oder mit besonderen Kennzeichen registriert, untersucht und, wenn nötig, einer DNA-Analyse unterzogen werden. Sie erstellten DNA-Profile aller Leichen und größerer Leichenteile, um sich einen Überblick zu verschaffen, von wie vielen verschiedenen Opfern die Rede war und welche Leichenteile zusammengehörten. Teile eines Kiefers mit Zähnen oder ein Finger mit identifizierbaren Fingerabdrücken konnten die notwendige Information liefern. Die Angehörigen mussten informiert werden oder vielleicht ihre DNA abgeben, damit die Rechtsmediziner feststellen konnten, ob eines der Opfer ein Familienmitglied war. Gleichzeitig wurde ermittelt, wer die Bombe gezündet hatte, ob eine Terrororganisation dahintersteckte und ob andere Terroristen involviert und vielleicht entkommen waren; in diesem Fall eilte es, sie zu finden, um einen neuen Anschlag zu verhindern. Das war auch eine der Aufgaben, die gerade für die Ostjütländische Polizei wichtig war. Neue Anschläge zu verhindern. Ungeachtet dessen, wie der Bus-Fall ausging, befand sich die Terrorgefahr auf ihrem Höhepunkt. Er war irritiert darüber gewesen, zu der Besprechung mit dem PET gehen zu müssen. Hatte das Gefühl, die Situation unter Kontrolle zu haben, musste nun aber zugeben, dass sie ihnen einiges mehr an die Hand gegeben hatte, mit dem sie arbeiten konnten. Es gab einen Namen. Saqr. Wie auch immer man den aussprach und was auch immer er bedeutete.
„Kommst du mal einen Augenblick rein“, sagte er an Kim Ansager gewandt, als er auf dem Weg zu seinem eigenen Büro an dessen Tisch vorbeikam.
Kim nickte, ohne aufzuschauen. Wie gewöhnlich den Blick auf den Computerbildschirm gerichtet. Er war der Experte für Datenbanken, Analysen und Internet, insbesondere die sozialen Medien.
„Mach die Tür zu“, sagte er, als Kim eintrat, nachdem er selbst gerade in dem kalten Leder des Bürostuhls Platz genommen hatte. Er holte seine Notizen von der Besprechung hervor und legte sie vor sich auf den Tisch.
„Kam bei der Besprechung mit dem PET etwas Vernünftiges heraus?“, fragte Kim und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Er suchte immer das Gespräch, als ob er sich für alles engagieren wollte oder Stille einfach nicht mochte, jedenfalls, wenn er nicht am Computer saß.
„Es war eine vertrauliche Besprechung, aber es kam etwas dabei heraus, womit wir weitermachen können.“
Er schrieb den Namen auf und reichte Kim den Zettel.
„Saqr? Ist das der Name einer Person?“, fragte er und sah seinen Chef durch die Brillengläser an, die das Sonnenlicht vom Fenster reflektierten.
„Wir wissen es nicht. Ich möchte dich bitten, das herauszufinden. Der Name kann mit dem Terroranschlag in Kopenhagen in Verbindung stehen und wir müssen auch untersuchen, ob es eine Beziehung zu dem getöteten Busfahrer gibt. Aber ob Saqr eine Person, eine Terrorzelle oder etwas ganz anderes ist, wissen wir nicht.“
„Aber sollte dann nicht der PET …“
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